Janz jraaduss
Jetzt feiern sie 30jähriges Jubiläum, aber was bedeutet Zeit noch für eine Band wie BAP? Wenn Wolfgang Niedecken zurückblickt, denkt er auch an den Major, und der ist wieder da.
Es gibt zur Feier des Tages einen Song, der traurig klingt. Nicht bloß melancholisch, was man ja verstehen könnte, weil es jedem Butz beim Zurückgucken auf 30 Jahre so vorkommt, als ob da auch Löcher sind in der eigenen Biographie, verpaßte Jahre und mitgeschleppte Sehnsucht. Aber Niedeckens neues Lied ist richtig in Moll, fängt wie „Mr. Tambourine Man“ von den Byrds mit einer zwölfsaittgen Rickenbacker-Gitarre an, die sich hier aber klein und dünn macht. Und nach den in den Strophen als Dia-Schau vorgeführten Blitzen aus der BAP-Zeit (Schleyer, Elvis, Müngersdorf, China, Wim Wenders) singt er die rhetorische Frage im Refrain so ernst und zitternd, als brauche er echt eine Antwort: „Dreimohl zehn Johre, wo sinn die all hin?“ Obwohl er das wissen müßte. Nur ein Lied halt.
Zu bedeutungsvoll wollen wir da auch nicht gleich sein. Im Land, in dem die Erde eine Kugel und die Schallplatte eine Scheibe ist, werden BAP aus Köln dieses Jahr 30 Jahre alt. Man kommt ja rechtschaffen durcheinander mit den ganzen Bühnen-, Platten- und allgemeinen Rock’n’Roll-Jubiläen, deshalb: 1976 schrieb Wolfgang Niedecken am Küchentisch das Lied „Helfe kann dir keiner“, über eine Frau namens Hildegard-Anna, die ihn unglücklich machte, die er später auch in einem Song namens „Anna“ besang. „Helfe kann dir keiner“ war sein erster Text auf Kölsch, deshalb wurden BAP, wie wir sie kennen, genau da erfunden, und deshalb hat zumindest die Idee BAP Geburtstag.
Von der Band ist außer ihm freilich keiner mehr dabei, da ist – so einen Lückentext wollten wir längst mal wieder machen – „Viel passiert“ (Titel BAP-Film) zwischendurch, da war immer mal wieder „Nix wie bessher“ (1996), da war „Ahnunfürsich“ (1998) öfter mal „Zofall un e janz klei‘ bessje Glöck“ (1983) im Spiel, und „Ett ess vorbei“ (2003) dachte Niedecken nie. Obwohl sein Jubiläumslied „Dreimol zehn Johre“ so seltsam bedrückt klingt. Ende 2005 haben BAP schon die „Dreimal zehn Jahre“-CD mit 31 Neuaufnahmen und Duetten gebracht, Goldene Schallplatte kam schon, ab Mitte März sind sie auf Tournee, und im Januar haben sie an zwei Abenden in der Kölnarena gespielt, Samstag vor 12 000, Sonntag vor 10 000 Leuten. Köln kam früher meist am Schluß dran.
Am Montagmorgen drauf ist Niedecken groß und farbig auf dem Titel des „Stadt-Anzeiger“. „Heimsieg für BAP'“, auf dem Foto sieht man ihn im schwarzen Jackett (von der Berufsfeuerwehr Köln, schreibt der „Express“), die Haarwolke vom Spot illuminiert, wie Niedecken die Telecaster-Gitarre leicht anhebt und dabei in einer Mischung aus Sanftheit und Denkmal-Würde ins Publikum schaut, als dürften ihm die Leute jetzt mal den Einsatz geben. Lustigerweise hat er, mit 54, seinem Vorbild Bob Dylan optisch nie ähnlicher gesehen. Dem größten, dem 66er-Dylan.
