Jack Nicholson: Der Wolf von Hollywood
Der Trieb selbst treibt ihn, das Unbewusste und das Spiel, die Lust an der Erotik und am Ungebärdigen: ROLLING-STONE-Redakteur Arne Willander über den großen Jack Nicholson.
Das Wölfische ist seine Natur. Man sieht ihn mit verzerrtem, flammendem Gesicht auf den Filmplakaten: das Inbild des Irrsinns in „Shining“, die Fratze des Jokers in „Batman“, das diabolische Glühen in „Die Hexen von Eastwick“, das Outrierte in „Besser geht’s nicht“ und noch bei „The Departed“ und „Die Wutprobe“. Ein Film heißt „Wolfsmilch“, ein späterer „Wolf – Das Tier im Manne“. Bob Rafelsons „Five Easy Pieces“ (1970) hat den deutschen Verleihtitel „Ein Mann sucht sich selbst“ – aber wahrscheinlich stimmt das für Jack Nicholson nicht: Der Trieb selbst treibt ihn, das Unbewusste und das Spiel, die Lust an der Erotik und am Ungebärdigen. Nicholson ist der entscheidende Schauspieler des New Hollywood, der vollkommen Entfesselte, der Entgrenzte, bei dem sogar der Hedonismus kapitulieren muss und umschlägt in die dionysische Pflicht zum Wüten.
Dass Nicholson zur Übertreibung neigt, ist eine wohlfeile Bemerkung. Am allerbesten ist er, wenn er den unterdrückten, kochenden, bedrohlichen Groll eines Mannes am Rande des Ausbruchs darstellt: In „About Schmidt“ und „Das Versprechen“, in „Eine Frage der Ehre“ und „Jimmy Hoffa“ kann man beobachten, wie sein Zorn beinahe den Körper sprengt. Wenn nach einem langen, umständlichen, maßvollen Film mit Tom Cruise und Demi Moore und Kevin Bacon, am Ende von „Eine Frage der Ehre“, der General im Gerichtssaal explodiert und dem ahnungslosen, bornierten Pack sagt, wer da draußen am Zaun von Guantanamo ihre Freiheit schützt, dann hat sich alles gelohnt. Nicholson ist der am wenigsten militärische Typ aller Zeiten – aber man glaubt seinem General aufs Wort.
John Nicholson wurde sozusagen in die Unordnung hineingeboren, am 22. April 1937 in Manhattan. Seine Mutter June war noch nicht 18 und schwieg über den Vater des Kindes, weshalb der Sohn bei den Großeltern aufwuchs, die ihn als ihren Sohn ausgaben und seine Mutter als seine Schwester. Nicholson glaubte das bis 1974, als ein Zeitschriftenreporter Nachforschungen über seine Herkunft anstellte. Der Vater sei womöglich ein italienischer Immigrant gewesen, der 1936 mit June ausging – Nicholson verfolgte das nicht mehr, wohl im doppelten Wortsinn. 1974 hatte ihn „Chinatown“ weltberühmt gemacht, und er arbeitete an „Einer flog über das Kuckucksnest“, das ihn sprichwörtlich machte. Anjelica Huston erinnert sich daran, dass er vollkommen außer sich war, vollkommen besessen und vollkommen unerträglich. Nicholson wusste, dass sein Moment gekommen war. Es hatte fast 15 Jahre gedauert.
Der Hippie-Anwalt mit der brütenden Präsenz
1954 verließ er mit seiner Mutter/Schwester die Heimat Neptune, New Jersey, und ging nach Los Angeles, wo er als Laufbursche in der Trickfilmabteilung von MGM arbeitete. Er wollte Schauspieler werden, nahm Unterricht, und in seiner Klasse waren James Coburn und Richard Chamberlain. 1960 bekam er eine Rolle in „Little Shop Of Horrors“, schon da enthemmt; dann wurde er zum, nun: Star in den B-Filmen von Roger Corman: Neben Vincent Price und Boris Karloff spielte er zu Beginn der 60er-Jahre in Horrorschinken, dann war er einer der Helden in den modischen Motorradfilmen, die Corman produzieren ließ. Nicholson ging jetzt auch bei der Regie zur Hand und schrieb 1967 den psychedelischen Drogenfilm „The Trip“. Er war der Schrägste. Und er war auch zur Stelle, als Dennis Hopper und Peter Fonda 1968 „Easy Rider“ improvisierten: In der unwahrscheinlichen Rolle eines Hippie-Anwalts hat Nicholson eine brütende Präsenz und wird am Schluss von einem Redneck vom Motorrad geschossen.
