Joe Perry
Aufgeschoben wurde die neue Aerosmith-LP mehrfach, aber aufgehoben? No way! Es galt schließlich den 30 Millionen Dollar-Vertrag mit Columbia zu erfüllen. Nun sind die „Nine Lives“ im Kasten, doch bis es soweit kommen durfte, hat sicher so mancher Columbia-Manager um die Investition gezittert. Da wurden im Vorfeld Manager und Produzent gefeuert, da verhärteten sich Gerüchte um Steven Tylers Rückfall in alte Drogengewohnheiten. Die Band schrieb sich beleidigte Briefe, die dann auch noch öffentlich publiziert wurden, und zu guter Letzt landeten alle in einer Drogenklinik. Dem Album jedoch hat das Vorgeplänkel nicht geschadet, denn rüde wie eh und je bestätigen die immergrünen Mittvierziger auf „Nine Lives“, daß sie tatsächlich nicht totzukriegen sind.
Und außerdem, so Gitarrist Joe Perry, war in Wahrheit natürlich alles halb so schlimm.
Guten Morgen Joe. Wie bist Du heute hochgekommen?
Langsam. Mußte mir erstmal ein paar Kaffee einverleiben. Als ich dann halbwegs in die Gänge gekommen bin, habe ich ein paar Pflichtübungen absolviert. Muß man ja in meinem Alter.
Mit den Kollegen veröffentlichst Du gerade „Nine Lives“, das 12. Aerosmith-Album. Zählst Du noch mit?
Nein, aber danke, daß Du mich daran erinnert hast, daß „Nine Lives“ bereits die 12. ist.
Erinnerst Du Dich noch an jede einzelne Produktion und an das Gefühl, aus dem die LPs entstanden?
Ja, ich höre sie zwar nicht sehr oft, aber ich weiß, wo sie herkamen.
Die Vergangenheit verschwimmt Dir also im persönlichen Rückblick nicht zu einem großen Rock’n’Roll-Rausch?
Die Tourneeen sind tatsächlich ein einziger Brei in meinem Kopf, aber die Alben sind wie Eckdaten unseres Band-Lebens. Gut, daß wir immer wieder welche machen, sonst hätte ich bestimmt schon alles vergessen.
Ist Aerosmith mittlerweile ein musikalisches Trademark, oder unterscheidet sich für Dich das letzte Album maßgeblich vom vorherigen?
„Permanent Vacation“, „Pump“ und „Get A Grip“, unsere letzten drei Alben, sind sehr ähnlich produziert. Wir haben viel im Studio gebastelt, sehr kontrolliert gearbeitet, und das hört man. Für mich sind sie fast zu glatt. Dieses Mal haben wir die Basic Tracks live eingespielt, und nicht mehr so viel verändert. Das macht die neue Platte direkter. Wenn ich das neue Material anhöre, denke ich sofort daran, wie wir alle zusammen in einem Raum standen und spielten. Dieses Gefühl hatte ich bei den anderen Alben nicht. Steven hat live mit uns gesungen, wir haben ganze Songs durchgespielt. Unser Produzent Kevin Shirley hat uns dazu ermutigt. Wir haben seit unseren Frühwerken nicht mehr so gearbeitet Man wird manchmal faul bei der ganzen Technik. Man weiß ja, daß man alles wieder hinkriegen kann. Diesmal haben wir versucht, beim ersten Take unser Bestes zu geben. So ist vieles emotionaler geworden.
Ihr scheinbar auch. Es gab viele Gerüchte um Euch, Drogen, bandinterne Querelen. Habt Ihr Steven Tyler wirklich einen Brief geschrieben, in dem stand, daß sein unkooperatives, destruktives Verhalten die Zukunft der Band gefährde?
Ja, stimmt Aber das ist nichts Ungewöhnliches, die schriftliche Kommunikation hat sich für uns in Krisenzeiten als die zivilisierteste erwiesen. Wir haben eine Menge aus unseren Fehlern in den Siebzigern gelernt Wenn wir an einer Platte arbeiten, staut sich soviel Energie auf, daß die Sache manchmal droht zu explodieren. Und Steven kann sehr..«, sagen wir einfach, er hat eine Menge Temperament Oft ist es schwer, zu ihm durchzudringen. Deshalb haben wir ihm geschrieben. Das war alles. Wenn’s dabei um Drogen gegangen wäre, hätten wir das zugegeben. Wir hatten nur persönliche Probleme.
