Kamerad Kamera
Am Tag der Deutschen Einheit hatte Sönke Wortmanns WM-Film Deutschland, ein Sommermärchen in Berlin Premiere. In der Hauptrolle: die gigantische Synergiemaschine Fußball.
Schwarz, der Himmel uns’rer Zukunft, rot, die Erde der Vergangenheit, Gold, die Zähne uns’rer Väter.“ Sönke Wobrtmann ist gerade von der Spielvereinigung Erkenschwick zu Westfalia Herne gewechselt, Berlin ist die Hauptstadt der DDR, Bonn die der BRD, Bastian und Lukas sind noch nicht geboren, als Peter Hein, Franz Bielmeier, Thomas Schwebel und Markus Oehlen in Düsseldorf den Song „Herrenreiter“ aufnehmen, aus dem die zitierte Zeile stammt. „1979 brd“ steht auf dem Label der Firma Rondo. Slogan: „Höre Staune Gute Laune.“ Die Band heißt Mittagspause und wird sich bald verwandeln in Die Fehlfarben.
27 Jahre nach dem „Herrenreiter“ haben die Farben Schwarz-Rot-Gold einen anderen Beiklang. Fufsballvereine heißen heute nicht mehr „Rote Erde Hamm“, Väter haben keine Goldzähne mehr. Schwarz-Rot-Gold leuchten die Plakatwände im Herbst. Am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, hat Sönke Wortmanns Film „Deutschland, ein Sommermärchen“ Premiere – in Berlin, klar, Kaiser und Kanzlerin sind da, klar. Der Film dokumentiert den Weg der deutschen Fußballnationalmannschaft von der Vorbereitung bis zum Abschied von den Fansauf der Fanmeile in Berlin. Wortmann ist so nah dran, wie kein Regisseur vor ihm. Er filmt in der Kabine, auf der Bank mit Jogi & Klinsi, im Bett mit Poldi & Schweini. Der Dokumentarist versteht sich als Teil des Teams, Kamerad Kamera ist immerdabei. Keine kritische Distanz, keine Analyse. Die Nähe erfordert Vertrauen.
Die Spieler vertrauen Wortmann, weil er selbst mal Zweitliga-Profi war. Zudem hat er sich mit dem „Wunder von Bern“ empfohlen. Das Fußballmärchen erzählt die Geschichte vom kleinen Ruhrpottjungen, der sich mit Helmut „Boss“ Rahn anfreundet und dem Schicksal trotzt, um den entscheidenden Treffer seines Idols im Finale von Bern 1954 mitzuerleben. Das Schicksal nervt besonders in Gestalt des kriegstraumatisierten Vaters – gespielt vom Schalke-Fan und Gelegenheitssänger Peter Lohmeyer. Der verbietet dem Kleinen zunächst den Umgang mit dem Boss, erlebt aber dann eine fußballerische Katharsis, die ihn vom Kriegstrauma befreit. Deutschland Weltmeister, Papa wieder heil, Familie wieder gut, Wirtschaftswunder vor der Tür. Kompakter und plakativer hat noch keiner die nationale Wiedergeburt in Szene gesetzt. Mit dieser Arbeitsprobe konnte Wortmann auch die nationalkonservative Mayer-Vorfelder-Gilde beim DFB davon überzeugen, dass er der Richtige ist für das „Projekt WM 2006“.
Und sie haben sich nicht getäuscht. Wortmann liefert die Bilder zur großen Deutschlandparty, die Zugabe zum „Summer of Heimatliebe“ (Christian Jostmann). Schwarzrotgoldene Massen außer Rand und Band, und ganz friedlich! La Ola mit Polizisten und Soldaten, und ganz friedlich! Keine hässlichen Hools, keine peinlichen Prolls, Deutschland erkennt sich selbst nicht wieder, und die Feuilletons feiern den fröhlichen Rock&Roll von Klaus Walter
Patriotismus. Endlich dürfen wir stolz sein auf uns, wie damals, beim Wunder von Bern.
