Jochen Distelmeyer – Gräfenhainichen, Melt
Die Leute sind längst weichgespült. Es ist der zweite Festivaltag, in tiefer Nacht ist ein Sturm übers Melt-Gelände gefegt, er hat ein paar Zelte mitgerissen in den See, und als es hell ist, regnet es dann einfach weiter, dünnfädig, fast nölig. Immerhin nimmt sich der Regen gelegentlich Pausen. Am frühen Abend stellen sich die ersten Wetteropfer vor die Hauptbühne, sie haben den Wind im Rücken und schauen sich schon wieder nach den nächsten grauen Wolken um, als Jochen Distelmeyer schließlich auf die Bühne kommt. Alles gut? Hmm, Jochen, und bei dir so? Willkommen zurück auch.
Was hat man sich nicht alles vorgestellt, was aus dem werden würde nach dem Abschied von Blumfeld vorletztes Jahr. Schriftsteller vielleicht, Lyriker womöglich, reisender Folksänger gar, noch mehr Lieder über Obst oder so. Schien alles plausibel nach dem letzten Album „Verbotene Früchte“. Dann aber, wenige Tage vor den ersten Auftritten als Solokünstler und diesem ersten an der frischen Luft, wurde plötzlich die Distelmeyer-Website freigeschaltet. „Wohin mit dem Hass?“, rief er da raus, das erste neue Lied krachte, und gleich war ordentlich was los in den üblichen Foren, auf Facebook und Twitter: Schweinerock, Altherrenrock, Rock-Rock-Rock. Jetzt steht Distelmeyer da oben auf der Bühne zwischen einer namenlosen Band, die Musiker sind fast alle neu, der Sound ist fast wie früher, der Hass erschöpft sich bald. Sie spielen paar neue Sololieder und paar alte Blumfeldlieder, alles fließt sehr harmonisch ineinander, bald fließt es auch wieder von oben, und Distelmeyer, der alte Indianer, macht einen Regentanz. Nützt nichts, hebt aber die Stimmung.
Es ist ein bisschen so wie damals, Anfang der Neunziger, als Paul Weller seine zweite Band The Style Council aufgelöst hatte und für eine kurze Tour als The Paul Weller Movement über die Lande zog. Noch keine neue Platte draußen, bloß ein einziges Lied, „Into Tomorrow“, also spielte er paar neue Lieder und paar alte, was blieb ihm auch anderes. Das Wichtigste war ja eh: Er war noch da, mehr wollten die Leute gar nicht wissen, und nach dem zweiten Album „Wild Wood“ war es wie früher, die Lager schön getrennt in Fans und Verschmäher.
Jochen Distelmeyer ist jetzt also irgendwie der deutsche Paul Weller. Bloß brauchte er vorher nicht zwei Bands und braucht hinterher wohl nicht zwei Alben. An diesem Melt-Abend jedenfalls kriegt er die Fans schon mit neuen zarten Liedern, mit „Murmel“ und „Nur mit Dir“; die Verschmäher sind eh nicht da, die sitzen noch in ihren nassen Zelten und warten darauf, dass der Regen aufhört. Tut er dann auch, später.