Warum hassen viele Leute BAP so sehr? Gerade weil sich in den besagten dreimal zehn Jahren am Prinzip der Band wenig geändert hat, an der BAP-Idee. Daß hier noch mit Gitarrenparks gereist wird, daß das verklärte „On the road“-Sein seinen Wert behalten hat, als einziges Fitzelchen des Rock’n’Roll-Traums, das man sich als unbekannte deutsche Band in den späten Siebzigern leisten konnte, als die Musik noch Mucke hieß. Wiglaf Droste hat Niedecken zuletzt als „ichbesoffen“ und „kitschhaubitzend“ beschimpft und zielte damit wohl auf die Aura, die ja viele Rocksänger der Siebziger-Achtziger-Wende mit sich herumziehen, auch Bono und Bob Geldof (dem Niedecken die Goldene Kamera aushändigte), die furchtlosen Männer, die einem Charity-Nachfolger wie Coldplays Chris Martin noch den historisch bedingten – und in vielen Augen besonders unsympathischen – Zug voraushaben, wie selbstbewußte Sprecher aufzutreten.
Niedecken hat den auch. Niedecken hat mehr Bücher geschrieben als jeder andere deutsche Musiker (Max Goldt und der schrill klampfende Maxim Biller zählen nicht), er hat den Forschern und Songtext-Auslegern alle Arbeit abgenommen, indem er immer alles mitteilte. Trotzdem, den Homme de Lettre oder den Lehrer hat er dabei seltsamerweise nie gespielt. Niedecken hat so oft in Erklärungen, Anekdoten und Coverversionen auf seine Vorbilder gewiesen, Dylan, Springsteen, Kinks, was manche ihm so ausgelegt haben, daß er sich mit ihnen in eine Reihe stellen wolle. Das stimmt nicht. Eigentlich hat Niedecken nur so nachdrücklich wie irgend möglich betont, daß er nie behaupten würde, den Rock’n’Roll auf seiner Kölner Fensterbrett gezüchtet zu haben. „Dankbarkeit“ sagt er dazu. Ensprechend beginnt der lichtglänzende erste Abend in der Kölnarena, noch vor Auftritt der Musiker, mit einem Radioknopf-Medley aus den Originalen von „Summertime Blues“, „Death Of A Clown“, „Hang On Sloopy“ (eine Kontext-Einleitung, wie sie auch manche HipHop-DJs zum Konzertanfang bringen) und endet nach dreieinhalb Stunden, die einen restlos von der melodischen Wucht der aktuellen BAP-Band überzeugen, mit „Hungry Heart“ und allen jungen Gastsängern, Marta Jandova (Die Happy), Henning Wehland (H-Blockx), Thomas D, nun gut.
Dazwischen die 29 Greatest Hits, eine Zeitreise, sagt Niedecken mit tief summender Singstimme pünktlich am folgenden Mittag auf dem Backstage-Sofa. Aber hat denn Zeit für eine Band wie BAP überhaupt noch Bedeutung? „Ein guter Song erreicht doch irgendwann den Punkt, wo er im Hier und Jetzt seine Gültigkeit behält. Gut, du kannst dir zwei, drei Stücke im Programm erlauben, bei denen du etwas tongue in cheek bist. Natürlich kann ich nicht allen Ernstes ,Wahnsinn‘ oder ‚Waschsalon‘ spielen und meinen, das war ’ne große Leistung. Wir haben das extra am Anfang gemacht. Damit alle merken: Es geht darum, das Ganze ein bißchen anzutreiben.“ „Wahnsinn“ kommt von der ersten BAP-Platte, auf der hinten stand: „Die Rock-Arrangements wurden von der gesamten Gruppe erarbeitet.“
