Jung und verdrossen
Die in Finnland lebende Äthiopierin Mirel Wagner spielt den kargen Folk-Blues von Altvorderen wie Skip James und John Hurt.
Wie kann eine junge Frau so traurig singen? Viele Beobachter scheinen fast entrüstet über das Verletzte, Gebrochene in der Folk-Blues-Stimme von Mirel Wagner. Die in Äthiopien geborene und in Finnland lebende Sängerin intoniert zur gezupften Gitarre weltverdrossene Lieder über den Tod und die Einsamkeit und klingt dabei wie die entfernte Cousine von Skip James, Nick Drake und Billie Holiday.
Naturgemäß erlebt die Künstlerin ihre Musik anders als ihre Zuhörer, erkennt Befreiung im Verlust und Schönheit in der Trauer. „Ich finde es ein bisschen faul, zu sagen, ich würde traurige Musik machen“, sagt Wagner. „Natürlich kann man behaupten, die Texte sind grotesk oder dunkel oder sonst etwas, aber für mich ist vor allem Sehnsucht in diesen Liedern und die Hoffnung, dass die Liebe alles überwindet. Mich macht eher die Musik traurig, die viele andere Menschen als fröhlich empfinden. Die, die meistens im Radio läuft, die seelenlose, die bloß noch eine Ware ist. Wenn nichts Lebendiges mehr drinsteckt – ist das nicht viel trauriger als ein melancholisches Lied?“
Gut gekontert. Wagner tritt trotz ihrer jungen Jahre selbstbewusst auf und lässt sich nicht reinreden. Ginge es nach ihren Beratern, hätten Streicher ihrem Debüt-Album „Mirel Wagner“ zu mehr Opulenz verholfen. Doch Wagner wollte nur ihre Stimme und ihre Gitarre. Früher saß sie allein in ihrem Zimmer und erzählte niemandem davon, dass sie Songs schreibt. Sie hatte Angst, dass die Leute denken könnten, sie schreibe Gedichte über Ponys und Frühlingsblumen. Jetzt ist ihre Musik da draußen, und sie soll so klingen, wie sie in ihrem Kopf ist.
Finnland dankt es ihr bereits. Wagner füllt die Clubs, hat Zuhörer aus allen Lagern und fasziniert die Menschen mit ihrer frühreifen Intensität. „Natürlich gibt es etwas in der emotionalen Landschaft Finnlands, das sich zur Melancholie gezogen fühlt“, äußert sie sich zum nationalen Klischee ihrer Heimat. „Deshalb wird meine Musik von Menschen gemocht, die eigentlich ganz andere Sachen hören, Metal und Punk zum Beispiel. Sie hören, dass ich ehrlich bin, sie spüren die Leidenschaft und Intimität.“
Mirel Wagner wird vor 23 Jahren in Äthiopien geboren und bereits als Baby von einer finnischen Familie adoptiert. Ihr Leben verbringt sie in Espoo, Finnlands zweitgrößter Stadt. Das Umfeld ist bürgerlich, aber inspirierend: Der Vater ist Musiker, der Bruder bringt ihr den Rock’n’Roll bei. Doch Wagner liebt die alten Blueser, Mississippi John Hurt, Skip James, Son House. Geigenunterricht mit sieben, dann die Gitarre: Mirel Wagner ist infiziert vom Klagen der Alten und beginnt, eigene Songs zu schreiben. Es folgen die ersten Open-Mic-Nächte, das erste Interesse der nationalen Medien. Schnell werden die Auftritte größer, doch Wagner bleibt stur: keine Band! „Ich habe versucht, mit anderen zu spielen, aber die Musik wurde nicht besser, sondern eher unklarer, verwaschener.“
Und so hören wir auf „Mirel Wagner“ eine schlichte akustische Gitarre, zu der Wagner ihren kargen Blues-Folk singt, der die Adoleszenz der Künstlerin nicht verbergen kann, doch nicht zuletzt daraus seinen Charme entwickelt. Dass Wagner ihre Lieder mit Inbrunst singt, gibt ihnen das Geheimnis. Ihre Plattenfirma gehört der Band 22 Pistepirkko. „Ich wollte kein großes Label, weil ich Angst hatte, dass sie mich in hübsche Kleider stecken.“ Jörn Schlüter