Johnny Cash: Leben und Tod einer Country-Legende
Johnny Cash hat das Country-Genre geprägt wie kein anderer.
„Gesegnet mit einer tiefen Vorstellungskraft, nutzte er die Gabe, um all die verschiedenen verlorenen Ursachen der menschlichen Seele auszudrücken“, schrieb Dylan nach dem Tod von Johnny Cash im Jahr 2003. „Das ist eine wundersame und demütigende Sache. Hör auf ihn, und er bringt dich immer zur Vernunft.“
Seine Stimme hatte die Autorität der Erfahrung, ebenso wie seine Lieder. In ihnen war er der Mann, der die Trauerweide das Weinen lehrte, die einsame Gestalt, die Schwarz für die Armen trug, der eiskalte Killer, der sich rühmte, er habe „einen Mann in Reno erschossen, nur um ihn sterben zu sehen“.
Bei Sun Records und später bei Columbia – in Songs wie „I Walk the Line“, „Folsom Prison Blues“, „Big River“, „Five Feet High and Rising“ und „I Still Miss Someone“ – verband er die Sprache des Country, Blues und Gospels mit dem aufkommenden Snap des Rock & Roll.
Memphis habe ihn angelacht wie eine Hure, brachte Johnny Cash zu Papier. Er habe die Bürde der Versuchung getragen, sei gestrauchelt, nicht gefallen. Erst Nashville, ein Sündenpfuhl mit subtileren, auf den ersten Blick harmloseren Lockangeboten, habe allmählich seine Widerstandskraft ausgehöhlt wie steter Tropfen den Stein. Samstagnacht ließ Johnny sich gehen, Sonntagmorgen schämte er sich. Und je mehr er soff und den Drogen zusprach, desto schwerer war die Buße, die er sich auferlegte. Die Seele habe es ihm zerrissen.
Amazon„Hello, I’m Johnny Cash“
In seiner großen Zeit, als er das Gesicht der Country Music prägen half und der Welt die Stirn bot, ihr Gewissen war, schwarzgewandet für die Armen und Ausgestoßenen sang, für die Mühseligen und Beladenen, war Johnny Cash ein wandelnder Widerspruch. Er litt, weil er sehenden Auges auf den Abgrund zusteuerte, sich fortwährend darüber Rechenschaft ablegte. „I keep a close watch on this heart of mine“, sang er abends auf immer größeren Bühnen, „I keep my eyes wide open all the time.“ Und am folgenden Abend wieder. Der schwere Gang zum Mikrofon, der rauschende Beifall, die obligaten ersten Worte: „Hello, I’m Johnny Cash.“
Ob er sich so bei Sam Phillips, dem Elvis-Entdecker und Eigner von Sun Records, vorstellte, ist nicht verbürgt. Staubig sei dieser Junge gewesen, erinnerte sich Phillips lachend, nicht äußerlich, oh nein. Eine blitzsaubere Erscheinung, die Stiefel auf Hochglanz gewienert. Aber er sprach und trat auf, als habe er Arkansas mitgebracht. Höflich, schlicht, staubtrocken.
In Kingsland, Arkansas, am 26. Februar 1932 geboren und J. R. Cash getauft, als Sohn eines Baumwollfarmers, dem die große Depression den Markt und eine verheerende Dürre den Boden geraubt hatte, verlebte „Johnny“ (den Namen verpasste ihm später die Airforce) seine frühe Kindheit in bitterer Armut. Roosevelts „New Deal“ verschaffte den Cashs eine Parzelle in den fruchtbaren Niederungen des Mississippi-Delta, als Teil eines Umsiedlungsprogramms, das Weißen vorbehalten war.
Die erste Begegnung mit der Musik
Dort, in Dyess, nur 30 Meilen flussaufwärts von Memphis, hörte Johnny erstmals Musik aus dem Radio. Ein Luxus, den sich die Cashs freilich nur periodisch und stundenweise leisten konnten, solange die Batterien durchhielten.
