Jake Bugg und sein großes Debüt: Traditionsbewusst und ungestüm
Der Sänger wird 30 Jahre alt. Gleich mit seinem ersten Album gelang ihm ein großer Wurf.
ROLLING-STONE-Autorin Birgit Fuß schrieb die Rezension zur Debütplatte von Jake Bugg. Ihr Urteil damals: Ein 18-jähriger Brite ist der Hoffnungsträger des Jahres – mit herrlichen Songs zwischen Folk und Pop.
Endlich volljährig! Normalerweise reicht das, um sich zumindest kurzzeitig wie der Größte zu fühlen, aber der 18-jährige Jake Bugg hat gerade noch ein paar Gründe mehr. Noel Gallagher und Damon Albarn sind von ihm begeistert, Jools Holland und Ian Brown auch. Sein Debüt (das hier erst am 25.1. erscheint) schoss in Großbritannien sofort auf Platz eins. Ein erstaunlicher Karrierestart für einen Heranwachsenden aus Nottingham. Auf dem Cover seines Albums guckt er so, als könne er es selbst nicht glauben. Der kritische Blick – er durchzieht auch seine Musik, die permanent zwischen Verzweiflung und Mut, Stillstand und Aufbruch schwankt. Gleich im Auftaktsong kommen ein Krankenwagen und Engel vor, das Stück heißt „Lightning Bolt“ – und ein bisschen erschlagen fühlt man sich auch von diesen 14 Liedern.
Wenn Bugg jetzt, aus seiner kleinen Nussschale heraus, schon solche Songs parat hat, was wird er uns erst erzählen können, wenn er richtig erwachsen ist und die Welt gesehen hat? Man darf allerdings wohl den Anteil von Iain Archer, der hier an den besten Stücken mitgeschrieben war, nicht geringschätzen: Der Nordire (Snow Patrol, Tired Pony) hat immerhin schon einen Ivor-Novello-Songwriting-Award zu Hause stehen. Aber sei’s drum – es ist ja auch eine Kunst, sich die richtigen Kollegen auszusuchen.
Kleine Erzählungen vom Grauen des Alltags
„I drink to remember/ I smoke to forget/ Some things to be proud of/ Some stuff to regret“ – so beschreibt Bugg in „Two Fingers“ lakonisch eine kaputte Familie, wie sie nicht nur in seiner Heimatstadt Clifton, sondern überall sitzen könnte. Ein klassisches Szenario, das Bugg so empathisch besingt, als wäre er der Erste, der je so etwas erlebt hat. Die Fuck-off-Geste gilt der Vergangenheit, denn der Protagonist hat sich längst verabschiedet von den engen Verhältnissen: „I got out, I got out, out alive, and I’m here to stay!“ Kein Zweifel, daran nicht.
Ihn könne nichts mehr schocken, behauptet der Pillenschlucker in „Seen It All“, dann wird ein Typ erstochen, einfach so. Die Geschichte endet mit den Worten „I’ve seen the light/ But not the kind I would’ve liked“, Bugg singt sie sehr zart – und genau diese Diskrepanz, die herrlichen Widersprüche machen hier den Reiz aus. Die kleinen Geschichten vom Grauen des Alltags könnten auch vom jungen Paul Weller stammen, aber bei „Down In The Tube Station At Midnight“ war die Gewalt jederzeit zu hören, die unterschwellige Gefahr. Bei Bugg schleicht sie sich ganz leise an, zwischen schwelgerischen Melodien und sanften Worten.
Freilich sind nicht alle Verse originell, aber die Art, wie er von „long hard drives“ und „less travelled roads“ singt, hat nichts Aufgesetztes. Manchmal gibt er vielleicht etwas zu sehr den Dylan („Trouble Town“), obwohl er als Gene Pitney oder Donovan mehr berührt. Doch meist hält er die Balance zwischen traditionsbewusstem Folk und ungestümem Gitarrenpop, und er findet immer rechtzeitig zurück zu seiner eigenen Stimme. Jake Bugg wird uns noch viel Freude machen.
Dieser Text stammt aus dem ROLLING-STONE-Archiv und erschien ursprünglich in der Januar-Ausgabe 2013.