SXSW – Jedes Jahr im März wird die texanische Hauptstadt zu einem Mekka der internationalen Musikbranche
Der erste Eindruck: Blauer Putz. Bröckelnder blauer Putz. Meine Hände klat¿ sehen dagegen, und ein paar Stückchen lösen sich und rutschen die Wand hinunter und fallen unendlich langsam auf den heißen Boden – platsch, platsch -, und meine Nase tut weh, und meine Brille hängt schief und nur noch an einem Ohr. Ob das Blaue bloß Blau ist oder Teil einer Werbung, kann ich nicht erkennen – dazu bin ich zu nah dran. Ich bin eins mit dem Putz. Und der Putz stinkt obendrein nach Moder. Ekelhaft.
Zehn Sekunden zuvor: Ich laufe mürrisch über die Straße parallel zum Interstate. Ein Tip des an einen mutierten Bürger erinnernden Wesens hinter dem Tresen der Motel-Rezeption („Please deliver all your firearms before check-in. Knives allowed on property.“ stand auf dem kleinen, vertrauenserweckenden Messingschild, und dann noch: „Please pay in advance – cash only“.) „Gehst einfach über die Interstate-Brücke und dann links“, hatte der Bürger gesagt. Habe ich gemacht. Und bin augenblicklich in einer Gegend gelandet, bei deren Betreten bei jedem Weißen auf der Stelle alle Alarmglocken bimmeln sollten. Taten sie bei mir jedoch nicht. Statt dessen bin ich in brütender Hitze an dubiosen Figuren in Hauseingängen vorbeigetrottet, Schritt für Schritt mieser gelaunt, bin fünfmal auf hundert Metern gefragt worden, ob ich Crack oder sonstwas brauche, und zu guter Letzt ist mir eine schwankende, nach Friedhof und Verwesung stinkende Gestalt um den Hals gefallen, die sich in Windeseile und mit ungeheurer Kraft an mir festklammerte und kein einziges Wort sagte. Als ich sie endlich wegstoßen konnte, quietschten dicht hinter mir Autoreifen. Dann kam der Putz.
Die Fünf sehen aus wie Ninjas. Schwarzgekleidet, zur Tarnung ein winziges „Austin Drug Force Police“ auf ihren T-Shirts aufgedruckt. Zwei halten mich gegen den Putz, zwei ihre Knarren, der fünfte mein Päckchen Tabak, in das ein gemeingefährlich aussehendes Hunde-Monster seine geifernde Schnauze stecken darf. Niemals, fällt mir ein, niemals solltest du, hier, im latidof the free, Zigarettendrehen! Und wenn, dann bitte nur im stillen Kämmerlein und nicht auf offener Straße – so was macht man hier nicht. Zu spät. Der Wortführer der Schwarzen Ninjas verlegt seinen offensichtlich kiloschweren Kaugummi in seinen anderen Mundwinkel und murmelt etwas von „suspicious behaviour“, und ich will wissen, was an einem Spaziergang um drei Uhr nachmittags denn bitteschön suspicious sein soll, aber er versteht mich offensichtlich nicht, oder er will nicht verstehen. Sein Kollege untersucht die Adler-geschmückte Steuermarke am Tabak, und der Hund verzieht seine fiese Schnauze, unterläßt aber Gott sei Dank jegliches Kläffen oder Winseln oder was auch immer diese Drug Force-Köter im Falle eines Falles zu tun pflegen. Aber wenn man schon mal dabei ist und in puncto Drogen erfolglos war, wird die Gelegenheit genutzt und halt noch nach Waffen gefahndet, nach 45ern, Blendhandgranaten, abgesägten Kalaschnikows und ähnlichen Gerätschaften, die ein gewöhnlicher Austin-Besucher anscheinend gerne mit sich herumschleppt. Ich sage nichts mehr, weil ich gehört habe, daß man in solchen Situationen besser nichts sagt. Und man mich offensichdich sowieso nicht versteht Drei Minuten später bin ich ein freier Mann.
