Jason Isbell über Ryan Adams: „Wer Vergebung will, muss auch etwas dafür tun!“
Wie der Americana-Star Jason Isbell, früher selbst alkoholkrank, heute über seinen notorischen Kollegen denkt
Sie waren einmal Freunde. Recht naheliegend, denn Jason Isbell und Ryan Adams haben einiges gemeinsam. Nicht nur sind sie hochtalentierte Songschreiber, im Americana-Bereich gibt es aktuell wenig bessere. Sie haben auch beide eine Suchtvergangenheit. Während Isbell seit elf Jahren trocken ist, gelang es Adams erst vor kürzerem, Alkohol und Tabletten loszuwerden – und damit vielleicht/hoffentlich auch, sich zukünftig besser zu benehmen. Adams tourt jetzt wieder durch Amerika und die Länder, die ihn noch haben wollen. In Deutschland fand er zuletzt offensichtlich keine Konzertagentur mehr. Zu schwer wiegt immer noch die Vergangenheit.
Als 2019 bekannt wurde, dass Ryan Adams etliche Frauen mies behandelt und mit einer Minderjährigen, die er für volljährig hielt, Sexnachrichten ausgetauscht hatte, zogen sich nicht nur die Geschäftspartner, sondern auch die meisten Freunde zurück – oder blieben zwar, sagten aber wie Produzent Don Was lieber nichts zu der Sache. (Justiziabel war offensichtlich nichts davon, jedenfalls gab es keine Anklage gegen Adams, doch zu einer richtigen Entschuldigung konnte er sich erst Monate später durchringen.) John Mayer oder Benmont Trench spielten weiterhin auf Adams‘ Alben mit, Lucinda Williams fand einige ausgleichende Worte. Jason Isbell kritisierte erst mal seine eigene Rolle: „Ich war enttäuscht von mir selbst, dass ich gar nicht mitbekommen habe, was da abging“, sagte er 2020 im Magazin „GQ“, und dass er seitdem genauer über seine Freundschaften nachdenke und darüber, was für ein Freund er selbst sein möchte. „Aber vor allem tun mir natürlich die Menschen leid, die Frauen, die all das ertragen mussten.“ Sowieso klar.
Drei Jahre später kämpft Isbell auf seine einstige Freundschaft mit Ryan Adams angesprochen immer noch mit der richtigen Haltung zu dem diffizilen Thema. Wir kommen auf das Thema, weil Isbell ein Lied geschrieben hat, das „When We Were Close“ heißt und in dem es um eine Freundschaft geht, die nicht mehr zu retten war. Er zitiert darin einen Townes-van-Zandt- und einen Steve-Earle-Song, was die Vermutung nahelegt, dass der Song von seinem Kollegen Justin Townes Earle handelt, der im August 2020 an einer Überdosis starb. Konkret werden möchte Isbell nicht: „Ich rede lieber nicht so genau darüber, weil ich denke, der Song erklärt sich selbst – und wenn nicht, dann habe ich ihn wohl nicht gut genug geschrieben. Es geht um komplizierte Beziehungen und jemanden, der gestorben ist, bevor es die Gelegenheit gab, sich wieder zu vertragen. Dieses Gefühl: Vielleicht wäre es ohnehin nicht wieder gut geworden zwischen uns, aber jetzt ist die Chance definitiv vorbei.“
Wenn Isbell vom schwierigen Umgang mit Süchtigen redet, dann spricht er eben auch aus eigener Erfahrung, – deshalb hat er keine einfachen Lösungen anzubieten. „Ich habe es ja selbst erlebt: An welchem Punkt bedeutet die Hilfestellung, die andere einem geben, dass sie damit das falsche Verhalten unterstützen – und so die nötige Entwicklung verhindern? Wo ist da die Grenze? Sie ist auf jeden Fall sehr schmal, und sie verändert sich zudem ständig. Es gibt keine allgemeingültige Regel dafür.“ Wie sieht das nun bei Ryan Adams aus – hat der eine zweite Chance verdient? „Es sollte immer Raum für Vergebung geben – dafür muss der Mensch, der diese Vergebung will, allerdings auch etwas tun! Zuerst muss von der Seite aus einiges passieren. In Ryans Fall weiß ich nicht, wie die Entwicklung bei ihm aussieht. Er spielt ja wieder Konzerte, und Brad Pemberton und Don Was und so weiter stehen ihm bei – aber ansonsten?“
Isbell seufzt, es bleibt kompliziert. „Wenn all das öffentlich passiert, ist es noch mal schwieriger. Sich Vergebung zu wünschen ist ja nicht dasselbe, wie Rehabilitation zu erwarten. Also das Image wieder herstellen zu wollen. Vergebung hat nichts mit schlechtem Ruf oder Ruhm zu tun. Ehrlich gesagt finde ich, dass Songwriter auf der höchsten Stufe sowieso schon mehr bekommen, als sie verdient haben. Wir arbeiten ja gar nicht so hart wie normale Leute. Wir haben es sehr, sehr gut. Schließlich hat niemand das Recht, ein berühmter Songwriter zu sein. Du hast das Recht, Songs zu schreiben und aufzutreten und all das, aber du kannst nicht erwarten, dass du damit über alle anderen hinauswächst. Wenn jemand jetzt also ein bisschen weniger berühmt ist – na und? Das ist viel weniger wichtig als wirkliche Vergebung.“
Mehr zu Jason Isbell und seinem neuen Album „Weathervanes“ lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des ROLLING STONE.