Jazz undJunk
Für ihr meisterliches Spätwerk "Two Against Nature" bekamen sie endlich ein paar Grammys, verloren aber trotzdem ihren Plattenvertrag. Auf "Everything Must Go" denken sie nun über die Freuden der alten Tage und die Vergäng- lichkeit nach und klingen dabei ungleich entpannter. An ihrer alten Wirkungsstätte Los Angeles teilen Becker und Fagen indes wie eh und je Sottisen und Spott aus: Sie bleiben noch eine Weile die Waldorf und Statler des Jazz-Pop. Jim Henson wird im Grab rotieren, aber sie wird unweigerlich ins Kino kommen, die Computergestützte Real-Life-Variante der Muppet Show. Ist nur eine Frage der Zeit. Kein Stoff wird zu abwegig, kein Mythos sakrosankt sein, wenn der global vernetzte Medienmoloch gefüttert werden muss. Ist es technisch machbar, wird es gemacht. Moralische Kategorien zählen da ebenso wenig wie etwa ästhetische. So wie inzwischen Schwarzweiß-Klassiker am laufenden Band koloriert werden, so wie unliebsame Plots korrigiert und Happy Ends generiert werden, wo vordem das Böse obsiegte, so sicher werden in ein paar Jahren Hensons Amok-Puppen menschein dürfen. Sobald das Reservoir an Marvel-Superhelden erschöpft ist. War neulich in der "New York Times" nachzulesen. Mit Casting wird man sich nicht lange aufhalten müssen. Robbie Williams ist Kermit, J.Lo und Madonna werden sich um die Rolle der Miss Piggy in die Haare kriegen, Neil Young gibt Sam The Eagle, und den mürrischen Hausmeister, eine Nebenrolle natürlich nur, mimt Bob Dylan. Statler und Waldorf aber, die höhnenden Greise in der Loge, könnten kongenialer nicht besetzt werden als mit Walter Becker und Donald Fagen. Die beiden müssten sich nur in den Frack werfen, fertig. STEELY DAN 52 RollingStone.Juni, 2003
Steely Dan, das Duo infernale. Jedenfalls für so manche Gesprächspartner, die nolens volens den Punching-Ball spielten beim verbalen Austausch aberwitziger, hintersinniger Bosheiten. Gegen Kulturpessimismus dieser Schärfe ist nicht anzukommen. Musikerkollegen achten darauf, außerhalb der Schlagdistanz des maliziösen, perfekt aufeinander eingespielten Doppels zu bleiben. Doch können die beiden auch ganz reizend sein und wahnsinnig komisch. Man muss nur auf der Hut sein und den nächsten Seitenhieb möglichst schon im Ansatz erkennen. Einen Moment später könnte es zu spät sein.
Rickie Lee Jones, eine Künstlerin, für die Becker und Fagen etwas übrig haben, gab einmal zu Protokoll, sie hätte vor ihrer ersten Begegnung mit den beiden regelrecht Bammel gehabt, doch dann hätten sie sich von ihrer charmanten Seite gezeigt. Anstrengend sei es dennoch gewesen, denn die zwei seien „simply too intelligent for the rest of mankind“.
Das sei ja „schmeichelhaft“, kommentierte Becker den Kotau von Miss Jones, aber doch ein „Problem der Perspektive“. Und Fagen ergänzte nicht weniger ungalant, das gelte bekanntlich in besonderer Weise für den Musikbetrieb, wo einem jedes Quentchen intellektuelles Gepäck als Genie ausgelegt würde. Ein Missverständnis, das ihnen aber über die Jahre geholfen habe, Distanz zu wahren gegenüber allen möglichen Vereinnahmungsversuchen der Branche. „The music business is a cruel and shallow money trench“, hatte Hunter S. Thompson einmal geschrieben, „a long plastic hallway where thieves and pimps run free, and good men die like dogs.“ Jedoch, fügte er an: „There’s also a negative side.“
Diese nachteilige Seite des Geschäfts, nennen wir sie Unterbelichtung, ist die Klaviatur, auf der Dan spielen. Musikalisch, indem sie ihren Pop auf Jazz-Akkorden bauen. Lyrisch, indem sie Labyrinthe aus sardonischen Wendungen und literarischen Bezügen anlegen. „Gerade so sophisticated, wie es die Songstrukturen gestatten“, meint Walter Becker. Persönlich schließlich, indem sie ihre „Toleranzschwelle für Dummheit jeder Art niedrig“ halten, wie Donald Fagen sagt. Das helfe ihnen, geistig rege zu bleiben unter doch widrigen Umständen, werde andererseits gern als Arroganz ausgelegt. Von Journalisten zumeist, die schon mal entnervt von dannen ziehen nach einem gescheiterten Interview-Versuch. Ein holländischer Kollege, dem ich unmittelbar nach einem solchen vor drei Jahren in New York begegnete, hatte Tränen in den Augen.