Well, Austin: Machst es einem nicht gerade leicht. Vor allem an diesem ersten Tag nicht, der im Kalender gerade erst unter Frühling läuft, tükkischerweise aber mit solch hochsommerlichem Getue daherkommt, so daß alle Vögelein Texas‘ unter dem stahlblauen Firmament des Lone Star State schreien und kreischen, als ginge es um ihr Leben – an einem Tag wie aus einem Werbeprospekt des einheimischen Visitors Bureau.
An diesem Tag ist downtown Austin der totale Schock. Um drei Uhr nachmittags sind komplette Straßenzüge verwaist wie nach einem Neutronenbomben-Angriff, die vereinzelt auftauchenden Autos geben allesamt Vollgas, und die East 6th Street, die Aorta der selbsternannten „Welthauptstadt der Livemusik“ sieht aus, als erwarteten ihre Bürger alsbald den Ansturm einer 15 000 Rinder starken Stampede von den Weiden des Wilden Westens. Gitter vor vielen Schaufenstern, verrammelte Türen, menschenleere Gehsteige. Nein, nicht ganz. An jeder Straßenecke hängt ein Haufen Typen nun, die aussehen, als würden sie nach Einbruch der Dunkelheit Geiseln nehmen und es bis dahin mit einem bißchen Messergefuchtel bewenden lassen.
Man hat Austins East 6th St. mit der Bourbon Street in New Orleans verglichen – was aus vielen Gründen und allein schon deshalb schwachsinnig ist, weil man die Bourbon Street an jeder Ecke verlassen kann und sich augenblicklich in einer der schönsten Innenstädte der USA befindet. Wenn man hingegen die 6th verläßt (immerhin ein Straßenzug, der sich trotz seines skid row-Charmes der Auszeichung „National Historic District“ rühmen darf), gelangt man in eine der trostlosesten downtomis der Staaten, vergleichbar vielleicht nur noch mit den permanenten Bausteüen-wastelands von Nashvüle: Ein seelenloser Bürokasten neben dem anderen, Kinko-Copy-Shops, heruntergekommene Pfandleihen, abgefuckte Chinesen-Imbisse, ein hilflos dazwischengequetschtes „Starbucks-Cafe“, ein Verleih für Kühlschränke und Heizöfen, dessen komplettes Sortiment so aussieht, als würde es mit Ach und Krach von zwölf bis Mittag halten.
Der erste Mensch, mit dem ich in dieser Ödnis ein Wort wechsele, ist Lou Reed. Uns verbindet die Tatsache, daß wir beide uns kurz nacheinander von einem „Free Coffee“-Coupon in ein Cafe namens „Plantation“ haben locken lassen, dessen Gummipalmen zumindest einen kleinen Hauch Leben in diese städtebauliche Düsternis bringen. Lou trägt das scheußlichste Hemd, das Austin heute nachmittag sicher zu Gesicht bekommen wird (quittengelb, über der Hose, bis runter zu den Kniekehlen), und redet viel weniger als auf seinen dauermonologisierenden Alben. Im Grunde genommen redet er außer einem knappen „How’re doin‘?“ überhaupt nichts. Sitzt bloß da, runzelt seine faltenreiche Stirn, starrt aus dem geöffneten Fenster hinaus auf die 6th und sieht dabei aus wie ein prähistorischer, alter Leguan beim Kacken. Drüben, vorm „Hang ‚em high“-Saloon, posieren fünf Männer in Stetsons für ein Erinnerungsfoto. Auf dem 20 Meter langen Balkon über ihnen versuchen drei einsame Luftballons, die Schwerkraft zu überlisten. Einer rot, einer weiß, einer blau: Die Nationalfarben Texas‘, die Trikolore aller Rancher, Ölbarone und Bush jr.-Anhänger. Ich überprüfe meine verputzte Nase, Lou schweigt. Vielleicht denkt er an New York. Vielleicht denkt er auch überhaupt nichts.
