Keane im Interview: „Wenn du davon träumst, wie es früher einmal war“
Nach sieben Jahren Pause erscheint am 20. September „Cause and Effect“, das neue Album der britischen Band. ROLLING STONE erzählten sie von Image, Offenheit und den Ängsten, die sie zu ihrem Comeback inspirierten.
Als Keane 2013 ihren vorerst letzten Auftritt in Deutschland im Berliner Club „Goya“ spielten, wusste niemand, wann und wie es mit der Band weitergehen würde. Nach über zehn Jahren Karriere verabschiedeten sich die Musiker aus Sussex mit einem Best-Of-Album und gingen jeder für sich erst einmal anderen, eigenen Dingen nach. Sänger Tom Chaplin veröffentlichte ein Soloalbum, das alles andere als große Wellen schlug. Schlagzeuger Richard Hughes setzte sich in Zusammenarbeit mit „Amnesty International“ für Menschenrechte ein. Tim Rice-Oxley, Keyboarder der Band, schloss sich mit dem Bassisten Jesse Quin zusammen, die beiden gründeten das Duo „Mount Desolation“. Ihr erfolgreichstes Video auf YouTube hat 375.000 Klicks – nicht viel für eine Band, deren Mitglieder bei Keane spielten, die einst als Britpop-Hoffnung gefeiert wurden. Jetzt ist das Quartett mit neuem Album „Cause and Effect“ zurück, ROLLING STONE traf die Musiker zum Interview.
Der große Knall, der Trennungs-Skandal blieb aus, doch auch wenn die Band fast bis zuletzt dementierte, sich auflösen zu wollen, war es ihnen anzumerken, dass sie in einer Sackgasse angekommen waren. Richard Hughes sagt dazu, lachend: „Es hat sich so angefühlt, als würden wir es einfach zu Ende bringen wollen. Keiner von uns hat es wirklich mehr genossen, was wir zu dem Zeitpunkt gemacht haben. Eigentlich hat Tom schon zwei Jahre zuvor angedeutet, dass er eine Pause braucht, mal etwas anderes machen will. Wir haben das verstanden, aber es hat sich trotzdem so angefühlt, wie bei einem Date versetzt zu werden.“
Die Retrospektive erlaubt den Musikern, ihre Krisen gelassen zu nehmen. „Es kam mir so vor, als könne ich mit Keane nicht mehr kreativ sein. Ich wollte selber schreiben“, versucht Chaplin sich zu rechtfertigen. „Genau deswegen war es fast schon ein Schock für mich, als wir auf einmal wieder alle in einem Raum waren und zusammen Musik machten. Wir dachten damals „Nie wieder ein neues Keane-Album“. Und jetzt sitzen wir hier.“
Denn nach fast sieben Jahren sind Keane zurück. Rein optisch wirken sie jetzt wie eine Gruppe Hipster-Väter, die beim Schulfest ihrer Kinder im gentrifizierten London ihre gemeinsame Liebe für U2 und R.E.M. festgestellt und daraufhin beschlossen haben, die Instrumente aus ihrer Jugend wieder aus der Garage zu holen. Sie haben neue Frisuren und tragen hippe Turnschuhe. Doch selbst heute strahlen sie noch einen Funken Ungläubigkeit aus, dass sie es als Band so weit gebracht haben („Ich dachte mir früher bei Konzerten im Ausland immer: „Wie zur Hölle haben die hier überhaupt von uns erfahren?“ – Richard Hughes strahlt).
