Julia Stone – Bullen und Liebhaber
Mit ihrem Bruder Angus feierte die australische Folk-Songschreiberin Julia Stone schon erstaunliche Erfolge. Nun widmet sie sich in London ihrer Solokarriere - und ihren Abenteuern
Ich hasse das Tonstudio!“ Aber Hippies hassen doch nicht, oder? Die australische Wahl-Londonerin Julia Stone verkörpert nämlich eigentlich den friedlich-niedlichen Typ „Boho-Chic“ – so kleidet sie sich in verträumten Gewändern, summt liebliche Lieder und wohnt derzeit in einem Zuckerbäckerhäuschen in Notting Hill. Nur das Studio macht ihr Sorgen. „Ich habe einfach Angst, sobald die rote Aufnahmelampe brennt, dann weiß ich – es ist für immer.“
Stone befindet sich gerade in einer aufreibenden Situation. Als Geschwister-Folk-Duo hat sie mit ihrem Bruder Angus Hunderttausende Platten verkauft – nun steht sie zum ersten Mal allein im Scheinwerferlicht. Das erste Album, „The Memory Machine“, wurde nicht promotet, Solokonzerte gab es nicht. Die starken Schultern des Bruders sind in Australien geblieben. „Ich war immer eine Solokünstlerin, und auch für Angus war klar: Wir sind Solokünstler, die Compilation-Platten gemacht haben.“ Sie lächelt ausgeglichen unter ihrem zu langen Pony hervor. Für ihre Fan-Gemeinde wird der Gedanke, dass 20 fertige Angus-And-Julia-Stone-Songs irgendwo auf einer Festplatte schlummern, allerdings schwer zu ertragen sein. „Wir wissen nicht, was damit passiert. Vermutlich nichts“, sagt Julia. „Angus ist sehr sprunghaft, und auch ich ändere meine Meinung ständig. Das ist für unsere Managerin oft etwas frustrierend – sobald jemand Pläne mit uns machen will, verkrampfen wir.“
Nun stand ihr der Sinn nach einer zweiten Soloplatte: „By The Horns“. „Ich denke, man ist im Leben immer entweder der Bulle im Ring, der geärgert wird – oder die Person, die den Bullen zur Weißglut treibt.“ Und wer von beiden ist sie selbst im Titelstück? „Ich bin definitiv der schlafende Stier, der verdammt sauer ist!“
Diese Geschichte handelt nämlich von Julia, die in eine prekäre Situation gerät – sie beginnt eine Affäre mit einem vergebenen Mann. „Ich habe etwas zu spät gemerkt, dass ich damit nicht umgehen kann. Ehrlich gesagt, habe ich mich nach etwas Drama gesehnt. Es war mir wohl zu gemütlich geworden in meiner Yoga-Welt.“ Liegt etwa im Leiden Sexappeal? „Ja, mein eigener kleiner Film, mit zu viel Wein und Zigaretten. Aber dann merkt man, dass man sich selbst belügt. Man braucht kein Drama, um sich lebendig zu fühlen – auch zum Songschreiben nicht, das ist ein furchtbarer Irrtum!“ Sie reißt die Kugelaugen auf, sodass man nur noch zustimmend nicken kann. Für einen Moment fühlt es sich an, als ob man mit der besten Freundin über Jungs lästert. Stone verliebt sich schnell und heftig. „Alle fünf Minuten!“, lacht sie und erzählt vom Versuch einer neuen Liebe: „Ich hatte mich in den Hauptdarsteller meines Musikvideos verliebt. Er spielte so überzeugend, dass ich glaubte, er meint es wirklich ernst. Wir hielten Händchen zwischen den Takes und nach Drehschluss als er einfach so gehen wollte, fragte ich ganz entsetzt: ‚Aber was wird nun aus uns?'“
Die Männer liefern die entscheidende Zutat für Julias entwaffnende Lieder. Anders als vorsichtige, verhuschte Songbirds, die ihre Privatsphäre hüten wie eine Vogelmutter ihr Nest, geizt Julia Stone nicht mit privaten Anekdoten. Auch im Konzert nennt sie einen ihrer Herzensbrecher munter einen „Wichser“ und liefert dem Publikum gleich die passende Geschichte: „Nach einem langen Flug kam ich am Flughafen Sydney an. Im Ankunftsbereich entdeckte ich meinen heimlichen Schwarm mit einem riesigen Blumenstrauß auf dem Arm. Ich dachte, er gesteht mir seine Liebe; stattdessen rief er:, Julia, so ein Zufall! Es ist so viel passiert – ich hole gerade meine neue Freundin ab!'“ Das Publikum feiert Julias unterhaltsame Ehrlichkeit in einer Zeit, in der Pop-Konzerte manchmal choreografierte Veranstaltungen sind.
Aber „Wichser“ habe sie nicht so gemeint; da kommt dann doch der Hippie durch.“Ich möchte niemanden hassen oder nachtragend sein. Ich bin mit all meinen Ex-Freunden gut befreundet. Meine große Liebe heiratet bald – ich werde hingehen und mich für ihn freuen.“ Und der Herr aus „By The Horns“ ? – „Ach, den habe ich an den Hörnern!“