Inzwischen herrscht wieder Alltag im Land. Beim Bundesliga-Derby zwischen Aachen und Mönchengladbach beweisen die Fans rheinischen Humor: Die Aachener skandieren „Asylant“, wann immer der dunkelhäutige Gladbacher Kahe an den Ball kommt, die Gladbacher retournieren mit Affenlauten, wann immer der dunkelhäutige Aachener Sichone an den Ball kommt. In Rostock wird der Schalker Gerald Asamoah mit rassistischen Sprechchören bedacht. In rechten Kreisen erfreuen sich T-Shirts mit dem Slogan „Nein. Gerald, du bist nicht deutsch!“ großer Beliebtheit.
Dabei war DJ Asa die Stimmungskanone der WM, der Grinsi vom Klinsi. An keiner Kamera kam er vorbei, ohne die strahlend weißen Zähne zu blecken, der Sarottimohr war ein Bonny „Prince“ Billie dagegen. Auf dem Spielfeld wurde Asamoah kaum gebraucht, sein Job war das musikalische Emo-Doping, die Schwarzen haben ja den Rhythmus im Blut. Also legt DJ Asa vor jedem Spiel, nach jedem Spiel und bei jeder Gelegenheit die Songs seines schwarzen Bruders auf.
Bei allem Willen zur Party muss in Deutschland immer auch ein bisschen Schwermut sein. Daran erinnert der Mann, der den Retter schon im Namen führt: Xavier Naidoo, gesprochen „Saviour“. Das Lied vom Weg, der kein leichter ist, begleitet den schweren Weg der Nationalmannschaft nach Berlin. Eine besonders grässliche Schwundstufe von Soul. Unser Motown heißt Mannheim. Von dort kamen schon Klaus Schlappner, Fußballtrainer mit Pepitahut und NPD-Connection, und Uwe Ochsenknecht, Schauspielerdarsteller, Fußballerdarsteller, Rockmusikerdarsteller. Xavier rettet suchende Seelen aus der Sinnkrise, salbt ihnen das Beste aus Bibel, Buddha, Bin-Laden und Bin-Betroffenbesoffen um die Ohren wie deutsche Einheitsradios Das Beste aus den Achtzigern, Neunzigern und von heute – inklusive Xavier Naidoo. Einmal erfolgreich erweitert die frömmelnde „Du bist Deutschland“-Lebertrantüte ihre Produktpalette mit einem geklonten Haufen seiner selbst: Die Söhne Mannheims – noch ein Beweis, dass Frauen die besseren Menschen sind. Keine Tochter dabei. Wenn Wortmann der Hof-Filmer des DFB-Teams ist, dann ist Naidoo sein Hofsänger. Gerührt und geschüttelt von Xaviers Nescafesoul öffnet sich der deutsche Gemütsmensch: fit für die Patriotie.
Der Fußball, die gigantische Synergiemaschine. DJ Asa spielt den „Weg“ in der Kabine, das Fernsehen legt den „Weg“ unter seine Bilder, Wortmann legt den „Weg“ unter seine Bilder. DJ Asa spielt Sportfreunde Stiller in der Kabine, das Fernsehen legt Sportfreunde Stiller unter seine Bilder, Wortmann legt Sportfreunde Stiller unter seine Bilder. Auf der Fanmeile spielen Xavier Naidoo und die Sportfreunde Stiller, die Bilder sehen wir im TV, sehen wir bei Wortmann…
Überhaupt unterscheiden sich Wortmanns Bilder kaum von den Fernsehbildern. Da hätte er einige Chancen vergeben, mäkeln Kritiker im Fußball-Jargon, aber stimmt das? Wollte Wortmann wirklich mehr als die Fortsetzung der synergetisch gepushten Deutschland-Party? Wenn er seine beiden Hauptdarsteller mit „Poldicam“ und „Schweinicam“ zu Kamera-Assistenten macht, dann kommt das Medium der Heldensaga zu sich selbst. Wie bekiffte Teenies hüpfen sie durch den Film, ein Hauch von Schwulenporno kommt auf, wenn der Schweini dem Poldi morgens im Bett auflauert und die Kamera von hinten auf den jungfräulich weiß beslippten Poldi-Popo fährt. Nein, hier werden Bilder, Sounds und Stimmungen aus dem sommerlichen WM-TV fürs größere Format wiederaufbereitet.