Heute ist die Begrüßung freundlich, der Ton jovial bis spöttisch, die Stimmung entspannt. Für Dan-Verhältnisse. Was damit zu tun haben mag, dass die Herren Becker und Fagen zur Zeit nicht allzu schwer zu tragen haben an der Bürde, Steely Dan zu sein. Oder einfach daran, dass sie ausnehmend gut geschlafen haben. Es ist Anfang März, wir sitzen in einer weitläufigen Suite des Fairmont Hotels in Santa Monica, der Morgennebel über dem Pazifik löst sich langsam auf, und unten am Strand formieren sich die ersten Protestumzüge gegen den drohenden Krieg. Vollbärtige, halb nackte Künstlertypen in Bermudas und Badelatschen, tätowierte Biker, ältliche Inline-Skater, jugendliche Rucksack-Touristen, Jesus-Freaks, Mantras singende Matronen, Orden-behängte Vietnam-Veteranen, wasserstoffblonde Bikini-Babes und gelb-gegerbte Sonnenanbeter, sie alle ziehen täglich rauf nach Venice, mit mal militanten, mal frivolen Parolen gegen die US-Politik. Paradiesvögel aller Länder, vereinigt euch.
Walter Becker berichtet von einem Mann, der am Vortag in einer Mall unweit von hier verhaftet wurde, weil er und sein kleiner Sohn
T-Shirts mit der Aufschrift „Peace“ trugen. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Und wie der übereifrige Wachmann selbst wiederum gerüffelt wurde von seinen Vorgesetzten. Es herrsche ein Klima völliger Verunsicherung, meint Fagen. Zivilcourage zu zeigen werde immer schwerer. Für den Mann im Weißen Haus haben die beiden nur Verachtung. „Man weiß, er ist nicht der Hellste, man ahnt, wer ihn lenkt“, sagt Becker, „Bushs krude Weltsicht kennt kein Pardon; was ich aber nicht verstehe ist, warum Tony Blair da mitzieht. Das ist doch ein aufgeklärter Mann. In London allein waren letzten Samstag zwei Millionen Leute auf der Straße, das müsste ihn doch zur Vernunft bringen.“ Fagen lacht. Nicht vernehmbar, mehr in sich hinein. Vernunft, höhnt er, sei dann doch zuviel verlangt, und selbst dann, wenn vorhanden, ohne Aussicht auf Durchsetzbarkeit, wenn die Interessenlage dagegen spreche.
