Jewel
Wie heißt’s so schön? „Fürs erste Album hast du ein ganzes Leben lang Zeit – fürs zweite nur ein paar Wochen zwischen Promo-Streß und Tour-Hetze.“ Gäbe es sie nicht, hätte man Jewel Kilcher also erfinden müssen, um diese beliebte Business-Weisheit ins Leere laufen zu lassen: Wohl keine andere Künstlerin der jüngeren Vergangenheit durfte ihr vom sleeper zum US-Multi-Platin-Seller avanciertes Debütwerk „Pieces Of You“ gleich länger als drei Jahre promoten. Aber der allmählich nachziehende europäische Markt will halt erst mal bearbeitet und bedient sein, bevor der Nachfolger heraus darf.
Sollte Jewel Kilcher ob dieses Umstands bereits genervt sein, so ließ sie sich davon nichts anmerken. Oder sie ist auch eine blendende Schauspielerin: Mit Verve und Hingabe stürzte sich die ganz in schlichtes braun gehüllte Wahlkalifbrnierin aus Alaska in Songs wie „You Were Meant For Me“, „Foolish Games“ und „Who Will Save Your Soul“, als gelte es, als Namenlose in einem Coffeeshop in Irgendwo/USA zu reüssieren. Echte Überzeugungsarbeit aber mußte die Schöne mit der Aura einer Schulsprecherin aber in einem Ambiente, das zwischen Bädertour-Muschel und Gymnasial-Aula oszilliert, gar nicht mehr leisten.
Beim dritten Hamburg-Auftritt innerhalb eines guten Jahres fraß ihr die meist jugendliche Fan-Gemeinde aus der Hand und gluckste die wohlfeilen Lacher ab, die Jewel in der Anmoderation zum politisch-korrekten Schmuckstück „Pieces Of You“ clever lockte. Ansonsten: Jewel kam, sah (ein volles Haus) und sang. Ihre Stimme ist – neben der auch andere Instinkte weckenden Erscheinung-zweifellos ihr größtes Kapital: Vom naiven Lolita-Timbre über laszives Schleifen („Morning Song“) bis zu mächtigem Raunen weiß sie sämtliche Register zu ziehen. Doch bisweilen bleibt nur die Frage: Ist da überhaupt noch ein Song?
Zum Schluß wagte sie gar einen Ausflug in italienisches Belcanto und jodelte noch ein bißchen. Paßte auch irgendwie.