Jimi take over
Jimi take over Vor 40 Jahren landete ein unbekannter 23jähriger Junge aus Seattle in London-Heathrow. Er war völlig abgebrannt und hatte außer seinem Gitarrenkoffer kein Gepäck. Sieben Tage später war er ein Star und wurde von den erfolgreichsten Musikern der swingenden Popmetropole umschwärmt. Charles R. Cross, Autor der neuen Hendrix-Biographie „Room Full Of Mirrors“, förderte bei seinen Recherchen in London erstaunliche Einblicke zu Tage.
Als Jimi Hendrix am 24. September 1966 um neun Uhr morgens am Flughafen London-Heathrow landete, hatte er nur eine kleine Tasche bei sich, die ein paar Klamotten zum Wechseln, ein Dutzend rosa Plastiklockenwickler und eine Tube Akne-Creme enthielt. Das war alles, was der damals 23jährige außer seiner heiß geliebten Gitarre besaß. Seine ersten Schritte auf englischem Boden wurden begleitet von Chas Chandler, ehemals Bassist der Animals, der als Manager Karriere machen wollte. Chandler hatte Hendrix in einem Club im Greenwich Village gesehen, sich prompt einen Milchshake über die Hose gegossen und fortan keine Zweifel mehr, daß Jimi sein Goldesel werden würde. Jimi selbst hatte sich drei Jahre als Mietmusiker in der schwarzen Soul-Szene durchgeschlagen und keinen Cent in der Tasche. Obwohl in Seattle geboren und ein Spätberufener an seinem Instrument (er fing erst mit 15 an, Gitarre zu spielen), war er mit Anfang 20 schon ein alter Hase, der mit Dutzenden Rhythm’n’Blues-Combos – darunter Little Richard und die Isley Brothers – kreuz und quer durch die USA gereist war. In New York hatte er, angetörnt von LSD und Bob Dylans „Blonde On Blonde“, versucht, als Solist durchzustarten. Als Chandler ihn entdeckte, spielte er vor 20 Teenagern, doch nach England mitkommen wollte er erst, als Chandler ihm ein Treffen mit Eric Clapton versprach.
Chandler verlor keine Zeit, aus Jimi einen Star zu machen. Auf dem Weg vom Flughafen fuhren sie bei Bandleader Zoot Money vorbei. Jimi versuchte zuerst, seine Stratocaster über Moneys Stereoanlage zu spielen. Als das fehlschlug, schnappte er sich einfach eine akustische Gitarre. Andy Summers, ein paar Jahre später als Police-Gitarrist auch nicht ganz unbekannt, wohnte im Keller, hörte den Trubel und kam hoch, um bei der informellen Party dabei zu sein. Als er sah, was Jimi mit seinen riesigen Händen auf dem schlanken Hals der Gitarre anstellte, war es um ihn geschehen – der erste Musikerkollege, der vor Jimis phänomenaler Technik den Hut zog.
Ein weiterer Bewohner des Hauses war die 2ojährige Kathy Etchingham, die bald ebenfalls zu Jimis privatem Fanclub gehören sollte. Sie arbeitete hin und wieder als DJ und war schon mit Brian Jones, Keith Moon und diversen anderen Rockstars um die Häuser gezogen. Moneys Frau versuchte, sie aufzuwecken, um ihr von der Sensation im Wohnzimmer zu berichten: „Wach auf, Kathy. Du mußt dir diesen Typen anschauen, den Chas aus Amerika mitgebracht hat. Er sieht aus wie der wilde Mann aus Borneo!“ Der Spitzname wurde später von den Londoner Boulevardblättern übernommen, weil er so gut zu Jimis strubbeligem Äußeren und seiner ethnischen Herkunft paßte, beides derart ungewöhnlich in der Londoner Musikszene, daß er auch eine anthropologische Neuentdeckung hätte sein können. Natürlich steckte Rassismus dahinter einen weißen Musiker hätte man nie derart beschrieben. Doch Jimi gefiel der Name, er klang geheimnisvoll und exotisch – Eigenschaften, die er weiter zu kultivieren hoffte.
