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Eric Pfeils Pop-TagebuchKolumne

Jetzt ist es passiert: Menschenverachtende Gewaltexzesse im Pop-Tagebuch!

Eigentlich sollte dieser Text „Der Schamane mit der Tiefkühlgitarre“ heißen, doch es kam anders. Der Reihe nach ...


Folge 55

Falls Ihnen, da nun die Fußball-Weltmeisterschaft unweigerlich vorüber ist, gerade ein bisserl fad sein sollte und Sie zufällig eine E-Gitarre und eine Tiefkühltruhe zur Hand haben sollten, machen Sie doch einfach mal Cyro Tuning! Was das sein soll? Nun, als Cyro Tuning bezeichnet man das Tiefkühlen von E-Gitarren bei minus 180 Grad zum Zwecke der Klangoptimierung. Soweit so vernünftig. Falls Sie also angenommen hatten, bisweilen seltsamen Beschäftigungen nachzugehen, können sie sich eigentlich wieder ganz entspannt zurücklehnen: Menschen, die Cyro Tuning betreiben, schlagen ihre Zeit mit weitaus seltsamerem Kram tot. Aber Musiker treiben ja oft komische Dinge mit ihren Instrumenten. Ich war mal auf einem Konzert von Tom Liwas sehr geschätzter Band Flowerpornoes. Liwa, seit einiger Zeit esoterischem Ulk nicht unaufgeschlossen, betrat vor dem Konzert die Bühne, öffnete eine Flasche mit einer indischen Haar-Tinktur (!), nahm einen großen Schluck daraus (!!) und spuckte (!!!) dann wie in einem Weihe-Zeremoniell die ganze Bühne, vor allem aber seine schöne alte Fender-Gitarre damit voll. Im Publikum: nur völlig konsternierte Gesichter, gelacht hat niemand. Ich durfte zuvor übrigens in einer Privatsitzung eine schamanische Behandlung bei Liwa genießen, aber das werde ich hier und heute nicht breittreten. Das bleibt vorerst zwischen dem geschätzten Musiker und mir. Mit sehr viel Geld könnte man mich vermutlich umstimmen.

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Vor ein paar Tagen las ich, dass Robbie Williams bei einem Konzert so unglücklich gestürzt sein soll, dass er dabei einem Fan den Arm brach. Ich musste schlagartig an einen tränentreibenden Text denken, den vor Jahren die englische „Q“ veröffentlichte. Da wurden unter dem Titel „Fantastic Voyage“ die schönsten Seltsamkeiten aufgelistet, die sich Bob Dylan in den Jahren 1990 bis 2006 geleistet hat. Meine Lieblingsanekdote ist jene, der zufolge Dylan bei einem gemeinsamen Auftritt mit Van Morrison, Elvis Costello und Carole King im Jahr 1995 in Dublin die letztgenannte Künstlerin so freudig in den Arm nahm, dass sie von der Bühne stürzte und sich den Arm brach. Tja. Auch bemerkenswert fand ich, dass der beliebte Liedermacher im August 2002 beim Apple & Eve Newport Festival mit angeklebtem Bart und Langhaarperücke vor die Zuschauer trat. Im Januar 1993 wiederum trug sich dies zu: „Invited to perform at President Clinton’s inauguration ceremony. Dresses as a cowboy and murders „Chimes of Freedom“, much to Hilary Clinton’s amusement and Chelsea Clinton’s bafflement.“

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Was nervt:

Wenn man sich innerhalb eines kurzen Zeitraums ein Album auf dem Flohmarkt doppelt kauft, den Zwiekauf daheim dann feststellt und man beide Alben komplett durchhören muss, um festzustellen, welches Exemplar besser erhalten ist und welches man wieder abstoßen sollte. Vor allem nervt diese Doppelhörerei, wenn man eigentlich gerne gerade ganz andere Musik hören würde.

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Im Falle des doppelt gekauften Leonard Cohen-Werks „Various Positions“ ist der Fall relativ schnell klar: Das zuletzt erstandene Exemplar knistert nämlich so lautstark, dass ich es gerne Hörspiel-Geräuschemachern zur Verfügung stellen würde, die gerade in der Verlegenheit sind, ein Lagerfeuer in einem Wildwest-Hörspiel imitieren zu müssen. Gibt es Wildwest-Hörspiele? Nun, früher gab es sie, von der anbetungswürdigen Firma Europa. Heute verlangen grimmige Geschäftemacher für diese Produkte Unsummen auf Börsen und Trödelmärkten. Man kauft so etwas dann womöglich in einem törichten Anflug von Sentimentalität. Daheim legt man es auf und stellt fest: total mies erhalten, Lagerfeuerknistern bis dorthinaus. Man rast dann zum grimmigen Geschäftemacher auf den Trödel zurück, streckt ihm streng den Zeigefinger entgegen und presst durch die Zähne: „Mein Wildwest-Hörspiel knistert. Ich will meine 190 Euro zurück!“ Doch der Geschäftemacher ist nicht dumm und antwortet: „Guter Mann, das ist kein Knistern, sondern ein Lagerfeuer, wie es in Wildwest-Hörspielen a) üblich war und b) meist vom ebenso kultisch verehrten wie genialen Seventies-Geräuschemacher Gugliamo Buonanotte mit seinen alten Leonard-Cohen-Platten hergestellt wurde.“

Kurz lässt man sich von dieser Antwort blenden, dann aber bemerkt man messerscharf: „Moment, aber das Lagerfeuer auf dieser Platte knistert auch an Stellen, wo gar kein Lagerfeuer knistern kann. Etwa in Szenen, wo geritten wird, der Geräuschemacher mithin also gerade also mit Pferdeimitationen alle Hufe voll zu tun hat. Wie bitte soll man auf einem Pferd ein Lagerfeuer an …“ Doch da ist der Händler längst weggelaufen. Man eilt hinterher und bekommt ihn auf Höhe eines Retro-Möbel-Standes zu fassen. Ein hässlicher Faustkampf entbrennt, der sich flugs zu einem hässlichen Messerkampf ausweitet. Bald hat einer der beiden blutüberströmten Kämpfer dem anderen ein Auge … Und genau an dieser Stelle wollen wir uns aus dem Geschehen ausblenden, denn für Gewaltexzesse scheint mir das Pop-Tagebuch einfach nicht der richtige Ort.

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