Becker und Fagen, das ist offenkundig, leiden unter den veränderten Lebensbedingungen in Amerika seit den Anschlägen des 11. September. Der flaggenschwenkende Patriotismus, das religiöse Gedöns, der schnöde Attentismus liberaler Kreise, die Denkverbote, der vorauseilende Gehorsam und die Selbstzensur vieler Kulturschaffender machen ihnen schwer zu schaffen, darüber kann auch ihr fintenreiches Gefrotzel nicht hinwegtäuschen. „In New York ist es nicht so schlimm“, weiß Fagen, der inzwischen wieder dort lebt, im Schoße der Familie, in der Nachbarschaft von Delis und als Gast von Bar Mitzvahs. Walter Becker pendelt zwischen New York City und Hawaii, wo er schon lange ein Haus hat und es sich ruhig und relativ zurückgezogen leben lässt. Für die Interviews zum neuen Album haben die beiden Los Angeles erkoren, „weil es genau zwischen New York und Hawaii liegt, also in gewisser Weise neutrales Terrain ist“, erklärt Becker, „und weil es uns die Gelegenheit gibt, unsere langjährigen Wirkungsstätten zu besuchen.“
Kalifornien! Was war das für ein Kulturschock für die beiden damals, vor fast 33 Jahren. Aufgewachsen mit Jazz und Blues, Literatur und Kunst, bildungshungrig, redegewandt und sehr von sich eingenommen, hatte sie das grausame Schicksal in die Stadt der Engel verschlagen. Weil sie ein Angebot erhalten hatten, das sie nicht abschlagen konnten. Ihre eigene Musik machen, anstatt auf ewig B-Seiten für Jay & The Americans zu komponieren. Der Songwriter-Tretmühle zu entkommen schien eine gute Idee. Bis ihnen dämmerte, dass nicht nur die Uhren anders gingen an der Westküste. Schrecklich langsam ging hier alles vonstatten, und ohne Auto war man kein Mensch. So sahen sie sich gezwungen, den Führerschein zu machen und tagein, tagaus wertvolle Zeit am Steuer zu vergeuden. Fataler noch: Sie fanden kaum Anschluss unter Gleichaltrigen. Donald war 23, Walter 21, die Stadt wimmelte nur so von Kids dieses Alters, aber, so erinnert sich Becker mit Grausen, „die unterhielten sich über das Zeugs, womit sie ihre Surfboards wachsten oder über Bremsbeläge für ihre Chevys“.
Es war anfangs hart für die beiden obercoolen Jungintellektuellen. Der Reiz des Neuen, sprich: warmes Wetter und viel Platz, war schnell verflogen. Sie mochten sich nicht dem Schneckentempo anpassen, vermissten die kulturelle Vitalität und Zuspitzung New Yorks. Man käme sich in LA vor wie in einem Leichenschauhaus, was die geistige Regsamkeit der Bewohner beträfe, urteilte der junge Becker seinerzeit und machte sich bei den neuen Nachbarn entsprechend beliebt. „LA is marked by excesses of every kind and complete disregard for humanity“, diktierte er einem Reporter, „as if it were built for the automobile and hamburger stand Operators.“ Einige ihrer besten Songs sollten später diese Dichotomie zwischen Malibu und Manhattan thematisieren, am deutlichsten wohl „Show Biz Kids“.
Doch noch sind wir nicht soweit, noch schreiben wir 1971 und Steely Dan stehen erst kurz vor ihrer Geburt. Im Jahr davor hatten Walter Becker und Donald Fagen ihre erste gemeinsame Platte veröffentlicht, als The Original Soundtrack. Es war, you guessed it, ein Soundtrack. Zu einem vorgeblich satirischen und jedenfalls reichlich vulgären B-Movie mit Richard Pryor titels „You Gotta Walk It Like You Talk It Or You’ll Lose That Beat“. Die Musik? „Wäre besser in der Versenkung geblieben“, behauptet Fagen. Tatsächlich gewährt die LP ein paar zweifelhafte Genüsse, so ein Schlagzeug-Solo und allerlei zielloses Gedudel, dessen Sinn sich erst erschließt, wenn die Bilder dazu laufen. Dan-Fans indes freuen sich über Dan-Signaturen, embryonal noch, aber unüberhörbar: die Jazz-Deklinationen, die Songmuster in Moll, die lyrischen Spiegelfechtereien. „Gebrauchsmusik eben“, sagt Becker abschätzig. „Aber doch eine durchaus wertvolle Erfahrung.“