Etchingham war zu müde, um einen Blick auf den wilden Mann zu werfen, doch später am Abend ging sie auf einen Drink in einen Club und entdeckte Jimi auf der Bühne. Als er anfing, Blues zu spielen, wurde es still im Raum, und die Leute hörten gebannt zu. „Es war einfach irre“, erzählt sie. „So einen wie ihn hatten sie noch nie gesehen.“ Eric Burdon von den Animals war einer der vielen Musiker, die an jenem Abend den Club besuchten: „Es war gespenstisch, wie gut er war. Man konnte nicht anders als zuhören.“
Beim Verlassen des Clubs lief Jimi, dem nicht klar war, daß englische Autos auf der anderen Straßenseite fahren, direkt vor ein Taxi. „Ich packte ihn am Kragen und zog ihn zurück und das Taxi streifte ihn nur“, erinnert sich Etchingham. Kurz darauf lud Jimi sie in sein Bett ein. Sie fand ihn charmant und attraktiv und willigte ein. Die beiden blieben zwei Jahre zusammen. Kathy kannte Gott und die Welt und wurde seine Eintrittskarte ins Swinging London der 60er Jahre. Freundschaften mit den Who, den Rolling Stones und vielen Anderen kamen durch sie zustande.
Jimi war noch nicht einmal 24 Stunden in England und hatte schon einen nicht unbeträchtlichen Teil der Londoner Musikszene beeindruckt, sein erstes englisches Mädchen ins Bett gekriegt und dem Tod ein Schnippchen geschlagen. Nach 23 Jahren Plackerei in Amerika, wo schwarze Rockmusiker ein Außenseiterdasein fristeten, hatte ein einziger Tag in London sein ganzes Leben verändert.
Chas Chandlers Partner war Michael Jeffrey, Manager der Animals und früherer Geheimdienstmitarbeiter, der Gerüchte, er habe als Spion auch Menschen umgebracht, nur halbherzig dementierte. Sie setzten eine „Musiker gesucht“-Anzeige in den „Melody Maker“, auf die sich ein 20 Jahre alter Gitarrist namens Noel Redding meldete. Er hatte noch nie zuvor Baß gespielt, doch Jimi mochte seine wolligen Haare, die ihn an Dylan erinnerten, und Redding wurde engagiert.
Trotzdem rief Chandler bei Brian Auger an, der die blueslastige Jazzband Brian Auger Trinity leitete, und machte einen ziemlich radikalen Vorschlag: „Ich hab da diesen phänomenalen Gitarristen aus Amerika. Es wäre perfekt, wenn der bei euch mitspielen würde.“ Auger lehnte dankend ab. Im Nachzug fragte Chandler, ob Jimi wenigstens am Abend mit der Band jammen könnte. Diesmal war Auger einverstanden.
Der Gitarrist von Trinity, Vic Briggs, stellte gerade sein Equipment auf, als Jimi auf die Bühne kam. Briggs spielte über einen der ersten Marshall-Verstärker, ein Versuchsmodell mit vier Sechs-Zoll-Lautsprechern kleiner als die späteren Marshall-Stacks, aber immer noch unglaublich klangstark. Als Jimi sein Instrument einklinkte, drehte er die Lautstärke zu Briggs großem Erstaunen auf Anschlag. „Ich hatte das Ding noch nie weiter als fünf aufgedreht“, erzählte Briggs später. Jimi bemerkte Briggs‘ entsetzten Blick und meinte: „Keine Sorge, Mann, ich hab die Gitarre runtergedreht.“ Dann gab er vier Akkorde vor und legte los.
Der Sound war eine Mauer aus Feedback und Verzerrung und ließ jedes Gespräch im Club schlagartig verstummen. „Du konntest die Kinnladen auf den Boden klappen sehen“, beschrieb Auger. „Im Gegensatz zu englischen Gitarristen wie Clapton, Jeff Beck oder Alvin Lee, bei denen man ihre Einflüsse noch raushörte – in England gab es eine Menge Anhänger von B.B. King, Albert King und Freddie King -, war Jimi völlig frei von Vorbildern. Er brachte etwas total Neues.“ Nur eine Woche nach Jimis Ankunft spielten Cream in London. Ein paar Tage zuvor hatte Chandler zufällig Clapton getroffen und ihn gefragt, ob er ihm Jimi irgendwann vorstellen könne. (Nicht zuletzt, um ein Versprechen einzulösen, das er Jimi in New York gegeben hatte.) Clapton erwähnte den Gig in London und schlug vor, Chandler solle seinen Schützling mitbringen. Vermutlich hatte er nur ein paar nette Worte hinter der Bühne im Sinn, doch Jimi kam mit Gitarre. Nach dem ersten Teil des Gigs drängelte sich Chandler nach vorne, holte Clapton an den Bühnenrand und fragte, ob Jimi mitspielen könne. Das Ansinnen war so grotesk, daß weder Clapton noch Jack Bruce oder Ginger Baker wußten, was sie darauf antworten sollten. Die meisten Leute hegten zuviel Ehrfurcht vor der angeblich besten Band Englands, als daß sie es gewagt hätten, um einen Jam zu bitten. Schließlich meinte Bruce, völlig entgeistert: „Klar, er kann sich in meinen Baß-Amp reinhängen.“
Jimi stöpselte seine Gitarre in einen freien Kanal und fing sofort mit Howlin‘ Wolfs „Killing Floor“ an. „Ich kannte Eric und wußte, daß er ein großer Fan von Albert King war, der eine langsame Version des Songs im Repertoire hatte“, erinnert sich Presseagent Tony Garland, der bei dem Konzert dabei war. „Doch als Jimi loslegte, war das Stück dreimal so schnell wie bei King, und man konnte sehen, wie Clapton die Luft wegblieb – er wußte einfach nicht, was als nächstes kommen würde.“ Clapton selbst beschrieb es später so: „Ich dachte: ,Mein Gott, das ist wie Buddy Guy auf Acid!‘ Jack Bruce erinnert sich vor allem an die Graffiti, die damals in London verkündeten „Clapton ist Gott“: „Das muß für Eric ziemlich hart gewesen sein, daß da dieser unbekannte Typ daherkam und ihm, der schließlich ,Gott‘ war, die Schau stahl.“ Auch Jeff Beck war an jenem Abend dabei und wußte anschließend, was ihm blühte: „Selbst wenn es Mist gewesen wäre – und es war keiner! -, hätte die Presse sich draufgestürzt.“ Jimi war erst acht Tage in London und hatte bereits einen Gott entthront.