Das sollte ja die „Dreimal zehn Jahre „-Replays-CD: das, was im Repertoire überdauert hat, in den aktuellen Versionen der aktuellen Band zu zeigen, so, wie es heute halt lebt. Und vor allem beim 24 Jahre alten „Frau, ich freu mich“ ist die neue Lesart radikal anders. Das damals in Rockklassik zersprengte Lied klingt nun wie die nächtliche Fahrt unter dem „Mond von Wanne-Eickel“, von der der Text handelt, Niedecken singt eine Oktave tiefer. „Ich habe damals im Auto immer Springsteen gehört, und irgendwie war ich so drauf, von Songs wie ‚Born To Run‘ und ‚Thunder Road‘, daß ich dachte: Das hat man gefälligst zu brüllen. Das war ein Holzweg. Du darfst nicht vergessen, daß wir Anfang der Achtziger vom Handwerk her noch gar nicht in der Lage waren, das umzusetzen, was wir machen wollten. Wenn du da sagst: Wir machen ’ne Springsteen-Hommage, okay, dann machst du die mal. Man muß alles immer aus der Zeit raus beurteilen, in der wir es gemacht haben. Da bin ich dann schon wieder gnädiger mit vielen Sachen.'“
Man muß Niedecken gar nicht extra nach dem Major fragen. So linear die Bandgeschichte heute auch wirkt, so sehr alle Phasen zusammenfließen in der Gleichzeitigkeit, mit der all diese Lieder heute einfach da sind – der interessenbedingte Abschied von Gitarrist und Komponist Klaus „Major“ Heuser 1999 bleibt ein Riß in der BAP-Zeit, der an sich kein offizielles Thema mehr ist, auf den Niedecken aber von selbst zu sprechen kommt. „Vom Image her stand er bei uns immer für den Rock’n’Roll, aber innerhalb der Band sah das ganz anders aus. Ist auch okay, wir haben zusammen schöne Ergebnisse erzielt, und er hat sich bei jedem Album bemüht, mir Sachen zu geben, von denen er wußte, daß ich drauf abfahre. Gerade durch diese Spannung sind auch Sachen entstanden, mit denen wir am Ende alle glücklich waren. Wenn der Major nicht 1980 gekommen wär – ich weiß nicht, ob’s überhaupt ein zweites Album gegeben hätte.“
Vermißt er ihn? „Nein. Da will ich ehrlich bleiben. Damals war die Band gespalten, heute ist sie das nicht mehr. Als ich das von Sebastian Krüger gemalte Cover für die neue Platte gesehen hab – das war die Zeit, als im Wahlkampf immer vom Kompetenzteam die Rede war. Das Cover war für mich so: Aha, das Kompetenzteam! Die willste doch höre, die Brüdder!“ Die alternative „BAP 1976“-Version der Zeichnung zeigt – provokant – neben Niedecken ebenfalls die vier Männer der heutigen Band. „Das ist die ironische Antwort auf die Frage: Wer ist von der Originalbesetzung noch dabei?“ sagt er. „Was zum Teufel ist bei BAP die Originalbesetzung? Die kriegt keiner außer mir zusammen. Das waren die Strategen, die sich im Wiegehäuschen des Kalksandsteinwerks an der Köln-Bonner Autobahn zum Proben trafen.“
Wenn man Wolfgang Niedecken wieder auf der Bühne sieht, am zweiten Tag, neben den umherhüpfenden Stargästen mit ihrer „Wo seid ihr? Come on!“-Publikums-Animation, dann wird einem erst richtig klar, was für eine gewaltige, gelassene, leicht traurige Würde dieser Mann ausstrahlt. Der in Wahrheit doch nie vom süßen Überschwang des Rock’n’Roll gesüffelt hat. Der bald genug gelernt hat, nicht einmal beim Singen zu brüllen.