„Man muss nicht immer gut dastehen“
Doch ihr neues Album „Cause And Effect“ handelt vom menschlichen Scheitern. Von Eheproblemen, Depression und Einsamkeit. Schon immer schrieb Rice-Oxley die Keane-Titel größtenteils alleine, er ist das Mastermind hinter den Pop-Hymnen der Band („Ich bin ein wirklicher Musik-Nerd“). Nicht anders ist es bei diesem Album – es dreht sich um die Trennung von seiner Frau: „Es frustriert mich, wenn ich Bands höre, die einem nichts geben, auch wenn sie behaupten, „emotional“ zu sein. Die Künstler, die ich wirklich liebe, geben dir alles, auch wenn sie dadurch vielleicht nicht besonders gut dastehen.“
Im Interview verrät Chaplin, Rice-Oxley sei während seiner Ehekrise alkoholisiert am Steuer erwischt worden. Für ihn war das Album eine Möglichkeit, mit den Veränderungen in seinem Leben klar zu kommen: „In einem Lied geht es um dieses Gefühl, das du hast, nachdem du davon geträumt hast, wie es früher einmal. Du wachst auf und alles ist eben nicht mehr so wie es mal war, du bist an einem angsteinflößenden Punkt in deinem Leben.“
„Die britische Mitteklasse-Art mit Problemen umzugehen, ist, einfach nicht über sie zu reden“
Ehrlichkeit ist wahrscheinlich das Letzte, was man von einer in den Hintergrund geratenen britischen Pop-Band im Zuge eines großen Comebacks erwartet. Doch tatsächlich besingt Chaplin in der ersten Single „The Way I Feel“ besonders die unglamourösen Seiten der von Rockstars so inflationär thematisierten labilen Psyche während einer Trennung („And they say that you should move on/ But you can’t even get your shoes on“).
„The Way I Feel“ von Keane:
Ob es komisch ist, diese persönlichen Worte einen anderen Sänger singen zu lassen? „Nicht wirklich. Naja, ein wenig vielleicht“, gibt Rice-Oxley nach längerer Überlegung zu. „Ich glaube, mit Tom bin ich es mittlerweile einfach gewohnt. Das, was er mit einer Song-Idee macht, ist magisch. Ich bin dazu nicht fähig. Vielleicht hätte ich bei jeder anderen Person ein merkwürdiges Gefühl, aber zu Tom fühle ich mich so nahe und verbunden, dass ich ihm mit jeglichem Inhalt meines Herzens und Kopfs vertraue.“
Tom Chaplin ist diese Offenheit wichtig. Selbst kämpfte er lange mit Drogenabhängigkeit und starken Selbstzweifeln: „Wir stammen alle aus Mittelklasse-Familien. Die Britische-Mittelklasse-Art mit Problemen umzugehen, ist, einfach nicht über sie zu reden. So sollte man das aber eben nicht handhaben. Geteiltes Leid ist halbes Leid.“
Trotz aller persönlicher Tragik (seine Trennung führte dazu, dass Rice-Oxley vorübergehend seine Kinder nicht mehr sehen durfte) klingen Keane gewohnt Riff-lastig und energetisch: „Schnelle, rhythmische Musik macht trostlose Texte erträglicher“, philosophiert der Multiinstrumentalist. „Die Beatles sind das beste Beispiel dafür: die großen, melancholischen Liebeslieder, die Texte zu den Melodien von Paul McCartney? Diese Art, Musik zu machen ist ein großer Teil britischer Musik.“
Keane wollen zufriedenstellen
Man kann Keane für Britpop-Langweiler, für Helden des mittelmäßigen Schablonen-Pop halten, doch sollte man ihnen hoch anrechnen, dass sie nicht versuchen, etwas zu sein, was sie nicht sind. Ihre Maxime ist es, Musik zu machen, die viele Leute berührt: „Als Band finden wir natürlich oft die merkwürdigeren, experimentelleren Sachen, die wir machen, am besten. Wir alle haben manchmal Ansprüche an uns und wollen etwas anderes sein, als wir sind. Aber dieses Album hat den Sound, den wir am besten können. Wir tun die Dinge, die ganz natürlich kommen, erklärt Rice-Oxley. Privat höre er allerdings „alles von Bruce Springsteen bis Ariana Grande“.
„Am Ende des Tages sind wir eine Rockband. Wir haben unsere Instrumente gemeinsam gelernt und handeln grundsätzlich recht instinktiv. Wenn es den Leuten gefällt, merkt man das. Und darüber sollte man sich als Band in erster Linie Gedanken machen“, wirft Hughes ein. „Sie behaupten zwar manchmal etwas anderes, aber letzten Endes jeder Künstler will irgendwie gemocht werden.“