Was noch fehlte, war ein Schlagzeuger. Chandler rief John“Mitch“ Mitchell an, der gerade aus Georgie Farnes Band ausgestiegen war, und bat ihn zum Vorspiel. Schon bei den ersten Proben erwies sich die neue Band als ohrenbetäubend laut. Einmal erschien sogar Filmkomponist Henry Mancini an der Studiotür und bat um ein bißchen weniger Lärm. Jeffrey fand schließlich auch einen Namen für das explosive Trio: The Jimi Hendrix Experience.
Genau einen Monat nach Jimis Landung schickte Chandler die Band ins Studio, wo sie „Hey Joe“ aufnahmen, die erste Single. Als B-Seite hatte Jimi „Mercy, Mercy“ vorgeschlagen, doch Chandler sagte ihm, er müsse eigenes Material schreiben, wenn er auch an den Verlagsrechten verdienen wolle. Jimi fühlte sich als Songwriter zwar noch etwas unsieher, doch nach ein wenig Zuspruch von Chandler schrieb er „Stone Free“, seinen ersten vollständigen Song, an nur einem Abend.
Danach fuhr die Band nach München, wo Jeffrey sie für vier Tage ins „Big Apple“ gebucht hatte. Sie spielten zwei Konzerte pro Abend, was bis auf weiteres der Standard bleiben sollte. Jimi absolvierte all seine Tricks – mit den Zähnen spielen, Gitarre hinter dem Rücken und so weiter, jeden Abend zweimal, und bei jedem Gig reagierte das Publikum begeisterter: „Damals wurde uns zum ersten Mal klar, daß etwas Großes bevorstand“, so Redding. An einer Stelle der Show spielte Jimi einen langen Akkord und sprang dabei ins Publikum. Eines Abends warf er, bevor er auf die Bühne zurückkletterte, die Gitarre voran und zerbrach dabei den Hals. Wütend über den Schaden und die Erkenntnis, daß ihn ein neues Instrument zwei Monatsgagen kosten würde, packte er die Gitarre am Hals, hob sie über den Kopf und schmetterte sie mit
voller Wucht auf den Boden – eine der wenigen Aktionen des Abends, die nicht einstudiert waren.
Das Publikum rastete komplett aus und zerrte ihn von der Bühne. Angesichts dieser Reaktion beschloß Chandler spontan, den Gitarren-Exitus zum ständigen Bestandteil der Show zu machen. Und so mußte, wenn alle anderen Gimmicks versagten, die Gitarre (meist nur notdürftig wieder zusammengeflickt) dran glauben. Außerdem konnte Jimi so den Ärger und die Frustration vieler erfolgloser Jahre loswerden – der Junge, der so lange auf seine erste Gitarre hatte warten müssen, zertrümmerte sie jetzt öffentlich auf der Bühne.