Und die habt Ihr unter Anleitung eines Psychologen ausgerechnet in einer Drogenklinik ausdiskutiert…
Wir brauchten einen Vermittler, der Ruhe in die Situation bringen sollte. Dummerweise war die Praxis des Psychologen, den wir dafür ausgesucht hatten, eine Drogenklinik, was die Gerüchte noch mehr schürte.
Was habt Ihr denn dort gemacht? Gruppentherapeutische Sitzungen?
Nein, wir haben uns nur ausgesprochen. Wir hatten unter Aufsicht des Psychologen die Vereinbarung getroffen, daß keiner den Raum verlassen dürfe. Normalerweise, wenn einer von uns sauer wird, haut er einfach ab. Doch so kommt man zu gar nichts. Das haben wir ja schon hinter uns. Sich ärgern und die Band auflösen. Das wollten wir alle nicht mehr.
Psychologische Bandberatung – ist das normal im US-Rock-Zirkus?
Nein, ganz und gar nicht. Aber wir sind auch keine normale Band. Und um 25 Jahre als Band in der Originalbesetzung zu existieren, muß man sich halt ein wenig mehr anstrengen als sonst üblich. Nein, ich kenne nicht so viele andere Bands, denen das so wie uns gelungen ist.
Warum kämpft ihr immer noch so hart um diese Band, um dieses Nomadenleben? Will man nach 25 Jahren nicht einfach mal was anderes tun?
Das Leben mit dieser Band ist sehr abwechslungsreich. Langeweile, Routine, Abnutzungserscheinungen, das haben wir vor zehn Jahren hinter uns gelassen. Wenn ich mir unsere neue Platte anhöre, ist für midi Deine Frage ausreichend beantwortet Und das Geld ist auch nicht ohne. Ich kann mir Schlimmeres vorstellen, meinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Aber Dein Geld dürfte doch sicher mehr als dreimal bis ans Lebensende reichen?
Ja, bestimmt, aber darum geht es nicht. Jede Platte ist für uns ein neuer Anfang. Und es macht mir Spaß, uns zu beobachten und zu sehen, daß immer wieder etwas entsteht. Du lehnst dich zurück, bist zufrieden und erfolgreich und siehst all die anderen Bands kommen und gehen.
Denkst Du manchmal an die Zukunft und wie lange das alles noch so weitergehen soll?
Nein, ich verbiete mir das. Vor zehn Jahren habe ich erkannt, daß man nie weiß, was die Zukunft bringen kann. Ich war 25, da hatte diese Band schon Millionen Platten verkauft. Ganz am Anfang denkt man immer, alles hält ewig, dann denkst du jeden Tag, morgen ist alles vorbei, und irgendwann denkst du einfach nicht mehr darüber nach.
Wann hast Du Deine erste Gitarre gekriegt?
Weiß nicht, so mit elf. Meine Eltern haben sie mir geschenkt Kannst Du Dich an das Gefühl erinnern, als Du zum ersten Mal daraufgespielt hast? Ja. Es war ziemlich cool. Das war etwas, das zu mir paßte.
Hält Rock’n’Roll jung?
Vielleicht, weil das Gefühl alterslos ist. Dieses Gefühl der Freiheit, das mir die Musik immer noch gibt, werde ich nie verlieren. Musik ist etwas Urtümliches. Sie ist nicht so intellektuell, wie viele andere Dinge, die die Menschen altern lassen. In weniger entwickelten Kulturen zum Beispiel wird auch musiziert und getanzt, das ist eine instinktive Neigung, und die hat nichts mit dem Alter zu tun.
Natürlich altere ich, das ist mir bewußt, und ich versuche bestimmt nicht, ein Twen in einem 46-Jahre alten Körper zu sein.
Sind Deine Kinder stolz auf Dich?
Ich denke doch. Aber sie kennen ihren Daddy Joe auch nicht anders.