Kampfredner

Plötzlich hat sich HENRY ROLLINS doch noch einmal in die Rituale des Musikerlebens verliebt

Es ist nun schon drei Jahre her, dass Henry Rollins, Punk-Überlebender und vielbeschäftigter Sänger, Monologist, Verleger, Schauspieler und (gelegentlich) Label-Boss, von der Musik die Nase voll hatte. Die Inspiration verflogen, die Energie aufgebraucht, und aus war’s mit der damaligen Rollins Band. Erst das in L.A. beheimatete Trio Mother Superior gab dem Herrn der markigen Ansprache die Lust an den Tönen zurück, und jetzt gibt’s mit „Nice “ schon das zweite Album aus dem fruchtbaren Miteinander.

„Ich habe mich schlicht noch einmal in all die Rituale des Musikerlebens verliebt“, sagt Rollins ganz wonnig. ,Jedes Konzert und jeder neue Song sind Nägel in den Planken unseres Schiffes, mit dem wir immer wieder in See stechen, um überall auf der Welt Erlebnisse und Geschichten zu sammeln.“ Letztere erzählt Rollins ja immer gern, und das nicht erst seit den kürzlich erschienenen Tournee-Memoiren „Smile, You’re Traveling“.

Schon vor mehr als einer Dekade reiste der ehemalige Black Flag-Frontmann um die Welt, um zusammen mit allerlei sonderbaren Kollegen seine mal aggressive, mal humoreske Vollgaslyrik zwischen Kampfrede und einer Frühform von Slam-Poetry zu den Menschen zu bringen. „Zwei völlig verschiedene Dinge“ seien Lesen und Singen, sagt Rollins und erzählt von unterschiedlichen Dramaturgien und Energien.

Arg so weit voneinander entfernt scheinen die beiden Betätigungsfelder ja nun aber doch nicht. Auch auf „Mce“ degradiert der grimmige Sänger die Arbeit seiner Musikanten nicht selten zum bloßen Soundtrack für viel frei assoziierte Kraftrhetorik. „Was weiß ich, was es eigentlich ist“, wehrt sich Rollins gegen jede Selbstanalyse. „Wir denken nie über das

nach, was wir tun.“ Sagt ausgerechnet Rollins, der Denkpanzer, der Brüllmann und ewig Barsche, in dessen verbalem Sperrfeuer alles verbrennt, was nicht lauter ist und aufrecht und seiner unbarmherzigen Analyse widersteht.

„Natürlich bin ich längst ein Zyniker“, gibt er unumwunden zu. „Wenn du in diesem Business ein paar Mal gefielet worden bist, dann bleibt das ja leider nicht aus.“ Eine Ausnahme macht er gnädigerweise aber immer: Seine Zuhörerschaft bleibe von jeglichem Zynismus verschont. „Es gibt ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Publikum und Künstler, das keine Unehrlichkeit verträgt“, erklärt Rollins, jetzt doch etwas gesprächsbereiter – aber nicht weniger sarkastisch: „Und außerdem sind das schließlich die Leute, die mir mein Auto gekauft haben. Die verdienen meine Aufrichtigkeit.“

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