Im November 1966 wurde Jimi 24 Jahre alt. Trotz wachsender Berühmtheit trug er immer noch einen zusammengefalteten Geldschein im Stiefel, ein Relikt aus den Jahren der Armut. In Amerika war es ein Silberdollar gewesen, in England wurde daraus eine Pfundnote, die nach einiger Zeit aus dem Stiefel in sein Hutband wanderte. Zu Kathy sagte er: „Wenn du schon mal absolut leere Taschen gehabt hast, vergißt du das nie wieder.“
Beim Ausprobieren eines Studios traf Jimi zum ersten Mal die Who. „Er sah ziemlich zauselig aus“, erinnert sich Pete Townshend. „Ich war nicht gerade beeindruckt.“ Jimi versuchte, Keith Moon zu ignorieren, der ein ziemliches Schandmaul war und immer wieder brüllte: „Wer hat den Wilden hier reingelassen?“ Townshend gab Jimi ein paar Tips, wo man gute Verstärker kaufen konnte, fragte sich aber gleichzeitig, wofür dieser Ami eigentlich so teures Equipment brauchte.
Ein paar Tage später, als er Jimi auf der Bühne sah, wußte er, warum: „Ich wurde sofort sein Fan und ging zu allen Konzerten in London. Es waren sechs, glaube ich.“ Obwohl Jimi immer noch in kleinen Clubs wie dem „Upper Cut“ oder dem „Speak easy“ spielte und nicht mehr als 25 Pfund Gage pro Abend bekam, galt er schon als heißester Gitarrist der Stadt. Musiker aus Bands, die viel bekannter waren als die Experience – darunter die Rolling Stones und die Beatles – bemühten sich um seine Bekanntschaft. Brian Jones wurde Jimis größter Mentor und überredete andere Stars, zu seinen Gigs zu gehen. An einem Abend standen Clapton und Townshend völlig hingerissen nebeneinander im Publikum. Als Jimi „Red House“ spielte, berührten sich zufällig ihre Finger, und Clapton nahm Townshends Hand. So standen die beiden da, händchenhaltend wie zwei Schulmädchen, die zusammen einen besonders spannenden Film anschauen.
Ein andermal lud Clapton Jimi in seine Wohnung ein. Jimi kam mit Kathy, und obwohl die Stimmung nicht unfreundlich war, redeten Eric und Jimi nur wenig miteinander. „Es war eine ziemlich anstrengende Angelegenheit“, erinnert sich Etchingham. „Beide hatten soviel Respekt voreinander. Wir mußten aufpassen, daß es im Gespräch immer nur um Musik ging.“ Als die beiden Stunden später wieder gingen, sagte Jimi zu seiner Freundin: „Puh, das war harte Arbeit.“ LSD war damals noch eine Neuheit in London und gehörte im Tourbus der Experience noch nicht Zur Standardausstattung. Die Band favorisierte billigen Speed, der ihnen half, die Nacht über wach zu bleiben. In jenem Winter spielten sie überall in England, um Geld für Studiozeit zu verdienen. Es war nicht ungewöhnlich, daß sie unmittelbar nach einem Gig in Nordengland nach London zurückrasten, um frühmorgens ins Studio zu gehen, wenn die Miete billiger war. „Wir spielten in Manchester und fuhren danach nach London“, erklärt Redding. „Dann nahmen wir um drei Uhr morgens ein paar Stücke auf, gingen um fünf ins Bett und fuhren ein paar Stunden später für ein weiteres Konzert zurück Richtung Norden. Am nächsten Morgen standen wir dann wieder in London im Studio. So entstand unser erstes Album.“
An dem Tag, an dem Hendrix & Co. für die Fernsehshow „Ready Steady Go!“ vor der Kamera standen, nahmen sie auch „Red House“, „Foxey Lady“ und „Third Stone From The Sun“ auf. Studiotechniker Mike Ross war sprachlos, als der Roadie vier Marshall-Stacks in die Kabine trug. Er fragte Jimi, ob er alle acht Verstärker abnehmen sollte, aber Jimi meinte, ein einziges Mikro etwa vier Meter entfernt würde genügen. Als die Band anfing, flüchtete Ross sofort in den Kontrollraum: „Das war das Lauteste, was ich je im Studio gehört habe. Es tat richtig weh in den Ohren.“
„Red House“ war einer von vielen Songs, an denen Jimi seit seinen New Yorker Club-Tagen gearbeitet hatte. Im Januar ’67 schrieb er, getrieben von dem verzweifelten Wunsch, schnell ein Album zusammenzukriegen, jeden zweiten Tag ein Stück. Die Ideen flogen ihm nur so zu.
Bestes Beispiel war „The Wind Cries Mary“. Am Nachmittag des 10. Januar gab Jimi in seiner Wohnung dem „Melody Maker“ ein Interview. Am selben Abend beschwerte er sich über Kathys Kochkünste. Das tat er öfters, doch dieses Mal wurde es ein übler Streit. „Ich fing an, mit Töpfen zu werfen, und stürzte aus der Wohnung“, erzählt Kathy. Als sie am nächsten Tag zurückkam, hatte Jimi „The Wind Cries Mary“ für sie geschrieben. Mary war Kathys zweiter Vorname.
