Jede Sau interessiert sich für ihn
Mit seinem neuen Album wird MAX RAABE zum Superstar des ironisch-melancholischen Liedguts.
Wenn Künstler so richtig berühmt sind, diktieren sie die Bedingungen. Robert Palmer ließ nur eine Gesichtshälfte fotografieren. Rod Stewart nimmt bei Interviews in Zimmern nicht die Sonnenbrille ab. Mariah Carey empfing Fragesteller einmal, als sie kunstvoll auf einem Bett drapiert war. Leonard Cohen lag ebenfalls in einem Hotelbett, er war aber krank und trug deshalb eine Pudelmütze. Ist natürlich alles inszenierter Jokus und Spleen. In den Artikeln steht später etwas von „Exzentrik“ oder „Verschrobenheit“.
Von Max Raabe erwartet man nicht den einen oder anderen liebevoll gehegten Hau, sondern einen einzigen Manierismus, der in seiner Erscheinung liegt, seiner Sprechweise, seiner Kleidung, seiner Gesangsart. Max Raabe, wie er uns seit 20 Jahren mit seinem Palast Orchester begegnet, ist eine drollige Kunstfigur, ein Galan mit sorgsam gescheiteltem Haar, mit Frack oder gepflegtem Landlord-Zwirn, Schal und Schiebermütze und Einstecktuch. Er singt die Schlager und Couplets der 20er- und 30er-Jahre, das gewitzte jüdische und wienerische Liedgut der Zeit bis 1933, frivol, anspielungsreich, ironisch, burlesk. „Kein Schwein ruft mich an“, ein von Raabe 1992 getexteter Nonsense, war die Parodie auf die eleganten Lieder und wurde im Radio jahrelang als Pausenfüller und Einleitungswitzelei eingesetzt. „Das Palast Orchester mit seinem Sänger Max Raabe“, wie es sich damals nannte, wurde bekannt – aber es trat bei „Melodien für Millionen“ und bei Carmen Nebel auf, es erfreute alte Leutchen und Nostalgiker, obwohl diese streng choreografierten Darbietungen offenkundig große Kunst waren. Der biedere Film „Comedian Harmonists“ rief 1997 in Erinnerung, was Deutschland verloren hat: Eine Weile waren „Kleiner grüner Kaktus“ und „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“ wieder in Mode. Dann fielen diese Stücke an Max Raabe, den Beauftragten für Schellack-Akten, zurück.
Raabe trat weiter bei Carmen Nebel auf, doch damit war er nicht zufrieden. 2005 spielte das Palast Orchester in der Carnegie Hall – für klassische Musiker aus Deutschland sei das nicht ungewöhnlich, wehrt Raabe heute ab. Aus der leichten Muse war es zuletzt Freddy Quinn, der für einen Tag die Getreuen aus der Heimat in dem Saal versammelt hatte, es war sein Traum gewesen. New York merkte nichts davon. Max und sein Orchester spielten natürlich vor Emigranten oder deren Kindern, die meisten waren des Deutschen mächtig, erinnerten sich sogar noch an den Nachhall jener Schlager. So waren diese Auftritte eher wie Äquivalente zu den Delicatessen-Metzgereien in Brooklyn, die deutsche Wurst oder schwäbische Maultaschen verkaufen. Aber immerhin! Den Scorpions wurde etwas autochthon Deutsches entgegengesetzt.
Im Jahr 2008 dann engagierte Raabe den nach Deutschland heimgekehrten Kameramann Michael Ballhaus für die Beaufsichtigung der Konzert-Dokumentation „Heute Nacht oder nie“, eine fantastische Conference im Berliner Admiralspalast. Ballhaus ist ein eleganter Herr, er stammt aus Berlin, er plauderte mit Raabe über die Lieder und die Zeit. Dann zauberte er noch einmal mit den vielen Kameras, die er in einem Übertragungswagen koordinierte, als wären Scorsese oder Redford der Regisseur. Raabe wollte das Beste, und die DVD zu diesen Konzerten ist die beste dieser Art geworden.
Im letzten Jahr schließlich wurde das Palast Orchester auch in Israel begrüßt. Ein Konzertveranstalter, so Raabe, habe diese Konzertreise vermittelt, er selbst habe Bedenken gehabt. Doch eine Pressekonferenz brachte mediale Aufmerksamkeit, und bei den ausverkauften Auftritten erschienen auch 20-jährige Studentinnen, die kein Deutsch verstehen. Bei seinen süffisanten Moderationen und den Liedern selbst laufen auf einer Leinwand die Übersetzungen der Texte mit – das habe sehr geholfen, sagt Raabe.