Dann kam „Dallas“. Die erste offizielle Dan-Scheibe. Eine Single: zwei feine Songs (die B-Seite heißt „Sail The Waterway“), beide selbstredend aus der Feder unserer Helden. Gepflegter Country Rock, samt Pedal Steel Guitar courtesy of Jefirey „Skunk“ Baxter, mit Jim Hodder am Mikro, ausgefeilten Vocal Harmonies, jeder Menge Bongos und einem ausgesprochen eingängigen Refrain („Bye Bye Dallas“), der sich freilich früher bewahrheiten sollte, als es etwa Baxter und erst recht dem Label ABC lieb war. Fagen und Becker beschlossen nämlich, die 45 schnell wieder aus dem Verkehr zu ziehen, weil sie glaubten, damit die falsche Stilrichtung vorzugeben. „Als Country-Rock-Band angesehen zu werden, wäre eine Hypothek gewesen“, erläutert Becker, „das mussten wir unbedingt vermeiden.“
Gefahr gebannt. Schon wenige Monate später erschien die erste LP, benannt nach einer Zeile aus Bob Dylans „It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry“: „Well I ride on the mail train, baby/ Can’t buy a thrill.“ Sagen die einen. Falsch, sagen die anderen. Der LP-Titel gehe auf einen Satz zurück, den ein frustrierter Walter Becker seinem Freund Donald Fagen durchs Telefon schickte: „You can’t buy a thrill in California.“ Danach befragt, grinsen die beiden nur. „Such Dir aus, was Dir besser gefällt.“ Gleichviel. „Can’t Buy A Thrill“ war das erste von sieben süperben, etliche neue Standards setzenden und, wie schön, auch kommerziell überaus erfolgreichen Alben. Die gesamten Siebziger standen nicht zuletzt unter dem guten Stern von Steely Dan. Alles bestens dokumentiert. Dann, 1980, nach „Gaucho“, kam das Aus. 20 Jahre sollte es dauern, bis sich Becker und Fagen zu einem neuen Dan-Studio-Album aufraffen mochten.
Und nun liegt „Two Against Nature“ auch schon wieder drei Jahre zurück. Ereignisreiche Jahre, in denen Steely Dan mit Ehren geradezu überhäuft wurden. Der ASCAP Founder Award For Lifetime Achievementln Songwriting wurde Ihnen verliehen, dazu diverse akademische Titel von verschiedenen Universitäten. Im Februar 2001 heimsten sie vier Grammies ein, ein paar Wochen später wurden sie in die Rock’n’Roll Hall Of Fame eingeführt und publizierten anlässlich dieser „unverhofften Gunst“ eines ihrer berüchtigten, vielsagenden Communiques: „On this, the occasion of Steely Dan’s induction into the Hall Of Fame, we would like to make a Statement: Thanks!“ Und dann folgt eine Auflistung von fast 200 Personen, in alphabetischer Reihenfolge, die einen Beitrag zum Dan-Gesamtwerk geleistet haben. Inklusive des einen Komponisten, den Dan gecovert haben: Duke Ellington.
Mit mildem Sarkasmus bedenken Becker und Fagen solche Akkoladen, die ihnen immer von Grund auf suspekt waren, die sie dann aber doch nicht ausschlugen. „Klar scheint das widersprüchlich“, konzediert Fagen, „aber gleichzeitig passt diese scheinbare Inkonsequenz doch prächtig in unser Weltbild. Manches ist eben nur mit Ironie zu ertragen, in anderen Situationen brauchst du einen gehörigen Schuss Zynismus, um dich nicht unnötig an Banalitäten zu reiben. Also nimmst du das mit und machst dir insgeheim deinen eigenen Reim drauf.