Jahr 1 nach David Bowies „Blackstar“: Der Stern strahlt heller denn je
Das ROLLING-STONE-Album des Jahres 2016 wird ein Jahr alt: Am 8. Januar, dem 69. Geburtstag David Bowies, erschien sein finales Werk "Blackstar". Zwei Tage später war der Musiker tot.
Der erste Eindruck von „Blackstar“ war der eines faszinierenden, ambitionierten, aber auch sperrigen und rätselhaften Werks. Kein Album, zu dem man schnell Zugang finden würde. Und wohl auch keines, das man sich allzu oft anhört. David Bowies Tod, zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag und zwei Tage nachdem „Blackstar“ erschienen war, machte es dann ganz unmöglich, es noch einmal auf dieselbe Art zu hören wie zuvor.
Bitte um Aufschub
Mehr noch, es war, als hätte es sich über Nacht in etwas Neues verwandelt. Bowies Stimme klang auf einmal, als deklinierte sie Song für Song die fünf Sterbephasen nach Elisabeth Kübler-Ross durch. In „’Tis A Pity She Was A Whore“ wirkte sie resigniert bis abgeklärt, wie um zu sagen: Ich habe schon alles gesehen, was soll mir der Tod da noch anhaben? Und „Where the fuck did Monday go?“, fragte sie mit unbestimmtem Zorn in „Girl Loves Me“. Im düsteren „Sue (Or In A Season Of Crime)“ fand sie, ganz hohl und ausgebrannt, aus dem verschachtelten Trommelgewirr nur schwer einen Ausweg. Und auf dem letzten Stück des atemlos kurzen Albums bekannte sie: „I Can’t Give Everything Away“ – eine unerträglich ängstliche Bitte um einen letzten kurzen Aufschub.
Und auch die Videos: Auf ein böses Omen folgte das nächste, wie hatte man das übersehen können? Ein skelettierter Major Tom, der im Raumanzug der Ewigkeit entgegentreibt. Lazarus am Schreibtisch, der in Raserei Zeile um Zeile aufs Papier bringt, der geblendet auf dem Totenbett hin- und herrollt und dann, mit einem zitternden letzten Gruß, die Tür für immer hinter sich zuzieht.
Es war das größtmögliche Statement
Das Unheimlichste aber war folgender Gedanke: Hatte Bowie seinen Hörern mit „Blackstar“ ein Gesamtkunstwerk in die Hände gegeben, das erst durch seinen Tod Vollendung fand? Hatte er die Wandlung, die das Album post mortem durchmachen würde, mit einkalkuliert, ähnlich wie jene verborgenen Lichteffekte, die Fans nach und nach auf der Vinylversion entdeckten? „Blackstar“ sei ein Abschiedsgeschenk gewesen, hat Langzeitfreund und Produzent Tony Visconti gesagt.
Er sagte aber auch, Bowie habe bereits Material für ein weiteres Album geschrieben. Selbst wenn die Krebsdiagnose überraschend kam und die vielen Todesahnungen nur Fanprojektionen und künstlerische Freiheit gewesen sind, bleibt „Blackstar“ in seiner mystischen Tiefe und seinem kreativen Mut doch ein fantastisches Album – und das größtmögliche Statement am Ende eines einzigartigen Künstlerlebens. Nur allzu oft hören kann man es leider immer noch nicht. Es tut einfach zu weh.