Jenni Zylkas Typewriter: Wo wart Ihr?
Nach dem Brexit: Ein ungehaltener offener Brief an die Kunstschaffenden in Großbritannien.
„Have you seen the writing on the wall?“ (Hazel O’Connor, Coventry)/„Writings On The Wall“ (Sam Smith, London)
Pff, was denkt Ihr denn, Hazel und Sam, war ja nicht zu übersehen. Und jetzt ist alles futschikato, Kind im Brunnen, Ofen aus, Polen offen bzw. Schotten dicht – obwohl, nee, ha!, das mit den Schotten zeigt sich gerade erst. Und Polen war schon vorher offen – die sind nämlich noch dabei. Bis jetzt.
Aber was habt Ihr nur getan? Wo wart Ihr – jedenfalls nicht im Wahllokal, oder? Da waren nur die Alten, die Ängstlichen, die Fremdenfeindlichen und die Unbelehrbaren. Und Ihr, Musiker, Hipster, junge Pubgeher? Ehrlich: Hättet Ihr nicht bereits vorher schon viel lauter schreien müssen? Songs und Videos noch und nöcher produzieren müssen und nicht die gruselige Ukip-Abgeordnete Mandy Boylett mit ihrem zu „Three Lions“ gesungenen Quatsch viral werden lassen dürfen? Im Clip fiept sie in Union-Jack-Pailletten- T-Shirt: „They’ve taken all our fish …“ – wo war denn das Video, in dem die großartigsten britischen Künstler gegen den Brexit mobilmachen? Wo waren die James-Bond-Aspiranten Idris Elba, Tom Hiddleston, Michael Fassbender als 007, der dem Brexit im Kurzfilm die Fresse poliert? Sam, Du hast doch gerade Bond gesungen – wieso hast Du nichts angeleiert?
„Stay with me“ (Sam Smith, London).
Ja, Sam, und mit Dir bin ich noch nicht fertig: Bitte bleib doch, wir finden es beschissen ohne Euch. Unser Zoo braucht Inselaffen, unsere Kultur braucht Oxford English, unser nicht vorhandener Humor braucht Euch als Inspiration – wisst Ihr, wie unsere Witze, speziell die deutschen, ohne Euch klingen? So: „Zere vere zwei peanuts valking down der Strasse, and von vas a salted … peanut.“ Ihr wisst schon, Monty Python, der deadly joke. Euer Austritt ist so einer. Und Ihr wisst schon auch, dass zumindest die Amis die vielen Länder Europas als ein Einziges begreifen (habe mal gehört, wie eine Frau aus dem Mittleren Westen sagte: „Europe can be so hot in summer!“) – und jetzt? Wie wollt Ihr denen bloß beibringen, dass Ihr nach 42 Jahren nicht mehr zur EU gehört, wenn die nicht mal verstehen, was „ein Luxemburg“ ist? Die Amis haben sich immer gefreut, dass Ihr als EU-Vertreter Ihre Sprache sprecht – und jetzt müssen wir mit ihnen reden, nerv!
„Let England Shake“ (PJ Harvey, Bridport)
Von wegen! Ich will Dir mal etwas sagen, Polly, die Du neulich beim Konzert in Berlin kein einziges Wort verloren hast zum Thema, was ich auch nicht kapiere: Erst auf politisch machen, Songs über Afghanistan, über Gentrifizierung, und dann die Klappe halten? Ein paar Tage später, in Holland, nach der Wahl, hast Du dann immerhin das Gedicht „No Man Is An Island“ rezitiert! Na ja. Jedenfalls: Wenn Ihr die Seile kappt, dann wird das auch nichts mehr mit den Tourneen. Dann kommen nur noch die Großen, weil den Kleinen die Visaanträge zu teuer sind, der Papierkram zu anstrengend ist. Willst Du das? Hat das mit der ausgeschlagenen Schengenmitgliedschaft nicht gereicht? Und dann das mit dem Einkaufen: Wir möchten bei Euch Klamotten kaufen, an der Savile Row und der Carnaby Street, Chap-Hüte und Mod-Parkas und Stella-McCartney-Kleider, und die wollen wir problemlos über die Grenze bringen, verdammt! Wir haben keine Ahnung, wie lange es dauert, diese neuen Handelsabkommen auszuklamüsern. Eine Sache noch, Polly: What if I take my problem to the United Nations, hm?
„There’s no future in England’s dreaming!“ (Johnny Rotten, London)
Tja, Johnny. Du hast es immer schon gewusst. Schau Dir doch bitte noch mal „Children Of Men“ an, Kinoadaption eines Romans von P. D. James: Großbritannien als Polizeistaat mit bewachten Grenzen. Gruselig. Bitte: „Johnny come home“ (Fine Young Cannibals, Birmingham).