Jenseits von Starbucks
In 25 Jahren hat Steve Wynn schon so manche „Touristen-Platte“ gemacht, wie er es selbst gern nennt. Mitte der 90er Jahre war der 48-jährige Wahl-New Yorker aus Los Angeles für die Band Gutterhall nach Richmond/Virginiagepilgert, kurz darauf nach Boston, um auf dem Solo-Album „Melting In The Dark“ in den Spuren seines Dream Syndicate zu wandeln. Und dann war da in der ersten Hälfte dieser Dekade gleich eine ganze Album-Trilogie, die sein Schaffen in Tucson/Arizona dokumentiert. Doch die drei Wochen in Ljubljana, die letzten Herbst sein neues Werk „Crossing Dragon Bridge“ hervorbrachten, nehmen selbst in diesem musikalischen Exil-Reigen eine Sonderstellung ein.
„Allein für so lange an einen Ort fahren, nur um dort Musik zu machen – das hatte ich noch nie gemacht“, rekapituliert Wynn, der in Slowenien seine „Loner-Seite“ ausleben, eine „ganz reine, direkte künstlerische Erfahrung“ erleben und obendrein eine schöne Stadt kennenlernen konnte. „Ljubljana ist ja fast noch unberührt. Kein Starbucks! Es fühlte sich so zeitlos an.“
Produzent Chris Eckman residiert dort schon länger. Die Idee zur Zusammenarbeit reicht sogar noch weiter zurück, konnte aber erst realisiert werden, als Wynn „nach fünf Jahren mit meiner Band mal was anderes machen musste, um nicht durchzudrehen“. Obschon Generationsgefährten, hatten Eckman und Wynn zuvor selbst auf sich immer wieder kreuzenden Wegen „vielleicht mal fünf Minuten am Stück miteinander geredet“. Doch gerade diese fast anonyme Basis ohne gemeinsame Geschichte gab Wynn „das Gefühl, dass alles möglich ist. Chris wollte nur mich und meine Stimme, alles andere sollte sich ergeben. Das war neu für mich. Gute Freunde und Bandmitglieder können einen ja auch mal einschüchtern“.
Ein paar Songs wollte Eckman schon auch. Wynn schrieb sie fast alle noch in New York, inspiriert von Internet-Recherchen und slowenischen Folk-Platten, die Eckman geschickt hatte. So schoss Wynn quasi „mein Fotoalbum“, noch bevor er die Fotos wirklich hatte. „Die Songs sind romantisch und emotional, so wie ich mir den Aufenthalt vorstellte.“ Dass sie dabei – vom trocken-autobiograftschen Auftakt „Manhattan Fault Line“ bis zur finalen Erlösung „I Don’t Deserve This“ – mehr von Wynn selbst erzählen als „das meiste, was ich bisher gemacht habe“, mutet nicht nur dem Geschichtenerzähler mit Faible für Killer und Gangster „schon komisch“ an. „Vielleicht habe ich mich dabei sicherer gefühlt, das an einem Ort zu tun, wo ich so weit weg war von allem Vertrauten“.
Nicht zuletzt von seiner bald Angetrauten. An Pfingsten wird Steve Wynn in Richmond/ Virginia seiner Lebensgefährtin und Schlagzeugerin Linda Pitmon das Ja-Wort geben. Der Hochzeits-Song „When We Talk About Forever“ ist nun schon auf „Crossing Dragon Bridge“ verewigt. Wynn wähnt sich, frei nach Richard Ford, in der „.permanent period“
angekommen, an „diesem Punkt, wo dir klar wird: Ja, das bin ich, das ist meine Straße, auf der ich unterwegs bin“. Was ihn nicht davon abhielt, in „Annie & Me“ die Zeit zurückzuholen, als er in Kalifornien mit seiner Jugendliebe unterwegs war. Und wenn sich Annie jetzt noch mal meldet? Steve Wynn lacht. „Wäre schön, würde mich aber wundern. Habe ja 30 Jahre nichts von ihr gehört. Sie arbeitet wohl als Parkaufsicht in Alaska. Klingt nicht, als ob sie mit Indie-Rock auf dem Laufenden wäre.“