“ Fair enough. Trotzdem ist es doch ein schlechter Witz, dass man Steely Dan in den 70er Jahren, als sie ungleich wichtiger waren, völlig übergangen hat, um sie nun für ein Album auf den Schild zu heben, das sie – in musikästhetischen Maßstäben gedacht – bereits vor 20 Jahren produziert haben. „Stimmt schon“, räumt Becker ein, „die Relevanz einer Grammy-Verleihung hat nichts mit künstlerischen Aspekten zu tun, sondern trägt dem Markt Rechnung und zielt darauf zurück. Das war uns von vorneherein klar. Aber wir dachten ja auch nicht im Traum daran, so groß abzuräumen. Der Plan war, hinzugehen, eine möglichst gute Zeit zu haben und den Ort als gute Verlierer wieder zu verlassen. Diese Preise in den sogenannten Neben-Kategorien (Best Pop Performance by a Duo or Group with Vocals, Best Pop Vocal Album, Best Engineered Album/Non-Classical, d.V.) waren ja bereits mehr als wir erwartet hatten. Ich meine, es schienen sich alle Anwesenden sicher zu sein, daß dieser Rapper, Eminem, den Preis für das Album des Jahres kriegen würde. Das schien eine ausgemachte Sache, schon lange vor der eigentlichen Zeremonie. Du wirst dort Stunden vorher schon
im Backstage-Bereich herumgereicht, wenn du für irgendetwas nominiert bist Da wird ein Riesenzirkus veranstaltet bei diesem Pseudo-Event.“
Und einfach wegbleiben, wäre das keine Option gewesen? „Doch, absolut Wir haben ernsthaft darüber nachgedacht, gar nicht erst hinzugehen“, beteuert Donald Fagen. „Ich glaube, wir wären wohl nicht hingegangen, wenn nicht einiges für uns auf dem Spiel gestanden hätte“, mutmaßt Walter Becker. „Das Problem war: Wir hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Plattenvertrag.“
Wie bitte? “ Two Against Nature“ hatte doch gerade die Top Ten der Charts geziert, in Amerika, im UK, in Deutschland und sonstwo, wie konntet Ihr da ohne Vertrag dastehen?
BECKER: „Nun, unser Label hatte uns fallen lassen. Oder korrekter: Man hatte die Option auf eine weitere Platte verstreichen lassen, was auf dasselbe hinausläuft.“ FAGEN: „Es war eine interessante Situation für uns (lacht meckernd). Auf der einen Seite stand unsere Plattenfirma, die uns nicht mehr wollte, auf der anderen wurden wir hofiert und zu diesen Galas geladen.“
Wie erklärt Ihr Euch die Logik Eures Labels? „Nature“ müsste doch mehr als eine Million verkauft haben, weltweit. Platin!
FAGEN: „Es lief eigentlich ganz ordentlich, das Album. Besser als wir zu hoffen gewagt hatten. Eine halbe Million oder so in den Staaten.“
Und das reichte denen nicht? Oder steckt etwas anderes dahinter? Krach hinter den Kulissen, vertuschte Skandale, etwas in der Art?
FAGEN: „Meine Güte, was würde ich darum geben, wenn es so wäre. Die Wahrheit ist, wie so oft, recht profan. Sie meinten, eine bessere Bilanz ohne uns hinzukriegen.“
BECKER: „Es hatte, wie sich allerdings erst später herausstellte, auch damit zu tun, dass bei firmeninternen Restrukturierungen – so nennen sie das – gleich eine Art Begradigung des Künstlerangebots vorgenommen wurde. Giant Records gibt es ja nun nicht mehr, und diverse Posten in den oberen Etagen von Warner Brothers sind neu besetzt worden. Corpomte maneuvering, you know. Nichts, was uns den Schlaf rauben würde unter normalen Umständen. Aber wir wurden darüber nicht einmal informiert. Als die Grammy-Nominierungen ins Haus flatterten, standen wir jedenfalls ohne Vertrag da. Das hat unsere Entscheidung, der Verleihung beizuwohnen, positiv beeinflusst.“
FAGEN:, Eine Torschlusspanik, dachten wir, sollte unter allen Umständen vermieden werden. Das wäre zu entwürdigend. Also wägten wir die Fürs und Widers im Lichte unserer unfreiwilligen Ungebundenheit verantwortungsbewusst ab und entschieden uns für die Teilnahme. Ausschlaggebend war letztlich, dass wir unseren Frauen die Gelegenheit nicht nehmen wollten, die Abendgarderobe auszuführen. Kommt selten genug vor.“
BECKER: „Und für die Kinder war es eine Abwechslung. Für uns ja im Übrigen auch. It was fun.“
FAGEN: „Es zog sich ganz schön hin. Am Ende waren wir heilfroh, dass es vorbei war, Wenn ich nur einem Wichtigtuer mehr hätte die Hand schütteln müssen, fiele unser Resümee jetzt nicht so schwärmerisch aus.“
Man tragt sich immer, wann die Nominierten erfahren, ob sie einen Grammy bekommen. Wie war das bei Euch?