Die Bühnen-Persona und der echte Max Raabe sind aber nicht deckungsgleich. Das merkt man schon, als die Managerin bei der Fotoauswahl darauf hinweist, dass Raabe seit Jahren nicht mehr die eine Augenbraue mokant nach oben zieht – beim Fototermin hat er es freilich intuitiv doch einige Male getan. Während des Gesprächs zeigt Raabe plötzlich stumm mit dem Finger auf eine Gruppe von Bayern mit Gamshüten, die auf der Berliner Friedrichstraße gehen. Ich bemerke, er trage doch auch Knickerbocker – da springt der Mann auf, stellt sich kerzengerade vor mich hin, und siehe: Die nach unten sich verschmälernden Hosenbeine liegen genau auf den Lederschuhen. Es handle sich um Tweed, sagt Raabe, meine Niederlage nicht auskostend. Als ich insistiere, es seien doch klassische Hosen, schlägt er „europäische Beinkleider“ vor. Die er auch mal in einem Laden in Köln kaufe und anderswo auf Reisen.
„Küssen kann man nicht alleine“, das mit Annette Humpe aufgenommene Raabe-Album, wird den 48-jährigen Bariton zu einem noch größeren Star machen. Mütterchen werden es lieben, aber auch Mädchen und Männer, denen die Rockmusik ausgegangen ist. Es gibt die zwölf beschwingt-elegischen Lieder in der elektronischen Pop-Version der Humpe und in der sinfonischen Fassung des Palast Orchesters. Raabe wollte natürlich den Crossover, deshalb ist die Humpe-Fassung so wichtig. Man hat es nun schon oft gelesen: Beim Radfahren war Annette der Satz „Küssen kann man nicht alleine“ eingefallen, sie dachte an Max, den sie bisher kaum kannte, und meldete sich telefonisch bei ihm an. Dann saßen sie am Klavier, in der Küche, später in einem Sommerhaus. Kein Manierismus: Raabe ist höflich, verbindlich, leise und flink. Er spricht bedächtig, aber entschieden.
Für dieses Album sind Sie von der Rolle des Interpreten in die des Komponisten geschlüpft. Ein Wagnis?
Nein, kein Wagnis, nur ein plausibler Ausflug. Das ist noch immer meine Haltung zu Musik und Wort, mein Stil. Sich zu bewegen und neue Sachen auszuprobieren, liegt in meinem Vergnügen. Außerdem habe ich ja auch früher schon gelegentlich eigene Lieder geschrieben.
Nichts Besonderes also?
Doch, unbedingt. Mit Annette Humpe zusammen zu schreiben, war etwas sehr Besonderes. Bei Liedern wie „Kein Schwein ruft mich an“ lag der Witz darin, dass der Text eindeutig in die Gegenwart gehörte, während die Musik auch original hätte sein können. Als ich mich jetzt wieder auf zwischenmenschliche Dramen einließ – die große Liebe und so weiter -, musste es eine moderne Musik sein. Sonst wäre es Etikettenschwindel gewesen.
Welche Rolle hat Annette Humpe für die Texte gespielt?
Ich war ihretwegen viel mutiger. Einiges ist ja sehr persönlich – das so auszudrücken, hätte ich mich sonst nicht getraut. Man muss die Dinge heute klarer und einfacher sagen als in den Zwanzigern, das war sozusagen die Herausforderung. Das wird mir jetzt zu verschwurbelt, hat Annette manchmal gesagt, wenn wir gemeinsam an Texten gearbeitet haben.
Warum kommen die Menschen zu Ihnen ins Konzert?
Zuerst mal: Wir machen keine Nostalgieshow. Ich trete zwar im Frack auf, aber das ist nicht unbedingt 20er-Jahre – die Bigbands sind ja zum Beispiel auch so aufgetreten. Und die Sänger standen auch damals nicht einfach am Flügel, sondern sind auf der Bühne herumgewandert. Wir haben da unser eigenes Auftreten – wir spielen mit einem Klischee, und das machen wir gern.
Wie sind Sie mit dieser alten deutschen Musik in Berührung gekommen?
Ich komme aus einem sehr bodenständigen Elternhaus im Münsterland, meine Verwandten sind seit Generationen Bauern. Mein Bruder und ich waren die Ersten, die eine akademische Ausbildung genossen haben. Als kleiner Junge war ich Messdiener und Pfadfinder, es gab bunte Abende und Zeltfreizeiten, da musste immer etwas vorgetragen werden. Ich habe dann den Zylinder meines Vaters aufgesetzt und „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans“ oder „Ich hab das Fräulein Helen baden sehen“ gesungen.
Woher kannten Sie diese Lieder?
Es gab das Radioprogramm, und am Sonntag lief doch immer etwas mit Heinz Rühmann oder Hans Moser im Fernsehen. Da wurde auch immer gesungen, das hat mir damals schon gefallen. Außerdem hatten wir eine Musiktruhe. Da war James Last drin, aber auch Operetten.
Was hielten Ihre Eltern von dem Musikgeschmack?
Das Singen war meinen Eltern suspekt. Ich musste dann zuerst Blockflöte lernen, das erschien weniger besorgniserregend.
1985 sind Sie für ein Musikstudium nach Berlin gegangen. War das die Befreiung?
Absolut. Ich saß in meiner Einzimmerwohnung in Neukölln und dachte, ich bin der glücklichste Mensch der Welt.