Jimmy Page zum 80. Geburtstag: Der Grand Seigneur des Rock
Ohne ihn klänge die elektrische Gitarre anders.
Es gibt da diese bemerkenswerte Stelle in „It Might Get Loud“. Der Film erschien 2008, ein Jahr nach der Led-Zeppelin-Reunion zu Ehren Ahmet Erteguns in der Londoner O2-Arena, und ist so etwas wie ein auf Zelluloid festgehaltenes Zusammentreffen dreier Gitarren-Generationen. Da ist zum einen The Edge, der Effektgerät-verliebte Pragmatiker und Klangarchitekt von U2, dessen Einfluss auf die kontemporäre Rock- und Popgitarre größer ist, als ihm in der Gitarrenwelt zugeschrieben wird. Zum anderen Jack White, der Analogpurist, Blues-Chronist der Rock-Postmoderne, der seinen Fokus über die weiteste Strecke des Films auf Image- und Legendenbildung richtet. Und als drittes: Jimmy Page, der Grand Seigneur des großen Riffs und der Rock’n’Roll-Gitarre überhaupt, mit langer silberner Mähne, und der im Oldtimer zum Gipfeltreffen chauffiert wird, gelöst, gut gelaunt und lächelnd.
In besagter Szene, wir befinden uns in seiner Musikbibliothek, legt Page zur akustischen Unterlegung seiner Erzählung über Einflüsse und Anfänge die Vinyl-Single jenes Stücks auf, das für seinen musikalischen Kosmos (und für den so vieler anderer) ausschlaggebend war: Link Wrays „Rumble“, ein 1958 veröffentlichtes Instrumentalstück, dem fälschlicherweise die Erfindung des sogenannten „Powerchords“ (also jenem nur aus Prim und Quint bestehenden Gitarrenakkord, der für die Rhythmus-Gitarre im Rock unerlässlich ist) zugeschrieben wird. Pages Gesicht zeigt weitaus mehr ungebrochene Begeisterung als Nostalgie; wie er sich das Grinsen nicht verkneifen kann, mit den Händen mitspielt und das Stück kommentiert, dessen Vibrato sich in seiner Nonchalance und coolen Nachlässigkeit Stück für Stück steigert. Später dann, gegen Mitte des Films, sieht man eine ähnliche Begeisterung in den Gesichtern von seinen beiden Gitarrenkollegen White und The Edge: Nämlich als Jimmy Page zur Les Paul greift und „Whole Lotta Love“, dieses Ungetüm von einem Riff, geradezu nachlässig und salopp aus dem Ärmel schüttelt.
Über Umwege zu den Yardbirds
James Patrick Page wird am 9. Januar 1944 im Westlondoner Vorort Heston als Sohn eines Personalmanagers und einer Sekretärin geboren. Weil eine Gitarre im Haus rumliegt, von der keiner weiß, wem sie gehört, beginnt Page im Alter von 13 Jahren mit dem Spielen. Wenige Jahre später, als junger Mann, steht er bereits mit diversen Formationen auf der Bühne, unter anderem jener des legendären Marquee-Club in der Londoner 165 Street – wo des öfteren auch Jeff Beck und Eric Clapton mit ihm auf der Bühne jammen. Dort entdeckt ihn auch John Gibb, der ihn für die Columbia Graphophone Company (eine der ersten Plattenfirmen Großbritanniens) ins Studio holt um ein paar Singles einzuspielen, ehe er sein erstes festes Engagement mit Decca Records hat. Page ist auf zahllosen Sessions und Alben vertreten, spielt Gitarren für The Who und The Kinks ein, für die Rolling Stones und Marianne Faithful.
Zu den Yardbirds kommt er erst über Umwege, lehnt das ursprüngliche Angebot, seinen Freund Eric Clapton zu ersetzen, ursprünglich ab, will auch nach Claptons offiziellem Weggang sein erfolgreiches Dasein als Studiomusiker nicht gegen das eines touring musician eintauschen. 1969 tut er das doch, spielt an der Seite seines Freundes Jeff Beck, den er als Clapton-Nachfolger vorschlagen hatte und nach dessen Ausstieg Page das alleinige Gitarrenzepter der Yardbirds übernimmt. Weil nach einem recht erfolglosen Album noch während laufender Engagements zwei weitere Mitglieder aussteigen, Keith Relf und Jim McCarthy, Page die Daten aber unter dem Namen „New Yardbirds“ spielen wollte, engagiert er einen Sänger namens Robert Plant und einen Schlagzeuger namens John Bonham, ebenso stieß John Paul Jones am Bass dazu. „New Yardbirds“ findet Page dann doch nicht mehr so toll, nennt das Ganze Led Zeppelin, nach einem Running Gag mit Keith Moon und John Entwistle aus einer früheren Jamsession. Die Vision, wie das klingen sollte, hat Page schon seit einiger Zeit, mit dieser Besetzung wird sie nun Realität.
Man kürzt an Stellen wie dieser gerne mit der Floskel „Der Rest ist Geschichte“ ab, und im Falle von Led Zeppelin ist das eine Geschichte über eine für einige Jahre andauernde, einzigartige Chemie zwischen den einzelnen Charakteren, eine Geschichte über das Zusammenspiel von Pages eingängigem wie rauem Spiel, von aus der Vergangenheit gezogenen und manisch in die Gegenwart hineingespielten Einflüssen, und von Bonhams einzigartiger, animalischer Art, Schlagzeug zu spielen, von John Paul Jones versatilem Bass-Spiel und Robert Plants heulender Jahrhundertstimme. Eine Geschichte von Songs und Alben, die heute noch genau so aufregend, relevant und frisch klingen und das wohl auch die nächsten Dekaden noch tun werden. Eine Geschichte von Blues und Rock’n’Roll und epochalen Riffs, von einer Überballade, einer doppelhälsigen Gibson SG, von Mythen und dem Tod Bonhams.
Jimmy Page lässt den Mythos locker hinter sich
Man muss Page und Led Zeppelin hoch anrechnen, dass sie ihr Comeback 2007 mit aller Sorgfalt angelegt haben, in sehr guter Form und mit viel Respekt vor dem eigenen Mythos auf die Bühne gingen. Und es danach – allen Gerüchten zum Trotz – scheinbar auch wirklich sein lassen werden. Geht es um derartige Über-Lebensgröße, werden Narrative durch Wiederbelebungen oft ungewollt in eine andere, oft desillusionierende Richtung umgeschrieben. Page scheint sich dieser Über-Lebensgröße, heute, mit fast 80 Jahren, mehr als in den 1990-Jahren, bewusst – und lässt den Mythos, musikalisch wie menschlich, wohl genau deshalb mit Gentleman-haftem Augenzwinkern gen Vergangenheit auch locker hinter sich.
Ob man seine Relevanz als Gitarrist in seinen Riffs, in seinem Gebrauch offener Tunings, in seinem Gebrauch von Alternate Picking oder seinen Soli sieht, in seiner geschmeidigen spielerischen Flexibilität, oder wo auch immer: Es werden auch in 80 Jahren und darüber hinaus noch Leute vor ihren Zeppelin-Vinyls sitzen und bei seinen Riffs ungebrochen begeistert grinsen und mitgestikulieren, wie Page in jener Szene bei „Rumble“.