Und es ist eigentlich ein ganz ähnlicher Typ, der zwei Wochen darauf in München auf einem durchaus vergleichbaren Sofa sitzt. Der Major, der ohne nachzuweisende Absicht ausgerechnet im BAP-Jubiläumsjahr seine erste Soloplatte herausbringt, „Major & Suzan“ mit der Berliner Sängerin Suzan Werth, harmonisch schwelgender Studio-Pop, der eher an Sting erinnert und kaum an BAP, und trotzdem wird der Major im Lauf des Gesprächs in seinem schnellen, leisen Kölsch anmerken: „Wenn der Wolfgang dazu singen würde, würde wohl jeder sagen: Das ist typisch BAP“
„Viele Leute meinten: Komisch, daß du nicht mehr auftrittst“, sagt er, Klaus Heuser, 49, mittlerweile Studiobesitzer, der in den letzten privaten Jahren vor allem klassische Gitarre geübt und ein bißchen produziert hat. „Die denken, es gibt da so eine Sucht, das Popstar-mäßige – das hab ich alles gar nicht vermißt. Diese Sucht nach Bestätigung, das glauben die Leute zwar, aber das hab ich einfach nicht. Wenn man jung ist, will man schon Star werden. Ich kenn das heute halt alles. Ich hab keine kranken Vorstellungen, wie das jetzt abgeht mit der Platte.“
Den Solovertrag, den er aus der BAP-Zeit mitgenommen hat, löste die EMI, nachdem die neuen Songs vorgespielt waren. Heuser erzählt das fast verständnisvoll – untergekommen ist er dann lustigerweise beim Label des Ex-BAP-Bassisten Steve Borg. Absolut indie, er bezahlt alles selbst und hat sich so auch das bewahrt, was aus allen Äußerungen sehr deutlich als ein Grund dafür herausschimmert, warum es mit der alten Band nicht mehr ging: den Anspruch, alle musikalischen Dinge so einzurichten, wie er es will. „Ich hab mir Musiker geholt“, sagt er über die zweijährige Arbeit am Soloalbum, „und denen gesagt: Ich hätte das gerne so und so, es sei denn, du hast eine wirklich bessere Idee. Das gab keine großen Konflikte, aber so kam es, daß ich ab und zu einen Musiker wieder ausgetauscht hab.“
Auch bei ihm: Nach der Trennung von BAP muß man nicht fragen, Heuser erzählt von allein, wie lange er nach 20 Jahren Band-Zugehörigkeit brauchte, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, wie er immer wieder kurz zusammenzuckte, wenn eine neue BAP-Platte plakatiert wurde, und wie er den ungeliebten Spitznamen Major behielt, weil er den ja eh nie loswird. Wäre er denn theoretisch gern als Stargast in die Kölnarena gekommen? „Wolfgang und ich sind nicht verstritten, wir haben bloß gar nichts mehr miteinander zu tun. Wir reden nicht, aber wir haben keinen Streit. Ich wäre mir total blöd vorgekommen auf der Bühne. Stell dir mal vor, ich hätte das gemacht – entweder pfeifen die Leute, oder ich steh da auf verlorenem Posten und weiß gar nicht mehr, wer jetzt meine Band ist. Ich hätte das nie im Leben gewollt.“ Mit dem Suzan-Projekt mag er wieder selbst auf Tour gehen, will dann auch Coverversionen spielen, „Stücke, bei denen ich denke, daß andere Leute sie mal hören sollten“, denn irgendwo kommt das alles her, das hatten wir ja schon. Eben auch von BAP „Zuerst hab ich gedacht, das geht doch nicht, daß ich BAP-Sachen spiele. Aber dann hab ich gemerkt, daß sie auf dieser 30-Jahre-Platte ja teilweise auch hochdeutsch singen. Ich fand immer ,Paar Daach früher‘ total schön, und wenn die das jetzt auch schon in Hochdeutsch gemacht haben… dann kann ich das ja vielleicht auch.“ Durch die ganzen Jahre, durch die verschiedenen Song-Versionen hindurch werden der Major und Wolfgang Niedecken möglicherweise doch bald wieder dieselben Lieder spielen. Ganz selten heilt die Zeit ihre Wunden per Fernbedienung.