Bis dahin kannte Johnny nur die Lieder, die in der Baptistengemeinde gesungen wurden. Hymnen zumeist, und jenen schwermütigen Singsang schwarzer Pflücker, der von den Baumwollfeldern herüberwehte. Und natürlich die vertrauten Folk-Songs und christlichen Erbauungslieder, die seine Mutter gesungen hatte, solange er sich erinnern konnte.
Doch was da aus dem Radio drang, dieser rasante Hillbilly, die klagenden, warnenden Weisen der Louvin Brothers und Roy Acuffs unheimliches „Wreck On The Highway“, das Johnnys Blut in den Adern gefrieren ließ, zog ihn unwiderstehlich an, ließ ihn nicht mehr los.
Vom Vater geduldet, von der Mutter ermuntert, verbrachte Johnny viel Zeit mit seiner Gitarre. Mit zwölf musste er erleben, wie sein um zwei Jahre älterer, heißgeliebter und bewunderter Bruder Jack starb, tagelang, nachdem er in eine Säge geraten war. Das prägte ihn. Und die Songs, die er schrieb, meist draußen in der Nähe der Bahngleise, wo er sehnsüchtig den Zügen nachsah, deren rhythmisches, monotones Stampfen sich niederschlug im Schlag seiner Gitarre, ebenso wie das stotternde „tuck-tuck“ der Traktoren. Ernste Lieder waren es, tragische Geschichten, zu diesem motorischen „Boom-chicka-boom“-Beat, der zu seinem Markenzeichen werden sollte, verfeinert, von Luther Perkins perfektem Reverb, Marshall Grants Swing und W. H. Hollands stoischer Snare.
Eine Begegnung mit Johnny Cash
Als Sam Phillips sein Tafelsilber verscherbelte, landete Cash bei Columbia, machte aber den Schritt zu Sony nur widerwillig mit und wechselte 1986 für fünf lausige Jahre zu Mercury. ROLLING-STONE-Autor Wolfgang Doebling traf ihn damals zu einem kurzen Interview in Berlin. Er wollte den Checkpoint Charlie sehen, sie stiefelten die Mauer entlang, Cash murmelte dunkle Prophezeiungen, verfluchte den Kommunismus und das Musikgeschäft. Geredet wurde wenig, Doebling nannte ihn „Sir“, Cash nannte den Journalisten „son“. Abends, auf der Bühne des ICC, war er schlecht bei Stimme, schleppte den talentarmen Sohn vors Mikro und ließ seiner Frau June Carter viel Raum.
Natürlich war sie es gewesen, die ihn 1968 an den Haaren aus dem Drogensumpf gezogen hatte, die bei ihm war, als er auf Entzug wochenlang die Wände hochging. Und die ihn stützte, in den letzten schweren Jahren der heimtückischen Krankheit, die den Geist intakt ließ und den Körper schmerzlich degenerierte.
„Wir werden alt und gewöhnen uns aneinander. Wir denken gleich und lesen unsere Gedanken. Wir wissen, was der andere will, ohne zu fragen“, schrieb Cash an June Carter zu ihrem Geburtstag 1994. „Immer mal wieder, wie heute, denke ich darüber nach und begreife, wie glücklich ich mich schätzen kann, mein Leben mit der tollsten Frau zu teilen, die ich je kennengelernt habe.“
Comeback mit Rick Rubin
Rick Rubins „American Recordings“ führten Cash zurück zu seinen Wurzeln, in die vorindustrielle Zeit, nach Arkansas. Johnny Cash kehrte heim, als Folk-Sänger, Erzähler, Mensch mit aufrechtem Gang. „Ich blieb meiner Musik treu, meiner Familie und meinen Fans“, sagte er, „so möchte ich in Erinnerung bleiben.“ Im März ging June voraus, lange warten musste sie nicht.
Die Nachricht vom Tod Johnny Cashs erschütterte seine Fans, doch für die Menschen in seinem Umfeld kam er nicht überraschend, hatte er doch in den Jahren vor seinem Ableben an mehreren schweren gesundheitlichen Problemen gelitten. Ende der 1980er-Jahre war er bereits an Knien, Herz und Kiefer operiert worden und wurde bis zu seinem Tod von schlechter Gesundheit geplagt.