Die Aufnahmen verliefen ähnlich spontan. Nach einer Session waren gerade noch 20 Minuten übrig, und Chandler fragte Jimi: „Hast du noch was auf Lager?“ Jimi zog den frisch geschriebenen Song raus, und dann ging alles ganz schnell. Jimi spielte einfach die Harmonien“, so Redding, ,“als ehemaliger Gitarrist hatte ich ziemlich bald raus, was er wollte, und als das Feeling stimmte, nahmen wir das Ding einfach auf. Und das alles ohne besondere Hektik.“ In den 20 Minuten Aufnahmezeit hatten sogar Jimis Gitarren-Overdubs noch Platz. Der Song wurde ihre dritte Single.
Niemals in ihrer Geschichte war die Jimi Hendrix Experience so produktiv wie am 11.Januar 1967. An jenem Tag entstanden im Londoner De Lane Lea Studio gleich mehrere Stücke, darunter auch „Purple Haze“. Jimi hatte den Text bei einem Konzert zwei Wochen zuvor geschrieben, und obwohl der Song immer mit LSD in Verbindung gebracht wird, bestand Jimi darauf, er sei durch einen Traum inspiriert, den er nach der Lektüre des Romans „Night of Light: Day of Dreams“ von Philip Jose Farmer gehabt hatte. Eine frühere Fassung enthielt die Zeile „Jesus saves“. Später beschwerte er sich, bei der Single – ihrer zweiten – sei der Text gekürzt worden. „Das Original war ungefähr tausend Wörter lang“, sagte er in einem Interview. „Das macht mich richtig sauer, denn eigentlich ist es gar nicht mehr ,Purple Haze‘.“
Nach der langen Studio-Session spielte die Band zwei Gigs im ,Bag o‘ Nails“, einem modrigen Kellerclub, der aussah, als stammte er aus einem Dickens-Roman. An jenem Abend versammelte sich dort die Creme de la Creme der Londoner Rock-Szene: Eric Clapton, Pete Townshend, John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr, Mick Jagger, Brian Jones, Beatles-Manager Brian Epstein, John Entwistle, Donovan, Georgie Fame, DennyLaine, Terry Reid, Jeff Beck, Jimmy Page, Lulu, die Hollies, die Small Faces und die Animals.
Sänger Terry Reid, der englische Teenager-Traum, hatte die Experience zuvor noch nie gesehen und berichtete später, es sei ihm vorgekommen, „als wären alle Gitarristen der Welt an dem Abend dort gewesen“. Als er Platz nahm, beugte sich Paul McCartney zu ihm rüber: „Hast du den Typ schon mal erlebt? Große Klasse, sag ich dir.“
Jimi begann mit der Ankündigung, sie würden einen Song covern, der Nummer Eins in den Charts war. Reid verdrehte die Augen: „Wir dachten, wenn das Stück ein Hit ist, kann es nichts taugen, denn wir haßten grundsätzlich alles, was auf den ersten zehn Plätzen der Charts stand.“ Dann nannte Jimi den Namen des Songs: „Wild Thing“. „,Wild Thing‘ war die Sorte Pop-Schrott, die alle ablehnten“, erklärte Reid. „Doch Jimi prügelte das bescheuerte Teil windelweich und flog damit in den Weltraum.“ Irgendwann ging Reid aufs Klo, und auf dem Rückweg kam ihm Brian Jones entgegen, der warnte: „Da vorne ist alles naß.“ Reid entgegnete: „Was meinst du? Hat jemand was verschüttet?“ Worauf Jones grinste: „Nein, das sind alles Tränen, die die anwesenden Gitarristen vergießen.“
Obwohl Jimi mit Kathy Etchingham zusammenlebte, war Treue nicht gerade seine Stärke, und die Sache wurde nicht einfacher dadurch, daß Kathy bei jedem Interview die Wohnung verlassen mußte, weil Chandler es für passender hielt, Jimi in der Presse als Junggesellen zu präsentieren. Mitunter waren die Journalisten weiblich, und Kathy mußte mehr als einmal bei ihrer Rückkehr halbnackte Mädchen aus der Wohnung schmeißen. Trotz (oder wegen) seiner eigenen Defizite war Jimi ungeheuer eifersüchtig. Besonders wenn er getrunken hatte, bildete er sich ein, jeder Mann wäre hinter Kathy her. Eines Abends erwischte er sie in einem Club am Telefon und dachte, sie spräche mit einem anderen Mann. Er begann, mit dem Hörer auf sie einzuschlagen, und hörte erst wieder auf, als John Lennon und Paul McCartney, durch Kathys Geschrei alarmiert, herbeieilten und ihm das Ding aus der Hand nahmen.