Das mit Lou Reed ist kein Zufall. Daß im Laufe dieses Nachmittags Joe Henry, Bob Snider, der Herr Doebeling und ähemm die Hälfte von Selig am „Plantation“ vorbeischlendern, auch nicht. Austin feiert sein „South By Southwest“-Festival, ein viertägiges Musik-Spektakel mit ganzen Hundertschaften von Bands und Solo-Künstlern (der „Austin Chronicle“ muß sie in augenschädlicher Vier-Punkt-Schrift setzen, um sie alle auf einer Doppelseite unterzubringen), das 1987 unter tätiger Mithilfe des „New York New Music Seminar“-Mitbegründers Mark Josephson ins Leben gerufen wurde. Seitdem treffen sich jedes Jahr im März Musiker, A&R-Abgesandte, Journalisten und die üblichen anderen Verdächtigen zum „SxSW“ (weiß der Teufel bzw. die Chamber of Commerce, warum das nicht „SBSW“ heißt), das in der ehemaligen Viehhandel-Metropole mittlerweile zur wichtigsten Messe geworden ist (parallel dazu wird allerdings immer noch die Alternativ-Veranstaltung namens „Livestock Show and Rodeo“ offeriert, zu der immerhin 200 000 Rinderzüchter und Cowboys aus allen Teilen Texas heranreiten).
Durchaus kein Zufall: Austin braucht so etwas. Schließlich gehört die Musik zu Austin – mehr noch, als sie vielleicht zu Nashville gehört. In Austin sind schließlich Roky Erickson, The Flying Saucers, Jerry Jeff Walker, Joe Ely, Nanci Griffith, James McMurty, Ted Roddy, die Texas Tornados, die Butthole Surfers und Steve Earle zu Hause. Und natürlich Stevie Ray Vaughn, dem sie ein gewaltiges Denkmal da drunten am Fluß gesetzt haben. Aus Austin kam das, was man damals mal, vor einer halben Ewigkeit, wahlweise Progressive Country, Redneck Rock oder Outlaw Music nannte-Musik wie ein Schlag in die Fresse dieses glattpolierten Erzfeindes da drüben in Tennessee. Und als dann Willie Nelson Nashville verließ und wieder zurück nach Austin kam, wo die Leute ihn in Ruhe und sein Dope rauchen ließen, spätestens da war das Schlagwort vom „Live Music Capital of the World“ in aller Munde.
Es gibt genügend Leute, die felsenfest von der Richtigkeit des Slogans überzeugt sind, denn Austins Musikszene definiert den Unterschied zwischen städtischer Liberalität und dem Erzkonservatismus des restlichen Staates. Austins Musik unterscheidet political correctness von wimmernder Herz-Schmerz-Verlogenheit, Gosse von Kosmetik, Gut von Böse, und es gab sogar Jahre, in denen Austins Musik das Texanische generell zu definieren schien. Vielleicht deswegen will man auch von Austin überall sonst in Texas am liebsten nichts hören: zu viele liberale Politiker, zu viele Studenten, zu viele Umweltschützer, Lebenskünstler und Hippies, und vor allen Dingen zu viele langhaarige Country-Musiker. Der Rest des Staates würde Austin heute gar am liebsten mit einem gewaltigen Sticker zupflastern: „Don’t mess with Texas!“
Daß Austin anders ist, das verdankt es vor allem seiner Geschichte. Während anderswo in den Prärien hinter der sich wie Karies nach Westen ausbreitenden frontier jede Menge Halunken nach billigem Land gierten und in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen einer Winchester und einem Flitzebogen ein für allemal klarstellten, siedelten sich in der Gegend um Austin die empressarios an: Viehbarone, die Land von den Spaniern und später den Mexikanern erstanden. Diese Kolonisten waren aus Europa (vor allem aus Frankreich, Polen und Deutschland) vor politischer Unterdrückung geflohen – und konnten es fortan verständlicherweise nicht ausstehen, wenn man sie wieder bevormunden wollte: Ein Charakterzug, der sich in den genetischen Profilen Austins bis heute erhalten hat. Hauptstadt ist Austin anno 1883 übrigens nur aus rein ästhetischen Gründen geworden. Ein gewisser Mirabeau B. Lamer, damals der Präsident der Republic of Texas, hatte einen seiner Spähtrupps zur Terrainerkundung losgeschickt. Dieser kehrte mit einem enthusiastischen Bericht von einem Gebiet an einer Krümmung des Colorado-Rivers zurück: Bäche, baumbedeckte Hügel und weite, fruchtbare Ebenen – hier, sprach der Herr, sollst Du Deine Hütte bauen. Da störte bloß, daß der bereits existierende Weiler den schönen Namen Waterloo trug – und daß das präsidiale JB“ zwischen dem Vornamen Mirabeau und dem Nachnamen Lamar unglücklicherweise für Bonaparte stand. Weshalb die texanische Hauptstadt heute auch längst nicht mehr wie der Ort der größten napoleonischen Schmach heißt.