BECKER: „Wir wurden bis zuletzt im Ungewissen gelassen, kein feiner Zug.“
FAGEN: „Was den Preis für das Album des Jahres angeht, traf es uns völlig unvorbereitet. Ich meine, schau Dir unsere Gesichter in der Aufzeichnung an, so gute Schauspieler sind wir nicht. Es war ein mulmiges Gefühl, weil es eine so offenkundig unpopuläre Entscheidung war. Wir haben die Party gestört, weil wir Eminem den Award weggeschnappt hatten. Das ließen uns dann manche auch deutlich spüren.“
Es gab vereinzelte Buhrufe aus dem Publikum, als ihr Euch durch die Sitzreihe nach vorne gezwängt habt.
FAGEN: ,Ja, doch hat uns das nicht in dem redlichen Bemühen beeinträchtigt, diesen seltenen Moment der Irritation in vollen Zügen zu genießen. Und es stellte sich heraus, dass es wirklich nur ein Moment war. Schon ein
paar Tage später fand es kaum noch jemand einer Erwähnung wert. Sehr enttäuschend.“
Schaut man sich die Aufstellung von Grammy-Preisträgern der letzten Jahrzehnte an, kommen Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Preis-Komitees auf. Fühlt Ihr Euch denn in guter Gesellschaft?
BECKER: „Wir haben das nie ernst genommen. Diese Verleihungen werden von Branchenkreisen vorgenommen, mit denen wir keine Berührung haben. Ich wüsste gar nicht, wer zuvor was gewonnen hat. Über die Motive lässt sich trefflich spekulieren.“
Was immerhin auffällt, ist, dass noch nie ein Künstler einen Grammy erhalten hat, solange seine Kunst akut war und wichtig, sondern erst Jahre später, wenn überhaupt. Was auch auffällt ist, dass es da mächtige Seilschaften geben muss, sonst würden nicht immer dieselben bedacht. Quincy Jones etwa bekam fast 40 Grammies, seine ehemaligen Mündel Stevie Wonder und Michael Jackson sitzen auf beinahe ebensovielen. Jackson allein hat dreimal mehr Grammies erhalten als Elvis, Dylan, die Beach Boys, Beatles und Stones zusammengenommen. BECKER: „So ist es wohl“ FAGEN: „Gerechtigkeit ist ein hohes und rares Gut.“
Und nun hat Norah Jones gleich acht Grammies abgeräumt. Unter anderem in der Kategorie Jazz. BECKER (lacht gallig): „Oh ja.“ FAGEN (lacht galliger): „Gütiger Himmel, ja.“
Ginge es ein wenig ausführlicher?
FAGEN: „Nein.“
BECKER: „Seit wir zum erlauchten Kreis der Grammy-Preistrager gehören, müssen wir uns vorsehen. Ein unbedachtes Wort – und das Fundament, auf dem unsere Statue steht, fangt an zu bröckeln.“
Schön, lassen wir das. Hat die Einführung Steely Dans in die „Rock’n‘ Roll Hall Of Farne“ ähnlich angenehme Gefühle bei Euch geweckt?
BECKER: „Es war, wie durch das Ziel zu kommen nach einem Marathonlauf.“
FAGEN: „Sehr befriedigend. Wir sehnten uns sehr lange schon danach, endlich als Rock-Stars anerkannnt zu werden.“
Warum hat ausgerechnet Moby die Laudatio gehalten?
BECKER: „Das entzieht sich unserer Kenntnis. Wir wussten ja nicht einmal, wer Moby überhaupt ist.“
FAGEN: „Mir fiel damals nur Moby Grape ein, als uns das mitgeteilt wurde. Jetzt wissen wir, dass es einen neuen Moby gibt“
Nun habt ihr, für uns Dan-Fans unverhofft früh, ein neues Album am Start. Nur drei Jahre nach dem letzten. Ein Kreativitätsschub?
