Ist es ein Leben oder schon eine Rom-Com?
Diese Gefühle geben natürlich einen wunderbaren Stoff für eine romantische Komödie mit Musik, weshalb Lopez vermutlich in „Marry Me“ ein gutes, sicheres Projekt für sich sah, eins, worin sie einige Aspekte ihres Lebens zeigen konnte, ohne zu viel offen zu legen. Als Nachfolger für „Hustlers“, dessen elektrisierende Performance als kriminelle Stripperin Ramona ihr eine Golden Globe-Nominierung und viel Lob eingebracht hat, überrascht er natürlich. Aber Lopez sagt, sie habe lange darauf gewartet einen Film und zugleich dessen Soundtrack zu machen (für sie ist „Marry Me“ kein Lopezalbum, sondern eines von Kat Valdez) und außerdem bietet man ihr nicht oft die toughen, harten Rollen an. „Die Hälfte der Filme, die am Jahresende angekündigt werden, kenne ich nicht mal“, sagt sie. „Ich beschäftige die besten Agenten der Welt, aber solche Projekte landen nicht bei mir.“
Nuyorican Productions – die „Hustlers“ und auch „Marry Me“ produziert haben – hat sie gegründet, „um meine Karriere in die eigenen Hände zu nehmen.“ Ihre Erfolgsgeschichte ist tatsächlich, ganz jenseits von Reichtum und Luxus, von diesem Bruch geprägt – woher sie kommt und wo sie ist und wo sie sein möchte. Es gab ein Jahr, da sah man sie auf satten 46 Magazintiteln. Mit ihrer Musik hat sie Latin in den Popmainstream gebracht. Aber den Golden Globe hat sie nie gewonnen, war auch noch nie für den Oscar nominiert, obwohl sie es nach beinah einhelliger Meinung verdient hätte. Vor gar nicht so langer Zeit war sie praktisch pleite. Damals waren die Zwillinge Emme und Max noch klein, sie ließ sich gerade von Anthony scheiden, ihr Label hatte sie fallen lassen, die Alben verkauften sich mäßig, sie war über 40, bekam keine Filmangebote und wollte ein Auto kaufen. „Mein Geschäftsführer sagte: ‚Nö, das geht jetzt nicht‘“, sagt sie. „Ich: ‚Echt jetzt?‘ und er: ‚Ja. Wir sollten im Moment still halten und warten, bis du wieder arbeiten kannst.‘“
Also hat sie gearbeitet. Obwohl ihr Umfeld das Engagement für einen Karrierekiller hielt, hat sie bei „American Idol“ unterschrieben, schlug zweimal die Woche in den Fernsehern der Nation auf, wo sie nicht die Diva gab, die auf weißen Lilien in der Umkleide besteht und ihren Hintern versichert (warum auch nicht?), sondern als hart arbeitende Single Mom, die feuchte Augen bekam, wenn die Kandidaten glänzten oder versagten. Sie ging auf ihre erste Welttournee. Nuyorican übernahm „Hustlers“ trotz des lauten Genörgels von (männlichen) Industrietypen, die der Meinung waren, die Stripperinnen müssten „sympathischer“ sein. Lopez scherte sich nicht darum und verbrachte das letzte präpandemische Jahr damit zu lernen, wie man einen Strippole beherrscht. Sie drehte „Hustlers“ – ohne Gage – in 29 Tagen. Als sie neben Shakira beim Superbowl auftreten sollte, hagelte es Proteste, weil die NFL-Großkopferten offenbar glaubten, es brauche zwei Latinas für den Job von einem weißen Mann. Lopez trat trotzdem auf und nutzte die Gelegenheit, um das Spielfeld des Miami Hard Rock Stadiums mit Latinokindern – darunter auch ein eigenes – zu füllen, die in leuchtend weißen Käfigen sangen, während die NFL-Chefs sich vermutlich die Haare rauften. In der Pandemie hat sie nicht nur einen, sondern gleich zwei Filme vorbereitet und abgedreht, eine Dokumentation über ihr Leben auf den Weg gebracht und die Postproduktion von „Marry Me“ beendet. Sie ist mit ihren Kindern bei Black Lives Matter mitmarschiert, trat bei Joe Bidens Inauguration auf, hat die Verlobung mit Rodriguez gelöst, sich wieder mit Affleck zusammengetan und den vergangenen Herbst in Kanada verbracht, wo sie um fünf aufstand und trainierte, damit sie um Viertel nach sechs in der Maske saß und ab halb acht drehbereit am Set für „The Mother“ stehen zu können. Zwischen den Szenen war sie Mutter, sprach mit den Zwillingen per Face Time auf dem Weg zur Schule, setzte Zoom Meetings mit ihnen an und ermahnte sie: „Zähne putzen! Ab ins Bett!“, aus gut 3000 Kilometern Entfernung.
