Jimmy Page im Interview: „Seifenopern interessieren mich nicht, ich bin schließlich Musiker“
Mit der Wiederveröffentlichung der letzten drei Led-Zeppelin-Studioalben kommt Jimmy Pages Hauptaufgabe der letzten Jahre, den eigenen Backkatalog und somit das eigene Erbe in die (klangliche) Gegenwart zu holen und für die Zukunft zu sichern, zu einem Abschluss. Von Markus Brandstetter
„Achilles Last Stand“ war ja irgendwie eine Vorwegnahme des britischen Heavy Metals, oder würden Sie mir da widersprechen?
(überlegt) Es ist kompliziert und intensiv. Eine Herausforderung für jeden, der es spielen will. Ob es Heavy Metal ist oder nicht, kann ich nicht sagen, aber es hatte eine einzigartige Energie und Intensität.
Auch diese galoppierenden Triolen von Bonham, dieser Drumsound…
Ja, Bonham ist auf diesem Stück phänomenal. Aber das war er immer. Ich glaube gar nicht, dass man das in einen Metal-Kontext stellen muss, und das meine ich jetzt gar nicht respektlos gegenüber Ihrer Frage. Bonham war ja auch gleichzeitig so subtil…
„Achilles Last Stand“ ist ja auch ein gutes Beispiel dafür, wie Sie als Gitarrist mit wenig Aufwand eine sehr dichte Atmosphäre erschaffen konnten. Sie brauchten dafür keine Gitarren-Soundwände.
Fantastisch, genau das war auch mein Ziel mit diesem Stück. Es ist schön, das zu hören, dass es auch so angekommen ist und wahrgenommen wird.
Hatten Sie die Arrangements und Orchestrierungen beim Schreiben bereits im Kopf?
Ja, bei diesem Stück jedenfalls ganz gewiss. So sehr, dass ich es auch an einem Abend zur Gänze einspielen konnte. Ansonsten kommt es darauf an, was man schreibt. Es kommt auf die Musik an, die Komplexität und die Architektur dessen, was man vorhat – aber man hat schon einen Eindruck davon, während man es schreibt. Denken wir zum Beispiel an den Song „That’s The Way“ [auf „Led Zeppelin III“, Anm.] – ich wusste damals ganz genau, was ich mit dem Stück vorhatte, welche Overdubs ich machen wollte, dass ich es minimalistisch halten würde. Oder „Ten Years Gone“ [auf „Physical Grafitti“, Anm.], ich hatte das im Kopf bereits im Detail ausgearbeitet, Bass-Parts, die Gitarrenorchestrierung, alles. Bei den Gitarrensoli wollte ich das wiederum nie, die sollten nicht vorher ausgearbeitet und durchdacht sein, sondern wirklich als allerletztes – wie die Kirsche auf die Torte – raufkommen, das ganze summieren. Man will, dass die Leute sagen: Dieses Solo bringt den ganzen Song auf den Punkt, es hätte kein anderes Solo sein können für dieses Stück. So dachte ich damals.
Sie kamen ja bereits als erfahrener Studiomusiker in die Band, als Produzent experimentierten Sie gerade bei den ersten Alben sehr viel. Wie sah die Gewichtung zwischen Experiment und Erfahrung bei den späteren Alben aus?
Ich habe mir immer neue Herausforderungen gesucht, jeder von uns hat das getan. Jeder mit seiner eigenen Technik. Das hat nie aufgehört, dafür ist „Achilles Last Stand“ ein gutes Beispiel. Oder denken wir an „In Through The Outdoor“: John Paul Jones hatte dieses neue Keyboard, eine Yamaha Dreammachine… es klang wirklich wie eine Dreammachine. Stevie Wonder hatte beispielsweise so eines – und eben John Paul Jones, und er begann, ganze Songs damit zu schreiben. Das hatte er bei Led Zeppelin vorher nie getan. Wir hatten immer Keyboards dabei, vom ersten Album an: Das machte dann durchaus Sinn. Machen wir eben ein Album, das auf Keyboards aufgebaut ist, dachte ich. So hatte ich die Möglichkeit, meine Gitarre ganz anders einzusetzen, als ich das auf „Presence“ getan hatte. All das waren Herausforderungen, aber genau das gefällt mir. Ich mag Herausforderungen.
Was war ihr anfängliches Gefühl, als John Paul Jones mit diesem Keyboard ankam?
Ich fand es großartig. Ich hatte ja das ganze letzte Album geschrieben und die meisten davor, deswegen war ich froh, dass er diesmal dafür verantwortlich war. Das war toll. Sie müssen verstehen, damals gab es immer die Überlegung, ob es ein nächstes Album geben würde. Es machte vollkommen Sinn, ein Keyboard-Album zu machen.
Wie sehen Sie das Album heute?
(überlegt) Nun, es ist das letzte Studioalbum von Led Zeppelin. So sehe ich es. Es ist klanglich sehr anders. Wir haben es in den Polar Studios in Stockholm aufgenommen, das ABBA gehörte. Das Studio hatte alles an Outboard Equipment, was man sich vorstellen konnte. Was es aber nicht hatte, war Raumklang. Deshalb musste man sich diesen räumlichen Klang eben selbst schaffen. Es war einfach ein anderer Anspruch, an die Dinge heranzugehen, deswegen wurde es natürlich anders als alles andere, was wir bis dahin gemacht hatten. Aber bei Led Zeppelin unterschied sich ohnehin jeder Longplayer vom anderen.
Auf welchen Faktoren basierten damals die Entscheidungen, in welchem Studio gearbeitet wurde?
Nehmen wir die Zeit in Stockholm. Die Polar Studios waren international bekannt, ABBA natürlich auch. Diese zwei Dinge verband man miteinander, auch einige lokale schwedische Bands hatten dort aufgenommen. Die Leute, die Polar betrieben, wollten aber unbedingt internationale Bands dort haben, um nicht nur als das Studio von ABBA zu gelten. Sie riefen mich an und machten mir ein Angebot, meinten, sie können mit Studiozeit sehr großzügig verfahren, und fragten, ob ich mir das nicht vorstellen könne, dort aufzunehmen. Ich meinte „Klar“, und so begannen wir eben, dort zu arbeiten. Es erschien sinnvoll.
Haben Sie diesbezüglich auch gemischte Gefühle? Es muss ja auch viele Diskussionen gegeben haben, wie es stilistisch weitergehen würde.
Es gab mit John Bonham viele Gespräche, was wir als nächstes machen würden, aber es hat keinen Sinn, über diese Gespräche zu reden. Dieses Album erschien 1979, wir haben jetzt 2015. Wir leben jetzt in einer Zeit, wo all dieses Studiomaterial vom ersten Album bis zu „In Through The Out Door“ nun verdoppelt wurde. Es gibt jetzt viel mehr, als vorher da war. Das ist für mich das allerwichtigste, viel mehr, als das, was ich über spezifische Probleme denke. Es ist ein fantastisches Werk, das wir geschaffen haben, das vier unglaubliche Musiker reflektiert, in welcher Konstellation sie auch immer gespielt haben. Das Beste daran, unser Lifetime Achievement, ist, dass es ganze Generationen an Musikern inspiriert hat. Das ist cool. Es ist schön zu wissen, das geschafft zu haben.
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