Ansonsten aber muß man Mr. Lamar ein gutes Naschen konstatieren: Dank seiner idealen Lage im Hill Country und der tatkräftigen Unterstützung von Texas Instruments, IBM und Motorola wächst und gedeiht Austin heute immer noch. Eine knappe halbe Million Austinites sind es mittlerweile, die vor allem aus Dallas und Houston hierhin gezogen sind, in die – Achtung, Zitate „viertgrünste“, „sauberste“ und auch noch „one of the safest cities in the nation“, eine Stadt mit „300 Sonnentagen, 170 Parks und 32,50 Meilen Wanderwegen“ und, ganz nebenbei, der höchsten Kapitol-Kuppel der Vereinigten Staaten, exakt 211 Zentimeter höher als die des Vorbilds in Washington D. C, der Hauptstadt der Nation. Als man in Texas zuende gemessen hatte, freuten sich die Bürger von Austin derart, daß sie kurzerhand beschlossen, den roten Granit ihres siegreichen Kapitols fortan und bis in alle Zeiten zum höchstamtlichen Baumaterial für alle öffentlichen Gebäude des Staates zu küren. Wer hier also eine Behörde sucht, der stößt unweigerlich auf Granit. Rot und in Steinform, natürlich.
Selbstverständlich gibt es neben dem Kapitol noch andere Sehenswürdigkeiten, und natürlich ist Austin gar nicht so schrecklich wie am ersten Nachmittag auf der 6th Street. Aber wenn man ehrlich ist, ist Austin am schönsten außerhalb seiner Stadtgrenzen. Da kann man am Lake Travis liegen, Dope rauchen und nackte Texanerinnen anschauen (wahlweise natürlich auch nackte Texaner), und am Wochenende kann man dann hinaus nach Tylor zum snakesacking fahren und dabei um ein sixpack „Bud“ wetten, wie viele Rednecks bei ihren idiotischen Versuchen, möglichst viele Klapperschlangen in möglichst kurzer Zeit in einen Kartoffelsack zu verfrachten, gebissen werden. Oder man geht zu einer der vielen gun shows, bei denen bis an die Zähne bewaffnete Deppen wahlweise auf arme, herumflatternde Truthähne oder auf Kugeln an Plastikweihnachtsbäumen ballern – kein Wunder, daß Waco, wo sich religiöse Fanatiker ein shoot out mit dem FBI lieferten und später zum größten Teil in den Flammen ihrer sturmreif geschossenen Farm ums Leben kamen, nur ein paar Meilen entfernt liegt. (King Coffey von den Butthole Surfers hat mir mal erzählt, für ihn gebe keinen größeren Spaß als diese gun shows: „Man denkt ständig, jeden Moment müsse eine Massenschießerei ausbrechen, weil die Teilnehmer einen Mexikaner unter den Zuschauern entdeckt haben und sich für das Alamo-Debakel rächen wollen!“).
Speziell für alle Mitarbeiter dieses Magazins geschaffen ist wohl das Museum des Herrn O. Henry, den einige aus dem Englischunterricht besser noch als William Sydney Porter kennen, und der in den Jahren von 1885 bis 1895 hier eine Wochenzeitschrift mit dem zukunftsweisenden Namen „Rolling Stone“ herausgab. Ehrlich!
Und dann gibt es noch Austins Fledermäuse. Und zwar 750 000 Exemplare der Species mexicanfree-tail bat, und allesamt weiblich. Aus welchen Gründen auch immer kommt dieses unappetitliche Geschwader Jahr für Jahr aus allen Höhlen des Staates zur Geburt seines Nachwuchses unter die Congress Avenue Bridge angeflattert(Man fragt sich als ein Fledermaus-Laie, was ihre Männchen die ganze Zeit über treiben? Tequila trinken? Auf eine Herren-Reise nach Transsylvanien düsen? Oder einfach nur abhängen?).