Die Rache des Lebensstils
Die Probleme wurden von der Öffentlichkeit und von Kollegen, darunter Kris Kristofferson, als Rache seines Körpers angesehen. Rache für das, was ihm Johnny Cash durch Drogen und Alkohol über viele Jahre zugefügt hatte. Die Beschwerden bereiteten ihm nicht nur große körperliche Schmerzen.
Auch seine Aktivitäten als Musiker litten darunter. Es war die autonome Neuropathie, die ihn vom Touren abhielt. Dabei handelt es sich um eine Krankheit, die mit Diabetikern in Verbindung gebracht wird. Die Krankheit wurde 1997 korrekt diagnostiziert, nachdem ihre Symptome zuvor fälschlicherweise als Shy-Drager-Syndrom, einer neurodegenerativen Krankheit, die der Parkinson-Krankheit ähnelt, interpretiert worden waren.
Durch die Tour-Abstinent konzentrierte sich Cash auf die Aufnahmen. Zudem verbrachte er mehr Zeit mit June in ihrem jamaikanischen Ferienhaus, wo der Sonnenschein die körperlichen Schmerzen zu lindern schien. Doch die Lage verschlechterte sich weiter, als Cash 1998 mit einer Lungenentzündung längere Zeit im Krankenhaus verbrachte. Bleibende Schäden an der Lunge waren die Folge. Trotz allem arbeitete Johnny Cash weiter.
Der Tod von June Carter
In der Zusammenarbeit mit Rick Rubin erfuhr Cash neue kreative Impulse. Singles wie „Hurt“, ein Nine-Inch-Nails-Cover, verschafften dem gealterten Country-Star kurz nach der Jahrtausendwende erneute künstlerische Relevanz, die er sichtlich genoss. Die Freude über den Erfolg der „American Recordings“ wurde jedoch bald getrübt. Im Mai 2003 verstarb June Carter nach einer Herzoperation im Alter von 73 Jahren. Vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Probleme Johnny Cashs war das Umfeld des Paares sicher davon ausgegangen, dass June ihren Ehemann überleben würde.
June Carter hatte darauf bestanden, dass Cash im Falle ihres Todes weiterarbeiten sollte. Um jeden Preis. Er tat es und ging in der Woche nach Junes Tod ins Studio, um fünf neue Songs aufzunehmen. Rick Rubin gab er den Auftrag, ihn jeden Tag zu beschäftigen, der der Bitte seines Klienten nachkam. Sogar einige improvisierte Auftritte vor engen Freunden und Familienmitgliedern waren Teil der Trauertherapie.
Wann starb Johnny Cash?
Bei seinem letzten Auftritt am 5. Juli 2003 im Carter Family Fold sprach Cash eine vorbereitete Rede vor, bevor er „Ring of Fire“ spielte. Einen seiner größten Hits, den June Carter 1963 schrieb, nachdem sie sich in Johnny Cash verliebt hatte. „Der Geist von June Carter überschattet mich heute Abend mit der Liebe, die sie für mich hatte, und der Liebe, die ich für sie habe. Wir sind irgendwo zwischen hier und dem Himmel verbunden. Ich schätze, sie kam für einen kurzen Besuch vom Himmel herab, um mich heute Abend zu besuchen und mir Mut und Inspiration zu geben, wie sie es immer getan hat.“
https://www.youtube.com/watch?v=FqESx05OuCA
Johnny Cash starb am 12. September 2003 um 02:00 Uhr morgens an Komplikationen infolge seiner Diabetes im Baptist Hospital in Nashville. Er wurde 71 Jahre alt. Weniger als vier Monate waren nach Junes Tod vergangen, als Cash seiner Frau folgte. Er wurde neben June in den Hendersonville Memorial Gardens begraben, nicht weit entfernt von ihrem Wohnort.