John Cale – “Music For A New Society”
Man hört ja doch immer am liebsten Musik von Leuten, die einem irgendwie ähnlich sind. Anders lässt sich die Proliferation herzerweichender Kritiken zu Platten, die alle irgendwie von traurigen bis verzweifelten jungen Männern weißer Hautfarbe stammen, in dieser Rubrik wohl nicht erklären. Geben wir es ruhig zu, wir sind doch allesamt ausgesprochene Romantiker.
Was läge da näher, als sich dem wohl Größten dieser nicht seltenen Spezies zuzuwenden? Er hatte alles, was man zum Romantiker braucht: die Schwermut, die Depression, das Manische, das Genie, die Syphilis und ein viel zu frühes Ableben. Sein Name: Franz Schubert.
160 Jahre später gerät ein äußerst egozentrischer Bandleader und talentierter Songschreiber mit seinem nicht minder egozentrischen Bassisten und Viola-Spieler aneinander, der im Übrigen ein noch weitaus versierterer Liedkünstler ist. Der Letztgenannte verlässt die Band und veröffentlicht danach einige der schönsten, aber auch einige der verstörendsten Popalben überhaupt. Sein Name: John Cale.
Auch er ist ein Romantiker und ein Meister des Kunstliedes, der vertonten Poesie. Man denke beispielsweise an seinen wundervollen Reigen “Paris 1919”: ”You’re a ghost/ You’re a ghost/ I’m in the church and I’ve come/ To claim you with my iron drum”, singt er da und spricht vermutlich mit dem Geist von Franz Schubert.
Und auch Cale hat den Irrsinn in den Augen, die Melancholie. Ein manisch-getriebener, der die Schönheit nicht zu ertragen scheint und erst Ruhe gibt, nachdem er alles zerschlagen hat, um dann die Bruchstücke zu transzendieren, ihnen eine neue, metaphysiche Bedeutung abzugewinnen. Zu hören beispielsweise auf “Music For A New Society” von 1982. Die Pracht beirrender Songgebilde wie “Thoughtless Kind” oder auch “(I Keep A) Close Watch” lässt sich hier nur erahnen, wird aber spätestens auf der Anfang der 90er Jahre erschienenen, wundervollen Live-Platte “Fragments Of A Rainy Season” zur Gewissheit.
Wenn man, wie der Autor dieses Textes, in einer Gegend wohnt, in der sich Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger “Gute Nacht” sagen, interessiert sie einen schon sehr, die Musik für eine neue Gesellschaft. Wie ist das gemeint? Führt diese Musik zu einer neuen, besseren Gesellschaft oder ist sie ein politisches Statement, das eine solche fordert? Man muss dann schnell erkennen, dass es sich hier nicht um eine Utopie, sondern zunächst um die Zerstörung des alten Modells handelt. Wie die musikalische Schönheit der Songs, bricht auch in den Texten alles zusammen: “Roll up the history books, burn the chairs/ Set fire to anything, set fire to the air/ They’re riding to beginning and running at the end/ ‘Cause mama said, you take your life in your hand.”
Nein, Anlass zur Hoffnung liefert diese Revolution nicht, denn am Ende steht halt doch der Tod: ”A strong though loving world to die in.” Nachdem Cale alles zerschlagen hat, geht es nicht mehr um Politik, sondern nur noch um puren Existenzialismus. Er ist längst bei den letzten Themen angekommen. Steht vor den Scherben der Kunst, die sich ohne die Belehnung der Tradition nicht wieder passgenau zusammenfügen lassen: Aus “Freude schöner Götterfunken” wird am Ende ein torkelndes “Damn Life/ What it’s worth/ Getting on without the city/ You’re just not worth it.”
Was bleibt, ist dieser kalte Klang, der Hall, die synthetische Stimme aus dem Radio und die Suche nach dem Sender der Erlösung, der Cale mit der Tradition – seinem musikalischen Erbe – versöhnt. Es könnte das Erbe von Franz Schubert sein.
Rhino, 1982