Jenni Zylkas Typewriter: Was tun, wenn keine will?
"Pink Viagra", die neue Lustpille für die Frau, macht Männer leider weder attraktiv noch versierter
Kurz vor Sommerloch-Ende habe ich doch noch ein herrliches Pseudothema erwischt: Die Lustpille für die Frau! Dann mal her mit den schlüpfrigen Halbwahrheiten! Die Pharmaindustrie (wie üblich in der Rolle des Schurken) wird im Oktober in den USA und angeblich auch bald in Europa ein unter dem verklemmten Kosenamen „Pink Viagra“ bekanntes neues Medikament mit dem Wirkstoff Flibanserin zulassen. Dieses wirkt auf Botenstoffe im weiblichen Gehirn und soll gelangweilte Frauen spitz wie Nachbars Lumpi machen. Womit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen wären: Die Industrie verdient gut, und in eingeschlafenen Beziehungen ist wieder Musike drin.
Doch die Lustpille wird wohl ein Rohrkrepierer – harhar, schenkelklopf! Bereits jetzt spucken nämlich Ärzte und Feministinnen den Pharmazeuten in die Suppe: Die Ersteren warnen vor den finanziellen Interessen einer Millionenindustrie, der die Gesundheit egal ist, und vor einem meterlangen Beipackzettel an ernst zu nehmenden Nebenwirkungen: von Übelkeit und Stoff wechselproblemen bis hin zu gefährlichen Wechselwirkungen mit Alkohol (für die meisten männlichen wie weiblichen Menschen bis dato das Aphrodisiakum ihrer Wahl – mal sehen, ob liebe Gewohnheiten sich so schnell verändern lassen). Die anderen sind rechtschaffen verschnupft, weil weibliche Lustlosigkeit auf diese Weise zu einem medizinischen Phänomen pathologisiert wird, das man à la „Stepford Wives“ beheben kann. Männerfantasie, frauenfeindlich, der ganze Sermon.
Stimmt leider alles – und noch mehr. Denn die Pink-Viagra-Idee ist nicht nur enorm ungesund und missversteht Sex, sondern wirkt de facto uneffektiv: Sie steigert die sogenannte SSE-Frequenz („Satisfying Sexual Events“, so heißt es in der klinischen Studie des Pharmaherstellers, die der US-Zulassungsbehörde FDA um die heißen Ohren geschlagen wurde) nämlich eh nur minimal. Von mageren zwei bis drei SSE-Momenten der Probandinnen pro Monat steigen die Schäferstündchen laut Studie auf durchschnittliche dreieinhalb. Macht unterm Strich einen halben Orgasmus mehr – und den muss man auch noch unter Jever-No-Fun-Einfluss (nicht) geschehen lassen.
Also was tun, wenn keine will? Vielleicht sollte ein bisschen mehr an dem Hirnareal im präfrontalen Cortex geforscht werden, auf den die eigentlich als Antidepressivum entdeckte Tablette wirkt: Wenn man es schaffen würde, nicht die angeblich erloschene Lust der Probandin zu steigern, sondern sie mit der Pille denken zu lassen, neben ihr lägen je nach Gusto Tarzan oder Alexander Skarsgård (im Tarzan-Outfit) oder Denzel Washington oder von mir aus Damon Albarn, dann hätte sich das mit der Sexmüdigkeit. Versprochen.
Unlust als medizinisches Phänomen zu sehen müffelt ohnehin etwas zu sehr nach 19. Jahrhundert, als „hysterische“ Frauen noch mit Granvilles Hammer (dem ersten elektrischen Vibrator) von ihrer „Krankheit“ geheilt wurden. Dass jemand überhaupt unter Unlust „leidet“, liest sich zudem so, als könnte man auch darunter leiden, keine Lust zum Tanzen zu haben. Obwohl tanzen doch so viel Spaß macht! Aber eben nicht jedem, und manche Menschen tanzen tatsächlich nie. Sie leiden nicht, weil sie freiwillig lieber gemütlich am Rand stehen und Bier kippen, sondern eher darunter, dass man sie in Tanzroulettespiele verwickelt und sie dann kichernd bei „I’m too sexy for my shirt“ auf den Dancefloor schubst.
„Potenzmittel für Männer gibt es doch auch“, argumentierten jüngst zugunsten der neuen Pille dopingfreudige Gynäkologen, die trotz ihres speziellen Berufsbildes wohl nicht mitgeschnitten haben, dass weibliche Potenz keine Hilfe braucht. Sie funktioniert in den allermeisten Fällen nämlich einwandfrei – allein mithilfe von zwei Faktoren: Technik und einem erwünschten Gegenüber.