Jede Menge Holz
Der in Texas geborene und in Venezuela aufgewachsene Sonewriter Devendra Banhart sucht den ganzheitlichen Ansatz
Devendra Banhart hatte einen Autounfall. Keinen besonders schweren – Gott sei Dank. Wichtig sind auch nicht die gesundheitlichen Folgen, sondern der Ort, an dem dieser Unfall sich zutrug. Nämlich auf der Zena Road in der Nähe des Örtchens Woodstock im Staat New York. Nie gehört? Doch, natürlich. Auf dieser Straße hatte Bob Dylan am 29. Juli 1966 seinen sagenumwobenen Motorradunfall.
Zwei Fragen stellen sich da. Erstens: Was hatte Devendra Banhart auf der Zena Road zu suchen? Und zweitens: Zuviel gekifft? Bei Beantwortung der zweiten Frage können wir nur mutmaßen, die erste läßt sich recht leicht beantworten: Devendra Banhart hat sein neues Album in der Nachbarschaft – in den Bearsville Studios am Turtle Creek – aufgenommen (und, ja, vermutlich hat er ein bißchen zu tief ins Gras geschaut).
Das ist das erste Mal überhaupt, daß er sich mit seiner Band in ein Studio begeben hat. um eine Platte zu machen. Sein Debüt „Oh Me Oh My“ nahm er allein auf den Anrufbeantwortern und Tape-Rekordern von Freunden auf, die beiden Nachfolger „Rejoicing In The Hands“ und „Nino Rojo“ in einer kleinen Hütte an einer Eisenbahnstrecke irgendwo zwischen Alabama und Georgia mit einem Vierspurgerät. Studios seien nichts für ihn, behauptete er damals, er wolle seine Songs nicht in einer sterilen Atmosphäre aufnehmen, in der die Außenwelt keinerlei Chance hat, sich in die Stücke zu mischen.
„Dieses Mal wollte ich einen Raum mit jeder Menge Holz, das über die Jahre viel Energie aufgenommen hat. Und das Bearsville Studio wurde vor langer Zeit gebaut. Bob Dylan und The Band haben dort aufgenommen – und Bobby Charles auch. Das Holz hat also jede Menge guter Vibes gespeichert. Da hängen keine Bilder oder so. Es ist einfach nur dieses Holz – und die Fenster, durch die konnten wir Elche, Truthähne und sogar Bären sehen.“
„Cripple Crow“ so heißt das hervorragende neue Werk (klingt nach „Cripple Creek“‚, einem Song von The Band, oder?) – steht tatsächlich ein bißchen im Geist der Songs, die Bob Dylan und seine Freunde (allerdings nicht in Bearsville, sondern im Keller des „Big Pink“) zum Spaß aufgenommen haben. Nicht vom Sound her natürlich, wozu geht man schließlich in ein richtiges Studio? Aber es sind die Spontaneität und der Eklektizismus, die „Cripple Crow“ ebenso charmant machen wie die „Basement Tapes“. Wo diese amerikanische Mythen und Musikhistorie anzapften, bedienen sich Banhart und seine vollbärtigen Freunde (zu denen unter anderem Noah Georgeson, der Gitarrist und meisterliche Produzent von „Cripple Crow“ gehört) bei lateinamerikanischer Folklore, Reggae, amerikanischem Folk und Blues – und über allem liegt der Bossa Nova, wie Joao Gilberto und Antonio Carlos Jobim ihn in den 60ern spielten.
„Viele Leute schreiben immer noch, ich sei ein Folkmusiker. Aber was soll das heißen? Ich kenne keine Musik, die nicht Folk ist – naja, ich könnte dir schon einige Sachen nennen, aber die mag ich nicht. Folk ist eine sehr vage Bezeichnung. Wenn unser Ansatz überhaupt einer Bewegung nahe steht, dann dem Tropicalismo.“
Der Tropicalismo, Anfang der 60er als Gegenbewegung zur repressiven Politik nach dem Militärputsch in Brasilien entstanden, war eher eine kulturelle Haltung als ein Musikstil. „Wir wollten nur einige Aspekte der traditionellen Musik Brasiliens hervorheben, der ländlichen und der urbanen Folklore, und gleichzeitig die Türe offen halten für Einflüsse aus Amerika und Europa—all diese Dinge vermischen und daraus eine neue Musik entwickeln“, erklärte Gilberto Gil das Selbstverständnis des Tropicalismo mal in einem Interview.
Eine Definition, die man nach einigem Drehen und Wenden auf die Musik Banharts anwenden kann. Auch Banhart nennt südamerikanische Folklore als Ausgangspunkt von „Cripple Crow“, genauer gesagt die Songs von Atahualpa Yupanqui, einem wichtigen Vertreter des argentinischen Folk, und des venezuelisch Volksdichters Simon Diaz, dessen „Luna De Margarita“ Banhart auch covert. „Das ist das Fundament, wenn du so willst. Aber wir mögen jede Art von Musik und mischen alles, was uns gefällt. „Cripple Crow“ kommt meiner Vision von all unseren Platten am nächsten. Es ist zirkulär. Ich sehe meine Beziehung zu allen Menschen als einen Kreis, und der weitet sich aus wie ein expandierendes Universum.“ Ob hinter dem Unfall doch mehr steckt als ein Joint zuviel?