Karl Bartos und seine ehemalige Band Kraftwerk veröffentlichen gleichzeitig neue Alben, aber nur Bartos hat etwas dazu zu sagen
Mein, sagt Karl Bartos, dass seine neue Platte fast gleichzeitig mit der von Kraftwerk erscheint, das sei bestimmt nicht seine Absicht gewesen. Seit der Trennung 1991 kommunizieren Bartos und seine ehemaligen Kollegen ja nur noch in Form von Geschäftsbriefen, und da war die kuriose Gleichzeitigkeit im Vorfeld wohl nicht erkennbar. „Als ich von dem Kraftwerk-Album erfahren habe“, sagt Bartos, „war meines schon in die vielen Kanäle einer CD-Veröffentlichung eingespeist – die Produktionsabläufe sind halt sehr lang, und schnelles Reagieren ist schwierig. Mittlerweile denke ich aber, dass sich das Ganze eher gut für mich auswirken wird.“
Ein Zufall mit derselben Wahrscheinlichkeit wie die sprichwörtliche Auto-Karambolage mit dem einzigen Baum in der Wüste. Vor 17 Jahren hatten Kraftwerk ihr letztes Album „Electric Cafe“ veröffentlicht, den Begriff „lang erwartet“ sollte man für das neue „Tour De France Soundtracks“ nicht unnötig auf¿fe weichen. Im Jahr 2000 war die Farce mit dem astronomisch honorierten Expo-Jingle durch die bunten Zeitungsseiten gegangen, und dem „Spiegel“ diktierte Ralf Hütter nun in einem (für die Redakteure sicher von unmenschlichen Repressalien begleiteten) Interview, daheim bei Kling-Klangs werde 168 Stunden pro Woche an Weltformeln und Musik umhergehirnt.
„Tour De France Soundtracks“ ist überraschenderweise nicht mal übel, ein Minimal-Electro-Endlostrack mit dem Schnaufen der Radfahrer und nonchalanten Vocoder-Stimmen, ein Understatement. Bartos‘ Platte „Communication“ dagegen belebt die alte, zugleich nostalgische und futuristische Ästhetik der großen Kraftwerk-Alben neu, renoviert sie nur vorsichtig. Bei seinem Konzert im Londoner Institute Of Contemporary Arts stellte er furchtlos einige Original-Klassiker neben die neuen Stücke ins Programm – und gewann verdient. Ein klanglich und optisch brillanter Abend, und mit dem Bier in der Hand stand Bartos später allen Trainspottern Rede und Antwort: Ja, „The Model“ könne er doch jederzeit live spielen.
Der Vorteil an Karl Bartos ist unbedingt, dass man mit ihm ganz normal sprechen kann. „Nach meinem letzten, gitarrenlastigen Album hat der ROLLING STONE in einem Artikel gefragt, ob ich nun beweisen wolle, dass Computer besser Schach spielen als Menschen“, erzählt er. „Da ist mir klar geworden, dass die Leute mir diese Art von Musik nicht glauben. Also hab ich den alten elektronischen Wanderzirkus wieder ausgegraben, nicht zuletzt, um live auftreten zu können.“ Ein Spielverderber ist, wer das Anbiederung nennt. „Man lebt doch davon, ein klares Echo zu bekommen. Das Bild, das man von sich selbst in den Medien erkennt, ist wie ein Spiegel; man muss vielleicht manchmal ein Auge zudrücken und sich die grauen Harre wegdenken.“
Nach der Veröffentlichung von „Communication“ wird er weltweit spielen, und die Elektroniker werden Bartos überall als Übervater feiern. „Das interessiert mich nicht“, winkt er ab. „Wir hatten es damals leicht, weil wir die ersten waren und es noch keine Fußstapfen im Schnee gab. Nach dir kommen viele, denn dann ist da ja ein Weg. Aber einbilden kann man sich darauf nichts.