Er spielte dann die Hauptrollen in „Five Easy Pieces“ (1970), „Der König von Marvin Gardens“ (1971) und „Das letzte Kommando“ (1973), die Regisseure waren die New-Hollywood-Entrepreneure Bob Rafelson und Hal Ashby. 1972 dilettierte er mit „Drive, He Said“ als Regisseur. Noch interessanter als die Filme, in denen er spielt, sind die Filme, die er ablehnte: „Der Pate“, obwohl er Marlon Brando bewunderte (und seit Anfang der 70er-Jahre dessen Nachbar am Mulholland Drive war), „Der Clou“ und „Der große Gatsby“. Jack Nicholson hätte damals JEDE Rolle spielen können.
Beleibter Killer im Frauenkleid
Für das „Kuckucksnest“ bekam er 1976 den Oscar, für den er binnen sieben Jahren fünfmal nominiert war. Neben Brando spielte er dann in dem seltsamen Spätwestern „Duell am Missouri“ – ein einziges Mal nahm er sich zurück, während Brando als beleibter Killer im Frauenkleid auf dem Pferd genüsslich durch den Film trabt. In Elia Kazans öder Fitzgerald-Bebilderung „Der letzte Tycoon“ hat Nicholson eine kleine Rolle neben lauter Stars, die sinnlos herumstehen. Sein Western „Der Galgenstrick“ (1978) hätte ihn von weiteren Regie-Arbeiten abhalten müssen, doch 1990 scheiterte er mit der verworrenen „Chinatown“-Fortsetzung „The Two Jakes“.
Mit Stanley Kubrick arbeitete Nicholson eineinhalb Jahre an „Shining“ (1980) und war schließlich sehr gern ungefähr so durchgeknallt wie der Schriftsteller im Overlook Hotel. Für „Zeit der Zärtlichkeit“ (1984) bekam er den zweiten Oscar, diesmal für eine Nebenrolle. In den 80er-Jahren lavierte er zwischen Belanglosem wie John Hustons „Die Ehre der Prizzis“ (mit seiner Geliebten Anjelica Huston) und Belangloserem wie „Sodbrennen“, „Wolfsmilch“ und „Die Hexen von Eastwick“. Der Joker in Tim Burtons „Batman“ (1989) brachte ihm qua Gewinnbeteiligung 60 Millionen Dollar. Aber reich war er ja schon.
Später nur noch Wohlfühlkino
Neben der ernsthaften Helen Hunt wirkt er in „Besser geht’s nicht“ (1997) wie ein eitler Clown, der noch einmal ostentativ seinen Nummern vorführt – das war für Hollywood unwiderstehlich und brachte ihm den dritten Oscar. Die Dankesrede hielt er so gedehnt, überdeutlich und süffisant, als müsste er Begriffsstutzigen etwas erklären – was ja auch stimmte. Das Publikum war verzückt.
Mit Sean Penns Filmen „Crossing Guard“ (1995) und „Das Versprechen“ (2001) und Alexander Paynes „About Schmidt“ (2003) gelangen Nicholson grandiose Altersrollen jenseits seiner Klischees und Manierismen. In „Das Beste kommt zum Schluss“ (2007) und „Was das Herz begehrt“ (2009), Wohlfühlkino für die goldene Generation, sind dagegen nur Klischees und Manierismen. Bei den Dreharbeiten zu „The Departed“ (2006) hatte Martin Scorsese es aufgegeben, ihm etwas zu sagen, und schnitt später die überdrehtesten Auftritte heraus – was man in dem Film sieht, ist aber immer noch sehr überdreht. Leonardo DiCaprio und Matt Damon wirken im Vergleich mit Nicholson wie Strindberg-Schauspieler.
Seit dem Jahr 2010 war Nicholson in keinem Film mehr zu sehen – das ist das Unfassliche seiner Karriere, nur vergleichbar mit Gene Hackmans Abschied vom Film.