Kann man aus dem Leben Kafkas einen Comic machen?
Sehr gut sogar! Das zeigt die Biographie von David Zane Mairowitz und Robert Crumb.
Es ist Kafka-Jahr, was nur Menschen entgangen sein dürfte, die Bücher lediglich zum reinen Vergnügen lesen. Damit wäre schon sehr viel über diese Art von Literatur im Allgemeinen und jene von Kafka im Besonderen gesagt. Denn Leiden wird darin auf abgründige wie manchmal auch sehr komische Art groß geschrieben.
Dass dies alles, dass also die seltsamen, bedrängenden Erlebnisse von Gregor Samsa und Josef K. ohne die Lebensgeschichte ihres Autors in ihrer ganzen Drastik nicht verstanden werden können, dafür haben Heerscharen von Interpreten und Literaturexperten gesorgt. Gehässig könnte man sagen: Das Interesse an den Erzählungen Kafkas ist auch deshalb nie erlahmt, weil das Begehren, dem Schriftsteller noch auf dem schamhaften Gang in öffentliche Toiletten zu folgen, zum Verkaufsargument geworden ist.
Kafka ist eine Symbolfigur, er hat sein eigenes Adjektiv im Wörterbuch („kafkaesk“) und niemand mag sich vorstellen, wie er einfach vergnügt Tennis spielen geht oder heiter Karten spielt, obwohl all dies zu seinem Leben wie selbstverständlich dazugehörte. Es wundert nicht, dass sich ein Kinofilm und eine Serie nun auf die vielfach als diffizil beschriebene Beziehung zu prägenden Frauen stürzen. Kafka, als „Held“ einer Romcom im Wes-Anderson-Style. Man kann es sich gut vorstellen. Wie viel das mit der Realität zu tun hat, darf durchaus offen bleiben. Aber Tatsache ist, dass der rätselhafte Autor eine der wenigen Geistesgestalten der modernen Literatur ist, deren Leben fast bis auf den letzten Grund erforscht worden ist.
Wer sich nicht auf eine der vielen dickbauchigen, effekthascherischen Biographien einlassen möchte – wobei jene dreibändige von Reiner Stach selbst als Roman durchgehen könnte – der bekommt ausgerechnet mit einem Comic die ideale Möglichkeit, den Prager in all seinen Widersprüchen kennenzulernen. Aufgeschrieben wurde das Leben Kafkas schon vor einigen Jahren nüchtern-informativ von David Zane Mairowitz (manchen vielleicht bekannt als Kopf hinter der Hörspielserie um den Privatdetektiv Yevgeny Marlov) und spektakulär von Cartoon-Legende Robert Crumb bebildert („Kafka“, Reprodukt, 9,90 Euro). Nun erfolgt die Neuauflage zum Jubiläum.
Während Mairowitz akkurat das Leben im Prager Ghetto schildert, das Emanzipationsbedürfnis Kafkas im Schwitzkasten zwischen dem Wunsch, der eigenen Familie und seinem Job gerecht zu werden, aber zugleich auch dem Zwang zu schreiben zu folgen, liefert der Erfinder von „Fritz The Cat“ stilistisch zurückhaltende und sehr genau Skizzen aus der gesellschaftlichen Realität Kafkas. Sie orientieren sich an historischen und privaten Fotografien, aber auch an Schilderungen des Autors in seinen Tagebüchern und Briefen. Zugleich entwirft Crumb, der in seinen Undergroundwerken typische Elemente einer Karikatur jüdischen Selbtshasses einfließen ließ, Szenarien aus den Erzählungen und Romanfragmenten Kafkas.
Eigentlich Blasphemie, fast in dem selben Sinne, dass Kakas späterer Nachlassverwalter Max Brod darauf verzichtete, die Manuskripte seines Lebensfreundes zu vernichten. Denn der Autor war peinlich bemüht, seinem damaligen Verleger (zu Lebzeiten veröffentlichte Kafka mehr, als vielen naiven Nachgeborenen bewusst sein dürfte) streng zu untersagen, den Samsa-Käfer aus der Verwandlung illustrieren zu lassen. Das hätte Kafka durchaus selbst übernehmen können, war er doch ein nicht unbegabter Strichmännchenzeichner. Das Ungeziefer blieb deshalb zunächst ein Produkt der Fantasie.
Bei Crumb ist es ein Mistkäfer (was sonst, möchte man sagen, wenn man an all die Opfer-Symboliken in Kafkas Schriften denkt, aber wer sich in die Kafka-Forschung vertieft, wird den allegorischen Fährten des Schriftstellers mit anderer Neugier begegnen – und danach auch seine Tierfabeln mit neuem Interesse lesen), bei ihm ist das Maulwurfswesen aus Kafkas Fragment „Der Bau“ ein paranoides, verschrecktes Tier, ist überhaupt das ganze Personal aus Kafkas Erzählkosmos und auch aus seinem Liebes- und Familienleben mit erstaunlichen Emotionen ausgestattet worden. Der geifernde Vater, die gütige, aber reservierte Milena Jesenska, die spröde Felice Bauer, die liebende Schwester Ottla, als rettender Engel dargestellt.
Darin steckt viel Interpretation, zumal Mairowitz/Crumb den psychoanalytisch standfesten autobiographischen Spuren, die Kafka in seinem ganzen Werk ausgelegt hat, fast bedingungslos folgen. In unendlichen Variationen ist der Autor deshalb auch als gequältes, eingefallenes Häufchen Elend zu besichtigen. Eine Schattenfigur wie aus dem Kabinett von Edvard Munch. Einmal hält er sich die Ohren zu und verformt die Lippen fast zu einem Verzweiflungsschrei, als er die Menschen hört, wie sie von einer kafkaesken Lage schwadronieren.
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Kafka, so erzählt es uns diese in jeder Hinsicht wirksame wie pointierte Comic-Lebensgeschichte, war ein Hypochonder, unfähig zum Genuss. Und weil er das wusste und bis zur Selbstaufgabe glänzend beschreiben konnte, wurde sein im Vergleich zu seinem Nachruhm im Grunde schmales Werk zum bedeutendsten der modernen Literatur.
Dieses Buch ist deshalb auch ein wenig die Illustration jenes Kafka-Diskurses, der längst größer geworden ist als die hinterlassenen Erzählungen, mit einigem biographischem Selbstbewusstsein bezogen auf die zuweilen widersprüchliche jüdische Existenz des Autors. Die wird erst in den letzten Jahrzehnten einer genaueren Analyse unterzogen, weswegen sich in diesem schmalen Taschenbändchen auch mit Blick auf einen fast gespenstisch wieder um sich greifenden Antisemitismus heutiger Zeit einige Erkenntnisse machen lassen, die über Kafka hinaus gehen.