BECKER: „Kein Grund, sarkastisch zu werden. Wir haben gut gearbeitet und sind gut vorangekommen, ohne die unziemliche Eile, die früher so manche unserer Errungenschaften gemindert hat. Wenn wir überhaupt etwas gelernt haben in all den Jahren, dann Zeiteinteilung.“
FAGEN: „Und nun haben wir uns warmgelaufen. Wir kamen gestern erst aus Las Vegas zurück, wo wir einen kleinen Film gedreht haben, der helfen soll, die Platte zu bewerben. Ich weiß nicht, ob Ihr in Europa die TV-Sendung „Taxi Cab Confessions“ kennt. Da steigen Leute in ein mit greller Innenbeleuchtung und Kameras ausgestattetes Taxi und erzählen dem Fahrer, während er sie herumkutschiert, ihre Lebensgeschichte in allen perversen Details. They really spill their guts. Das haben wir auch gemacht.“
BECKER: Ja, wir haben kein Blatt vor den Mund genommen und uns richtig ausgekotzt.“
Alles erfundenes Zeugs, nehme ich doch an, alles Lügen?
FAGEN: „Darauf kannst Du Gift nehmen. Lügen, Lügen, Lügen.“
BECKER: „Garniert mit Halbwahrheiten, wie es unsere Art ist.“
FAGEN: „Das Material wird gerade gesichtet. Ich wäre schon zufrieden, wenn es halb so gut wird, wie es Spaß gemacht hat“
Das Album klingt anders als das letzte. Besser noch. Musikalisch, weil es mehr von einem Band-Feeling vermittelt. Klanglich, weil es mehr Luft hat, mehr Raum, mehr Dynamik. Und die Songs scheinen melodisch um einiges runder und dadurch noch eingängiger zu sein. War das alles überlegt und intendiert?
BECKER (lacht): „Sicher, ganz genau so.“
FAGEN: „Wir haben das Studio gewechselt und die Tracks live aufgenommen, mehrere Spuren gleichzeitig. Und konsequent analog diesmal, den Mix eingeschlossen. Bei Nature“ sind wir noch den Kompromiss eingegangen, die analogen Tapes digital abzumischen. Es schien eine gute Idee zu sein und es war sehr bequem, aber die Resultate waren nicht optimal.“
BECKER: „Diesmal folgten wir dem Rat unseres Engineers Elliot Scheiner und eliminierten digitale Geräte aus dem Produktionsprozess. Ich weiß, dass Du uns vor drei Jahren dasselbe gesagt hast wie Elliot jetzt, und wir haben das damals ja auch ausführlich diskutiert, aber wir sind Skeptiker und Agnostiker und brauchen den sinnlichen Beweis. Jetzt haben wir ihn.“
FAGEN: „Was auch eine wichtige Rolle spielte, war eine natürliche Selektion der Musiker. Wir haben mit so vielen guten Leuten gespielt, aber es kommt am Ende darauf an, wie sie zusammenspielen. Auf der Bühne sowieso, aber diesmal ging es uns auch mehr darum, diese gewachsene instrumentale Verzahnung auch im Studio besser zu nutzen. Im Wesentlichen rekruierten wir auf die Musiker, die uns auf der letzten Tour begleiteten, Jon Herington, Hugh McCracken, Ted Baker, Bill Charlap. Und wir bauten einen neuen Drummer ein, Keith Carlock. der einen Unterschied machte.“
Ihr habt rund ein Jahr gebraucht, um die neun Tracks fertigzustellen.
Da Ihr live aufgenommen habt, erhebt sich die Frage: Wie viele Takes habt ihr gebraucht? First Takes dürften ja nicht dabei sein.“
BECKER: „Ein paar Takes oft nur, drei oder vier.“
FAGEN: ,Ja. Early Takes zumeist. Wir begannen morgens und hatten die Basic Tracks jeweils nachmittags im Kasten. Sehr effizient.“
Und die Solos und andere Overdubs dann gleich im Anschluß?