Normalerweise war Jimi kein gewalttätiger Mensch, aggressiv wurde er eigentlich nur unter Alkoholeinfluß. Doch sein sprunghaftes, fast kindliches Wesen konnte denen, die ihm nahe standen, ebenso wehtun. Eines Nachts erwischte Kathy Jimi in der Frauentoilette beim Sex mit einem Mädchen, das er nach der Show kennengelernt hatte. Sie war dergleichen schon gewohnt und reagierte nur noch resigniert: „Beeil dich, sonst verpassen wir den Zug zurück nach London.“ Jimis Ausrede: „Sie wollte ein Autogramm!“
Im Frühjahr stellt die Band ihr Debütalbum fertig und nannte es „Are Tou Experienced“? Entstanden war es in verschiedenen Studios, wann immer Hendrix und seine Mannen Zeit und Geld für eine Session übrig hatten. Um die Sache zu beschleunigen, Heß Chandler die Band glauben, sie probten noch, während er sie bereits aufnahm. „Chas sagte immer: ,Ok, Jungs, nehmt euch das nochmal vor“‚, erzählte Redding.“Dann spielten wir es durch, und Chas meinte: ,Ok, gleich nochmal.‘ Tatsächlich hatte er aber den ersten Take schon aufgenommen, ohne unser Wissen. Nach dem zweiten Durchlauf gingen wir raus, eine rauchen, und er sagte: ,Wir haben’s im Kasten.'“
Davor gab es noch einmal eine Tour, diesmal mit den Walker Brothers, dem späteren Schnulzenkönig Engelbert Humperdinck und einem sehr jungen Cat Stevens. Jimi eröffnete den merkwürdigen Reigen und setzte alles daran, den besser bekannten Bands die Schau zu stehlen. Am ersten Abend scherzte er hinter der Bühne: „Vielleicht sollte ich einen Elefanten auseinandernehmen.“ Journalist Keith Altham hatte eine bessere Idee: „Schade, daß du deine Gitarre nicht in Brand setzen kannst.“ Sofort schickte Jimi einen Roadie los, Feuerzeugbenzin besorgen. Als das Konzert losging und die Experience ihr kurzes Set mit dem Song „Fire“ beendeten, goß Jimi Benzin auf das Instrument und warf ein brennendes Streichholz drauf. Nach drei Versuchen ging die Gitarre in Flammen auf. Jimi wirbelte sie herum wie eine Windmühle, bevor ein Bühnenarbeiter angerannt kam und das Feuer löschte. Ein hinter der Bühne postierter Feuerwehrmann hielt Jimi danach einen langen Vortrag. Nur i ooo Leute hatten die kleine Einlage miterlebt, die gerade mal 30 Sekunden dauerte, doch die Presse machte eine Legende daraus. Ab Mitte 1967 landete alles, was Jimi tat, in den Schlagzeilen. Einmal wurde er von einem Fan verfolgt, der es schaffte, ihm eine Haarsträhne abzuschneiden – selbst das war einen Artikel wert. In den Anzeigen für seine Konzerte hieß es jetzt: Dcm’t miss the man who is Dylan, Clahton and James Brown all in one.
Anfang 1968 hatte die Jimi Hendrix Experience diesseits und jenseits des Atlantik Superstarstatus. Nur ein Publikum hatte Jimi noch nicht erobert: seine Familie in Seattle. Seine Heimatstadt hatte er seit fast sieben Jahren nicht mehr gesehen, seit er zum Militär gegangen war, um einer Gefängnisstrafe für Autodiebstahl zu entgehen.
Auf ihrer ersten US-Tour 1968 spielten sie in 49 Städten, doch Lampenfieber hatte Jimi nur vor dem Gig in Seattle am 12. Februar. Seit er das letzte Mal dort gewesen war, hatte sein Vater AI wieder geheiratet und Jimis Familie um eine Stiefmutter und fünf Stiefgeschwister vergrößert. Jimis Bruder Leon war noch ein Kind gewesen, als Jimi wegging; jetzt war er 20 Jahre alt und arbeitete als Rausschmeißer in einer Billard-Halle. Jimi war sich durchaus bewußt, daß er ohne Musik wahrscheinlich eine ähnliche Laufbahn eingeschlagen hätte. Was den Druck noch verstärkte: Das Konzert in Seattle war, obwohl erst in letzter Minute gebucht und mit nur einer Woche Werbevorlauf, bis auf den allerletzten Platz ausverkauft.
