Liebeserklärung an Jeff Buckleys „Grace“
Vor 30 Jahren erschien Jeff Buckleys einziges Studioalbum. Musikerin Ilgen-Nur über eine Obsession.
„I love you / And I’m afraid to love you…“ 50 Minuten für die Ewigkeit sind „Grace“. 50 Minuten kann man in in der Welt von „Grace“ leben, wenn man möchte. Kein anderes Album hat mich je so sehr in den Bann gezogen wie dieses. Und wieder fällt es mir schwer, über dieses Album zu schreiben oder generell über Musik, aber besonders über diese Songs auf „Grace“. Sie sind alle so fantastisch und magisch und sind ihre eigenen Welten, fügen sich doch so gut zusammen, gehören zusammen, und sind teilweise so mittreißend, dass ich am liebsten jeweils eine Pause von einer bis fünf Minuten zwischen den Stücken einlegen möchte, auch nachdem ich dieses Album bereits seit zehn Jahre regelmäßig gehört habe.
„My body turns and yearns for a sleep that won’t ever come/ It’s never over“
Zehn Stücke sind auf diesem Album – oder elf, je nach Version. In späteren Ausgaben wurde der Song „Forget Her“ als Schlussstück hinzugefügt, den ich persönlich auch sehr mag, mit dem Jeff Buckley selbst jedoch nicht zufrieden mit war. Drei der Songs auf Grace) sind Cover-Versionen: – „Corpus Christi Carol“ (von Benjamin Britten), Lilac Wine (James Shelton) und Hallelujah (Leonard Cohen).
Ich finde es bis heute sehr faszinierend, dass Zuhörer Buckley als erstes oft mit genau seinem Cohen Cover in Verbindung bringen. Es scheint der meistgesuchte Tab auf Ultimate Guitar zu sein. Obwohl diese Version mit ihren Pausen und engelsgleichen Momenten wunderschön ist, bleibt sie für mich neben den Originalen von Buckley wie „Mojo Pin“, „Grace“, „Lover, You Should’ve Come Over“ fast schon uninteressant. Buckley selbst sprach in Interviews immer wieder über seine großen Einflüsse, vor allem Nina Simone, Led Zeppelin und Nusrat Fateh Ali Khan. Er selbst beeinflusste unzählige Musiker seiner Generation und der folgenden. Wahrscheinlich mehr, als er jemals erahnen konnte.
Als Radiohead zum Beispiel mitten in den Aufnahmen zu „The Bends“ waren und gerade daran gescheitert waren „Fake Plastic Trees“ aufzunehmen, beschloss die Band abends zu einem Buckley-Konzert zu gehen. Thom Yorke beschrieb später, wie sehr ihn dieser Auftritt inspiriert hat und dass Buckley ihn ermutigte, im Falsett zu singen. Nach dem Konzert war die Band zurück im Studio und nahm den Song dann erfolgreich auf.
„„Born again from the Rhythm,
Screaming down from heaven
Ageless, Ageless
And I’m there in your arms““
Für mich ist es nicht eine einzelne Sache, die das Album zu einem Meisterwerk macht, sondern die Verbindung der wirklich poetische Texten, die Gefühle zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Liebe und Tod aufzeichnen, der wunderschönen schwebenden Gitarren Melodien, Arrangements und Akkordfolgen, den Streichern in Songs wie „Last Goodbye“, die Art und Weise wie Matt Johnson seine Drum Fills spielt oder die Bassläufe von Mick Grondahl – an dieser Stelle sei erwähnt, wie unfassbar toll seine Live Band war. Ja, dieses Album ist natürlich auch fantastisch gemischt. Hier kommt vieles zusammen, aber getragen werden diese Stücke alle von der einzigartigen Stimme Buckleys.
Beeindruckend für mich ist sein enormer Stimmumfang über – vier Oktaven –, sowie seine Stimmfarbe, die Art und Weise, wie er im Falsett singt und Pausen an den richtigen Stellen einlegt. Aber nicht zuletzt die reine, nackte Emotion und Energie, mit der er singt und die Texte zum Leben erweckt.
“I want life to be what I know it must be, if one lives it right: brilliant, intense, uncommon, agonizing and painful, weirder than weird, beautiful, an epic adventure into existence – that’s life” (aus seinen Tagebüchern HIS OWN VOICE : the officials journals, objects & ephemera)
„Asleep in the sand, with the ocean washing over“
„Grace“ bleibt Buckleys einziges Studioalbum. Es lassen sich allerdings auch unzählige andere Lieder finden, die posthum erschienen sind, zum Beispiel die Demoaufnahmen zu seinem zweiten Album, das nie aufgenommen werden konnte – „Sketches for My Sweetheart The Drunk“ – oder „All Flowers in Time Bend Towards The Sun“, ein wirklich herzzerreißendes Duett mit der schottischen Sängerin und damaligen Freundin von Buckley, Elizabeth Fraser (Cocteau Twins). Der Song „Rilkean Heart“ von den Cocteau Twins vom Album „Milk&Kisses“ (1996) handelt von ihrer Beziehung.
Erwähnenswert ist auch Buckleys „Live at Sin-é » Album, das den Musiker und vor allem seine einzigartige Stimme in einem intimen und reduzierten Setting strahlen lässt. Auf „Live in Chicago“ und weiteren Live Alben kann man die „Grace“-Songs in abgewandelter und längerer Form bewundern und hören, wie begeistert das Publikum ist.
Im Mai 1997 starb Buckley im Alter von 30 Jahren bei einem nächtlicher Schwimmausflug. Er ertrank im Wolf River, einem Seitenkanal des Mississippi Rivers.
Ich bin dankbar dafür, wie sehr mich „Grace“ in den vergangenen zehn Jahren begleitet hat und freue mich auf alle die zukünftigen langen Autofahrten, Spaziergänge bei Nacht und Abende in meiner Wohnung, in denen ich dieses Album immer und immer wieder hören darf.
In unserer aktuellen August-Ausgabe erzählen wir in einem großen Feature die Geschichte von „Grace“.