„Deutschland, ein Sommermärchen“ funktioniert wie eine TV-Serie, die zum Kinofilm aufgeblasen wird. Dem Massenerfolg steht der künstlerische Bankrott nicht im Weg. Ein schlagkräftiger Medienverbund rettet die Sommerhysterie in den Herbst. DFB und FIFA unterstützen das Projekt, der WDR hat die Fernsehrechte, das Buch zum Film erscheint bei KiWi. Da weiß man, wie der Imagetransfer zwischen Fussball und Pop läuft, hier publizieren Charlotte Roche, Rio Reiser und Nick Hornby neben Fussball-Medienstars wie Ronald Reng und Marcel Reif. Und Christoph Biermann. Der kluge Fußball-Feuilletonist aus Köln war bisher weder durch ungesunde Nähe zum DFB noch durch Patrioten-Rhetorik aufgefallen. Jetzt wechselt er ins Märchenfach. „In seinem WM-Tagebuch‘ erzählt Sönke Wortmann das Märchen dieses Fußballsommers von innen“, verspricht KiWi. Wortmanns Co-Autor: Christoph Biermann. Die Web-Site von „Deutschland, ein Sommermärchen“ verlinkt zu Coca-Cola. McDonalds und Telekom. Und zu Sony BMG. Dort erscheint der Soundtrack. Grönemeyer, Naidoo, deutsche WM-Folklore. Und Deutscher, Drafi, Gott hab‘ ihn selig. Im Mannschaftsbus legt DJ Asa – oder war es DJ Sönke? – gerne mal „Marmor Stein und Eisen bricht“ auf. Da singt sogar Jens Lehmann mit. Naidoo und die Sportfreunde Stiller haben ihre Karrieren fest an die Marke DFB gekoppelt und WM-Versionen ihrer Hits geliefert. Und den Post-WM-Hit. In „Danke“ huldigt Naidoo allen 23 Spielern nebst Funktionären. Er reimt „Kofferpacker“ auf „Mertesacker“, reimt „Windhose“ auf „Klose“, Eminem wird blass vor Neid, du! Der Lohn für die vaterländische Demutsgeste: „Danke“ toppt die deutschen Charts. Auch der Trainer kriegt seinen Stolperreim: „Und dank Jürgen Klinsmanns großer Vision/Träumten wir dann doch vom Sieg und hatten ihn schon/ Erheben dich aufs Neue, auf „den Fußballthron/ Geh jetzt bitte nicht, wir verdoppeln deinen Lohn.“
Er ging doch, und der Film zeigt warum. Die Kabinen-Ansprache des großen Modernisierers Klinsmann klingt so gar nicht nach Coaching, Motivationstraining, Workshop, McKinsey & kalifornischer Ideologie. Im Dunst aus Schweiß und Franzbranntwein fällt der Schwabe zurück in die Kabinenpredigt, Schlappner-Style: „Denen müssen wir heute auf die Fresse geben.“ „Hier brennt morgen der Baum. Das Achtelfinale lassen wir uns von niemandem mehr nehmen. Und schon gar nicht von Polen.“ „Die stehen mit dem Rücken zur Wand. Und wir müssen sie durchknallen.“ „Wenn sie den Tiger in unseren Augen sehen, schlagen wir zu!“ Mit Lautstärke und Augenaufreißen unterstreicht Klinsmann sein Psychodoping, wie einst im Stadion Rote Erde. Erfolge würdigt er in der Jugendsprache der Achtziger Jahre: „Geil! Geil! Geil!“, oder, wenn’s ganz arg gut war: „Affengeil!“ Klinsmann war lange genug Profi um zu wissen, dass sich sein Barras-Sound schneller verbraucht, als Trappatoni „Habe fertig“ sagen kann. Bei maximaler Fallhöhe – WM im eigenen Land, Schwarzrotgold im Stadion, Kamerad Kamera in der Kabine – brennt vielleicht mal kurz der Baum. Aber dann: Testspiel in Moldawien? Quali in Luxemburg? Und dann brüllt dich einer an: „Wenn sie den Tiger in unseren Augen sehen, schlagen wir zu!“ Dann schlägst du doch sofort zu. Vielleicht macht Xavier einen Song draus. Oder Tom Jones.