Das geschieht im Juli, und wohl zum Zwecke der Schwangerschaftsgymnastik schwärmen die Fledermaus-Damen an jedem Sommerabend bei Einbruch der Dunkelheit in voller Stärke aus, was dann den Eindruck erweckt, als habe die arme Congress Avenue Bridge Blähungen und furze permanent Gewitterwolken. Im August jedenfalls sind dann die kleinen bals da (Sind das dann insgesamt 1,5 Millionen? Wie viele Junge wirft, legt, brütet so eine Fledermaus eigentlich aus?). Aber wenn man sich überlegt, daß jede Fledermaus etwa 600 Moskitos, Fliegen und ähnliche, artverwandte Plagegeister pro Stunde verzehrt (über den Appetit des Nachwuchses liegen keine gesicherten Daten vor), dann kann man sich vorstellen, daß Austin im Sommer vor allem eines ist: fliegen- und mückenfrei.
Aber heiß ist es: Es gibt Nächte in Austin, in denen es nach Sonnenuntergang von Stunde zu Stunde heißer zu werden scheint. Nächte, in denen man zwar nicht länger zusehen kann, wie die Hitze in Wellen von den Bürgersteigen aufsteigt, aber sie trotzdem noch fühlen kann, wenn man die Hand austreckt. Nächte, in denen man glaubt, dieses ganze gottverdammte Texas, das wir seit der „Dallas“-Serie besser zu kennen meinen, sei eine Duschkabine in einem Studentenschlafsaal. Es gibt Nächte, in denen die Luft so dicht ist, daß man sie zurückstreichen kann wie eine Daunendecke. In denen sich dann die Welt verlangsamt wie ein schwer in die Jahre gekommenes altes Karusell. An diesem besagten Abend ist es nocht nicht ganz so schlimm, aber schlimm genug für Mitte März. Es wird dunkel, und hinter der Stadt fächert das letzte Tageslicht langsam über die Ebene und zieht sich in einem blauen Raster von Schatten, Dämmer und angeblicher Kühle wieder hinter die Ränder der Welt zurück. Und plötzlich beginnt Austin zu leben. Bei „Waterloo Records“ (aha!) drischt die MC5-Legende Wayne Kramer seine Anti-Rep-Akkorde in die Telecaster („The whole State of Texas will soon queue up for welfare“), und irgendjemand brüllt: „Fuck you, Buchanan!“ Auf dem Drag, einer langgezogenen Meile entlang des Universitäts-Campus‘, die tagsüber von bedauernswerten Straßenmusikern im Rentenalter okkupiert wird, die vor lauter Starren auf die knappstberockten Girlies auf der gegenüberliegenden Straßenseite hin und wieder glatt das Singen vergessen, spielen jetzt respektabel klingende Blueser. Im „Hole in the Wall“ stimmen The Fountains aus Athens/Georgia die Sixstring-Gitarren, ein paar Meter weiter, im legendären „Antone’s“, erweist die Kanadierin Sue Foley mit ihrer Gitarre Blues-Größen wie Magic Sam oder Earl Hooker ihre Reverenz. Und im „Babe’s“, mitten auf der vor ein paar Stunden noch brachliegenden East 6th Street, unter den riesengroßen, aufblasbaren Budweiser-Fröschen, jammt irgendein lokales Grüppchen. Als die Menge dann bei „Goin‘ Up The Country“ kreischt, zerdeppert der Stevie-Ray-Vaughn-Clone an der Gitarre eine Bierflasche auf dem Instrument und spielt mit dem Botdeneck weiter. This, mi amigos, is a whole different kind of Austin/Texas!
Im Zeitungsladen, zwei Tage später, kurz vorm Abflug: böse Schlagzeilen über Lou Reed. Hat doch glatt sein Konzert gegeben, als parallel dazu das SxSW-Festival eröffnet wurde. Der Verkäufer liest mit, und als er den Sinn des Artikels verstanden hat, sieht er fast so aus wie jemand, der beim Picknick von seinem halben Brötchen aufschaut und eine fünf Zentimeter große Hornisse um seinen Kopf kreisen sieht. Tabak hat er allerdings keinen. Seitdem rauche ich Filter.