BECKER: „Nein, so effizient dann auch wieder nicht. Die Overdubs wurden später gemacht, manchmal für mehr als einen Track am Tag. Das sieht aus, als hätten wir unseren Hang zum Perfektionismus etwas gezügelt. Aber das sieht natürlich nur so aus.“
Dem Title-Track habt Ihr ein kurzes Jazz-Präludium vorangestellt, das dann im eigentlichen Track gar nicht mehr thematisiert wird und ihm ganz äußerlich bleibt. Man hört dieses Intro, freut sich darüber, denkt an Art Blakey, glaubt die Jazz Messengers zu hören, circa 1961, rechnet jeden Moment mit einem Solo von Freddie Hubbard oder Wayne Shorter, und dann ist das Ding plötzlich zu Ende nach einer Minute, sang- und klanglos. Es folgt eine lange Sekunde Pause, dann erst startet „Everything Must Go“. Was soll das bedeuten?
BECKER: „Nichts, es gibt nichts hineinzuinterpretieren, tut mir leid.“
FAGEN: „Warum hörst Du Dir nicht das Intro an, nimmst die Platte runter und legst Art Blakey auf, wenn Dir der Rest nach dem Break nicht gefällt?“
Davon war keine Rede. Ich finde es nur etwas rätselhaft, das ist schon alles.
FAGEN: „Nun, es begann als Piano-Vorspiel und wuchs sich im Studio dann zu diesem Jazz-Stückchen aus, in dem übrigens doch das Motiv der Song-Brücke enthalten ist, wenn auch eher versteckt.“
BECKER: „Wolfgang, wir sollten uns öfter unterhalten, dann könnten wir Dir derlei Rätsel ersparen. Wir wussten einfach nicht, dass du keine Breaks magst. Es ist ja keineswegs so, dass wir nicht auf Dich hören. Ich wundere mich ein bißchen, dass Dir etwas anderes nicht aufgefallen ist, worüber Du Dich bei unserem letzten Gespräch beklagt hast.“
Ich wäre noch darauf gekommen. Natürlich habe ich erfreut zur Kenntnis genommen, dass Ihr einige Tracks, vier immerhin, mit einem richtigen Ende versehen habt anstatt sie zu faden. Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr meine Anmerkung so ernst nehmen würdet.
FAGEN: „Anmerkung? Anklage trifft es besser. Du hast uns ganz schön zugesetzt ,Lazy‘ hast du uns genannt, kompositorische Unzulänglichkeiten hast Du uns vorgeworfen, habe ich alles noch gut im Ohr.“
BECKER: „Wir haben Dir damals widersprochen, weil Du so apodiktisch argumentiert hast, aber wir spürten beide, daß Du Recht hattest. Und haben uns das später auch eingestanden. Ein Fade-out muss zwar nicht unbedingt ein Cop-out sein, wie Du das damals formuliert hast, aber oft ist es naturlich genau das. Wir haben Deinen Rat also angenommen und da umgesetzt, wo es uns passend erschien.“
FAGEN (lachend): Dein Einfluss auf dieses Album wird nicht unterschätzt, wie Du siehst.“
Hört, hört. Bekomme ich dafür ein Credit auf dem Cover? FAGEN: „Nein, das geht nicht.“ BECKER: „Es wäre verdient, aber bedenke die Konsequenzen. Wir würden uns und Dir damit das Wasser abgraben. Wir würden Dich kompromittieren, weil so ein Credit Deine Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit als Kritiker in Frage stellen würde. Uns würde es ebenso schaden, weil Deine Leser misstrauisch würden und Deine glühende Verehrung für uns und unser Werk womöglich mit Kumpanei erklären würden.“
Nun, ich denke, ich würde das in Kauf nehmen.
FAGEN: „Wir nicht, das Risiko ist zugroß.“
BECKER: „Wir müssen hier Verantwortung übernehmen, auch für Dich. Dein Standing steht auf dem Spiel, unsere Reputation als souveräne Musiker auch. Und wir könnten uns nicht mehr treffen.“
Das ist hochanständig von Euch.
Much obliged.
BECKER: „Anytime, anytime. FAGEN: „Verbuche es doch unter: dumm gelaufen.“ BECKER: „Und besuch uns wieder.“