Als die Band in Seattle ankam, verließ Jimi das Flugzeug als letzter. Leon war, wie der Rest der Familie, überrascht über das Äußere seines großen Bruders: „Er hatte diesen riesigen Hut auf und trug ein rotes Hemd aus Samt. All diese Haare, er sah richtig verwegen aus!“ Jimi hatte vorher verlauten lassen, er habe Angst, sein Vater werde ihn packen und ihm die Haare absäbeln. Doch AI nahm einfach Jimis Hand und sagte: „Willkommen zu Hause, Sohn.“
Während der Rest der Band ins Hotel fuhr, wurde Jimi zum Haus seines Vaters gekarrt, wo er für Freunde und Nachbarn Hof hielt. Einige der Gäste fingen an, Als Bourbon zu trinken, doch als Jimi davon angeboten bekam, bat er zuerst seinen Vater um Erlaubnis. Jimis Tante Delores kam vorbei, als Jimi gerade Geschichten aus Swinging London zum Besten gab. „Er sah so erwachsen aus“, erinnerte sich Delores. „Wie ein Hippie!“ Jimi fragte nach Freunden aus der Umgebung und erfuhr, daß viele in Vietnam stationiert waren. Afroamerikaner waren dort überdurchschnittlich zahlreich vertreten, und Jimi wußte, daß auch er dort hätte landen können, wenn er den Militärdienst nicht rechtzeitig quittiert hätte.
Als es Zeit für das Konzert wurde, bat er eine alte Bekannte, Ernestine Benson, ihm die Haare zu kräuseln. „Weißt du, was mein Problem ist?‘, fragte er sie. „Ich muß Pillen nehmen, um schlafen zu können, und Pillen, um wach zu bleiben.“ Als er über die Härten des Tourlebens sprach, klang es, als würde er gleich anfangen zu weinen. Ernestine gab ihm Ratschläge: „Du mußt ein bißchen kürzer treten.“ Obwohl Jimi jetzt erwachsen war, schien es Ernestine, als habe sich nicht viel geändert seit den Zeiten, als er noch als Schlüsselkind bei ihr auf der Veranda stand.
Während der Show saß Jimis gesamte Familie in der ersten Reihe. Eine seiner neuen Stiefschwestern hielt ein Schild hoch, auf dem stand: „Welcome home Jimi, love, your sisters“. Die Ehrenplätze hatten jedoch einen großen Nachteil: Sie befanden sich direkt vor den Lautsprechern, und Jimis Vater verbrachte den größten Teil des Abends mit den Fingern in den Ohren. Ansonsten Business as usual die Band spielte neun Songs, und das Publikum jubelte am lautesten, als Jimi die Namen der örtlichen High Schools aufzählte.
Nach dem Gig gab es eine Party im schicken „Olympic Hotel“, Lichtjahre entfernt von den Bruchbuden, in denen Juni als Kind gewohnt hatte. Jimi bestellte Steak beim Room Service und bestand darauf, daß seine Familie dasselbe tat – vielleicht das erste Mal in seinem Leben, daß er seinem Vater ein Essen ausgeben konnte. Leon steckte er 50 Dollar zu und zu AI sagte er, wenn er irgendetwas brauche, müsse er es nur sagen. Gegen Mitternacht erinnerte sein Manager ihn an den Auftritt in der „Garfield High School“ am nächsten Morgen, doch statt einigermaßen früh ins Bett zu gehen, spielte Jimi die ganze Nacht mit Leon „Monopol/‘ und vernichtete die restlichen Bourbon-Bestände.
Um halb acht Uhr morgens kam das Auto, das ihn zur Schule bringen sollte. Jimi hatte keine Sekunde geschlafen und trug immer noch seine Bühnenklamotten. In der Schule stellte sich heraus, daß niemand es geschafft hatte, Redding und Mitchell wach zu kriegen, undjimis sowieso schon miese Laune kippte endgültig. „Er konnte kaum reden, geschweige denn spielen“, erzählte später Schulleiter Frank Fidler, der Jimi seit der Grundschule kannte. Der Auftritt wurde abgeblasen, stattdessen schlug Pat O’Day eine Frage-und-Antwort-Session mit den Schülern in der Aula vor.