Anders gesagt: Sie hat geschuftet. Sie hat sich bemüht, nur die richtigen Dinge zu sagen, die richtigen Dinge zu tun und sich in Selbstliebe und Dankbarkeit einzurichten. Aber den Bruch spürt sie noch immer. „Seit 20, 25 Jahren höre ich ständig ‚Naja, so toll ist sie nicht. Sie ist schön und sie macht nette Musik, aber es fehlt eben dieses oder jenes.‘ Ich finde, dass mir ein paar feine Sachen in dieser Zeit gelungen sind. Aber es gibt eben diesen Club, zu dem ich nie gehört habe. Ich habe immer so getan, als sei alles okay, als ob es mir gut ging und alles. Aber es schmerzt eben doch, wenn man nicht dazugehört. Ich weiß auch nicht, ob das je anders sein wird. Es gibt diesen Inner Circle, dessen Mitglieder denken: ‚Wir sind die tollen Künstler‘. Und dann gibt es eben diese Popkünstlerin.“
Große Träume werden oft enttäuscht. Das kennt sie, seit sie ein Mädchen in der Bronx war, die heimlich aus dem Fenster stieg, um ihren Freund zu treffen. Vor nicht zu langer Zeit hat sie David Cruz‘ Mutter angerufen. Cruz war an einer Herzkrankheit gestorben, und als Lopez davon in den Nachrichten hörte, merkte sie, dass sie seine Telefonnummer noch immer auswendig kannte. Also hat sie angerufen. Seine Mutter ging ans Telefon. „‚Hallo, hier ist Jennifer Lopez‘, und seine Mutter meinte nur: ‚Jennifer…‘. Ich habe gesagt: Es tut mir so leid.‘ Und da fing sie an zu weinen. Ich sagte: ‚Du weißt, dass ich David geliebt habe.‘ Und sie: Ich weiß. Er hat dich auch geliebt. Er hat dich immer geliebt.‘“ Sie hält kurz inne. „Mit so einer ersten Liebe kannst du dich wirklich glücklich schätzen.“
Sie nimmt das Ipad. Cruz hatte sie zu den Proms ausgeführt und sie will plötzlich das Foto sehen. „Ich suche nur schnell ‚Jennifer Lopez Prom Bilder‘“, sagt sie und tippt, die Stirn sacht gerunzelt, auf den Screen, weil sie annimmt, dass das Bild, wie ja fast ihr ganzes Leben, öffentlich zugänglich sei. Sie hat recht: Nach einem Moment zeigt sie mir ein körniges schwarz/ weiß Bild von sich, mit breitem Lächeln, in Satin und Spitzen. Cruz steht hinter ihr, mit einem freundlichen Gesicht und grinst. „Ich habe mein Kleid selbst genäht. Rosa, rückenfrei, Mermaid-Form. Rosa Satin mit Spitzenbesatz. Ich habe es gezeichnet und einer Schneiderin aus der Nachbarschaft gezeigt: ‚Das Kleid will ich machen‘. Ich hatte eine Vision.“ „Im Gegensatz zu damals, als du mir den Pony geschnitten hast. Der ging gar nicht“, wirft Lynda ein, die gerade ins Zimmer kommt. Lopez zuckt die Achseln. Nicht jede Vision kann visionär sein.
Andererseits glaubt sie an Visionen, sie glaubt an Schicksal, sie ist überzeugt, dass alles einen Grund hat. Sie glaubt, dass sie eines Tages bekommt, was ihr zusteht. Woran sie nicht glaubt, ist eine neuerliche Trennung von Affleck in naher Zukunft. „Ich denke nicht, dass wir wieder zusammengekommen wären, wenn wir geglaubt hätten, dass es dazu kommt“, sagt sie. „Wir haben das Gefühl, dass das, was wir wiedergefunden haben, so viel wichtiger ist, und wie wir das schützen und wie wir unser Leben leben – was wir teilen, was wir nicht teilen – hält uns im Gleichgewicht. Das kommen uns die Erfahrung und Weisheit zugute, die wir im Laufe der Jahre gewonnen haben.“
Was kann sie darüber hinaus noch sagen?