Ja, Panik live in Wien: Disco statt Dylan
Auf dem Geburtstagsfest des Radiosenders FM4 spielten Ja, Panik in der Wiener Ottakringer Brauerei das erste reguläre Konzert zu ihrem jüngst erschienenen Album „Libertatia“
Gut gelaunt, beinahe gelöst, wirkt Ja, Panik-Sänger Andreas Spechtl an jenem Abend in der Wiener Ottakringer Brauerei, an dem die mittlerweile zum Trio geschrumpfte Band im Rahmen des Radio FM4-Geburtstagsfestes das erste reguläre Tour-Konzert zum neuen Album „Libertatia“ gibt.
Rewind 2011: Mit ihrem Album „DMD KIU LIDT“ (kurz für: Die Manifestation des Kapitalismus ist die Traurigkeit in unseren Leben) hat sich das Burgenländer Kollektiv nicht nur zu den Liebkindern des deutschen Feuilletons hochgespielt (deutlich mehr als in ihrer österreichischen Heimat), sondern auch einen Teufelsbrocken von einem Album veröffentlicht. Beim gleichnamigen Closer der Platte sprach man mancherorts gar vom wichtigsten deutschsprachigen Lied der letzten Jahre. Dieser finale Fünfzehn-Minuten-Track, dieser Bastard aus umsichtiger und beklemmender Bestandsaufnahme, Geschichtenerzählerei und Durchdeklinieren des Verzweifeltseins, aber doch Weitermachenmüssens, war der große Abschluss eines Albums, das viel wollte und letztlich einlösen konnte, wozu viele geistig wie sprachlich verwandte Bands seit Jahren nicht in der Lage waren.
Genannte Gelöstheit in Spechtls Auftreten spiegelt sich auch im neuen Sound der Gruppe wieder. Nach einem Wurf wie DMD KIU LIDT ist es nicht verwunderlich, dass die, die einen solchen geschafft haben, nun an Weggabelungen stehen. Sie kommen oft nicht drumherum, entweder kräftig abzuzweigen, neuzuerfinden, oder es überhaupt gut sein zu lassen. Ja, Panik haben letztlich weitergemacht – als Trio, da zwei der Mitglieder aus der Band ausstiegen.
So ist „Libertatia“ wohl auch ein Befreiungsschlag: Denn wo DMD KIU LIDT nicht beklemmender hätte aufhören können, stellt Libertatia ganz plötzlich andere Bilder in den Raum: weniger Moll-Kadenzen und mehr Tanzboden, Disco statt Dylan, Gelassenheit als Gegenentwurf und Trotzhaltung. „Wir wollen dahin zurück wo’s nach vorne geht / Wir haben back to the future die Uhr gedreht / Space is the place der die Flüchtigen liebt / So wie jeder Anfang in Trümmern liegt“, heißt es in „Libertatia“, das uns trotz der Gewissheit, dass diese eine, andere Welt am Ende doch nicht möglich ist, auch ein beherztes „One word, one love“ entgegenposaunt. Analysiert wird das alles noch zur Genüge werden, jetzt scheint es erstmals ums Tanzen zu gehen.
Gut eine Stunde und zehn Minuten spielen Ja, Panik (instrumental verstärkt durch Jonas Poppe und Laura Landergott von Die Eternias) an diesem Abend – im Zentrum stehen einige Stücke des neuen Albums, unter anderem eben jener Titeltrack „Libertatia“, „Dance The ECB“ „A.C.A.B.“ und „Antananarivo“. „Wieviele von euch waren bei der Demo?“, fragt Spechtl in die Runde, und spielt auf die in Ausschreitungen ausgeartete Demonstration gegen den „Akademiker-Ball“ an, eine Versammlung rechter bis rechtsradikaler Parteien, die dieses Jahr erneut in der Wiener Hofburg vonstatten ging. Wenige melden sich. „Das glaub ich jetzt nicht“. Dann schicken Ja, Panik „A.C.A.B.“, mit Widmung, nach. All cats are beautiful, nämlich. Von „DMD KIU LIDT“ gibt es „Trouble“ und „Time Is On My Side“, von The Angst und The Money „Alles Hin, Hin, Hin“.
Der Zuschauerbereich um die große Bühne, an jenem Abend „Wohnzimmer“ genannt, ist von Anfang an zum Bersten voll, das Publikum allerdings eher verhalten. Ob das am anfangs sehr undurchsichtigen Hallensound liegt? Oder daran, dass das neue Material für das Publikum noch unbekanntes Terrain ist – oder daran, dass die Band in ihrem Heimatland mitnichten den Status genießt, den sie in Deutschland längst hat? Für ein Heimspiel ist das alles sehr unspektakulär.
70 Minuten später ist dann Schluss, Zugaben gibt es keine. Die FM4-Sause geht mit The Hidden Cameras weiter. Was bleibt, ist ein erster Eindruck eines Albums, das uns in den nächsten Wochen und Monaten noch begleiten und beschäftigen wird. Sowie ein schnell vorbeigegangenes, zu kurzes, souveränes aber nicht so wirklich enthusiastisches erstes Tourkonzert, und ein paar Songs die ob der Kürze des Sets vermisst wurden („Nevermind“, „DMD KIU LIDT“ ).