Zunächst gab es eine kurze Rede von O’Day, der den Kindern erzählte, Jimi sei früher auch ein „Garfield Bulldog“ gewesen, aber dann zu internationalem Ruhm aufgestiegen. „Die Kids fingen nach kurzer Zeit an, dazwischenzuquatschen“, so Peter Riches, der Fotos machte. „Viele hatten offensichtlich keine Ahnung, wer Jimi war.“
Jimi, dessen Musik für schwarze Radiosender oft als zu weiß und für viele Rockstationen als zu schwarz galt, spürte, daß die ethnische Kluft an seiner Schule tiefer war als zu seiner Zeit. .“Garfield‘ war damals stark politisiert, die Black-Power-Bewegung stand auf dem Höhepunkt“, erinnert sich Vickie Heater, ein ehemaliger Schüler. „Die Kids konnten mit diesem merkwürdigen Hippie nichts anfangen.“ Jimi tat nichts, um diesem Eindruck entgegenzuwirken. Seine Ansprache bestand aus dem gemurmelten Satz: „Ich bin hier und da und überall gewesen und irgendwie klappt alles ganz gut“, einer langen Pause und der Bekundung, er habe „Purple Haze“ für „Garfield“ geschrieben (die Schulfarben waren lila und weiß). Danach verstummte er. Das Publikum begann zu pfeifen. O’Day schnappte sich das Mikrophon und forderte zu Fragen auf. Ein Junge hob die Hand und fragte: „Wie lange bist du schon von ,Garfield‘ weg?’Jimi war seit genau siebeneinhalb Jahren weg, doch die Frage setzte ihn schachmatt. Er senkte den Kopf und nuschelte: „Oh, ungefähr 2000 Jahre.“ Ein anderer Schüler fragte: „Wie schreibst du deine Songs?“ Jimi schaute eine Weile zu Boden. Dann antwortete er: „Ich werde jetzt gleich auf Wiedersehen zu euch sagen und zur Tür rausgehen und in meine Limousine steigen und zum Flughafen fahren. Und wenn ich aus der Tür rausgehe, ist die Veranstaltung zu Ende und die Glocke läutet. Und wenn ich die Glocke läuten höre, werde ich einen Song schreiben. Vielen Dank.“ Mit diesen Worten verließ er den Saal. Der gesamte Besuch hatte nicht einmal fünf Minuten gedauert.
Ab April 1968 wohnte Jimi in New York und arbeitete im „Record Plant Studio“ an seinem dritten Album, „Electric Ladyland“. Die Aufnahmen zu diesem späteren Meisterwerk waren eine Sisyphus-Arbeit, die Jimi und die Band aufzureiben drohte. Und nach den Sessions, die oft bis spät in die Nacht gingen, wurde im Hotelzimmer gefeiert bis zum Abwinken. Obwohl ihre Platten sich immer noch gut verkauften, gab die Band ein Vermögen für Parties und Studiozeit aus. Jimi, der mit dem Sound der ersten beiden Alben nicht mehr zufrieden war, bestand darauf, jeden Song mehrmals aufzunehmen. Statt der strengen, aus der Not geborenen Disziplin der Anfangsjahre wurde jetzt relaxt herumprobiert, und weil Jimi es sich nicht nehmen ließ, auch nach einem langen Aufnahmetag noch zum Jammen durch die Clubs zu ziehen, deren Besucher er dann wieder ins Studio mitnahm, wurde es dort allmählich immer voller.
Anfang Mai verließ Redding, der das Gewusel und die ständigen Streitereien satt hatte, eines Tages wutentbrannt das Studio – und verpaßte prompt die Aufnahmen zu „Voodoo Chile“. Die Session war, typisch für jene Phase, die Fortsetzung eines Club-Jams. Als der Laden zumachte, zog die ganze Meute weiter ins „Record Plant“. „Es waren mindestens 20 Leute, und die meisten gehörten dort gar nicht hin“, erinnert sich Jefferson Airplane-Bassist Jack Casady. Gegen halb acht Uhr morgens begannen die „richtigen“ Aufnahmen mit Jimi an der Gitarre, Mitch Mitchell am Schlagzeug, Traffic-Keyboarder Steve Winwood an der Orgel und Casady am Baß. Sie brauchten nur drei Anläufe, dann war „Voodoo Chile“, mit 15 Minuten Hendrix‘ längste offizielle Studioaufnahme, im Kasten.
Die anschließende US-Tour sollte mit einem Auftritt beim „Miami Pop Festival“ enden. Die ins Wasser gefallene Show war nur ein kleines Beispiel für das Chaos, das die Band ständig begleitete. Obwohl jeder der drei mit dieser Tour eine halbe Million Dollar verdiente – sie gehörten damals zu den bestbezahlten Rockbands überhaupt -, gaben sie das Geld schneller aus, als sie es verdienten. Als die Festival-Veranstalter an jenem Abend die Gage schuldig blieben, mußte Jimi aus einem Hotelfenster steigen, weil er die Rechnung nicht zahlen konnte. Und so verließ er den Laden ähnlich, wie er zwei Jahre zuvor in London angekommen war – mit kaum mehr als seiner Gitarre in der Hand.