Island unplugged
In ihrem Konzertfilm "Heima" setzen die Klangzauberer von Sigur Ros ihr Heimatland wirkungsvoll in Szene
Man hat ihnen das abgegriffene Wort „Kopfkino“ angehängt. Weil die Musik von Sigur Ros unterbewusste Bilder weckt und mehr an Landschaftsmalerei erinnert als an die stringente Erzählweise des klassischen Songs. Und immer wenn in den letzten Jahren bei einer Film- oder TV-Produktion ätherisch erhebende Klänge gebraucht wurden – beim schrulligen „The Life Aquatic With Steve Zissou“ ebenso wie bei der dritten Staffel von „Britain’s Next Top Model“-, stets waren die Isländer erste Wahl.
Heute sitzen Sigur Ros artig auf der Bühne des Berliner Admiralspalastes. Wie ein paar Schuljungen haben sie schüchtern das Publikum begrüßt und sich dann umständlich hinter ihre Instrumente gesetzt. Es ist die Premiere von „Heima“, einem auf DVD erscheinenden Dokumentarfilm, der von einer höchst ungewöhnlichen Island-Tournee im letzten Sommer berichtet. Zur Einstimmung spielen die vier Musiker ein kurzes, akustisches Live-Set. Das hat etwas sympathisch Schlichtes, wie eine karge Mahlzeit aus Brot, Butter und Wasser. Für einen Moment spürt man den Einfluss zeitgenössischer Komponisten wie Steve Reich und Arvo Part, die Sänger Jon Thor Birgisson so ungemein schätzt. Minimalistische Cluster und Piano-Loops, über denen Brigissons hohe Falsett-Stimme singend klagt wie ein Vogel, der sich zu weit aufs Meer hinausgewagt hat.
Und danach kommen die Bilder: gewaltige menschenleere Landschaften, majestätisch in die Tiefe stürzende Wasserfälle, bescheiden durchs endlose Gras murmelnde Bachläufe. Dazwischen: Konzert-Impressionen. Wie Gespenster wirken die hinter einem Gazevorhang agierenden Musiker. Lauter und lauter dröhnt der Sound, bis er in einem lange ausklingenden Schlussakkord schier endlos verhallt. Suchend tastet die Kamera die Gesichter des Publikums ab. Man denkt an Weihnachtsbescherung, selbstvergessenes Lauschen oder ein feierliches archaisches Ritual. „Zuerst wollten wir einfach nur die Tour dokumentieren, aber auf dem Weg zum fertigen Film haben wir gleich mehrfach die Richtung geändert“, erzählt Jon Thor Birgisson am Tag nach der Filmpremiere. „Die Plätze, an denen wir aufgetreten sind, eigneten sich eigentlich nicht für Rockkonzerte, weil sie extrem abgelegen und unzugänglich waren und obendrein meistens im Freien. Normalerweise verwenden wir in unseren Shows viel Licht und ein aufwendiges Verstärker- und Lautsprecher-System. Das konnten wir vergessen. Also haben wir überwiegend bei Tageslicht gespielt und gedreht.“ „Heima“ bedeutet „Zuhause“. Die parallel zur DVD erscheinende CD (die aber kein Soundtrack ist) trägt den Doppeltitel „Hvarf/Heim“, was man mit „Hafen/Heimweg“ übersetzen könnte. Und tatsächlich haben wir es mit einer Meditation über Heimat zu tun, die allerdings nicht nur die in Island allgegenwärtige Natur verklärt und ästhetisch überhöht. Immer wieder stehen auch Menschen im Mittelpunkt: Blaskapellen, Gesangsvereine, Umweltschützer, die gegen einen Staudamm protestieren. „Wenn wir in einer Großstadt leben würden, klänge unsere Musik vermutlich ganz anders“, glaubt Birgisson. „Überhaupt haben Bands aus Island vermutlich deshalb Erfolg, weil wir sehr nahe bei uns selbst sind. Das ist unser Trumpf. Wir haben keine Musikgeschichte, auf die wir uns beziehen können. Es gibt keinen Blues wie in den USA und keine Klassik, wie in Deutschland.“
Besonders beeindruckend sind im Film einige komplett unverstärkt eingespielte ältere Songs – auch in der „Heim“-Hälfte der CD finden sich sechs Unplugged-Versionen von Stücken wie „Agaetis Byrjun“ und „Staralfur“. In einem winzigen Cafe oder an einem Wind umtosten Lagerfeuer entstehen so magische, aber ganz und gar ungekünstelte Momente, die ohne die Musikerinnen von Aniima nicht möglich gewesen wären: „Wir haben zum ersten Mal zusammen gespielt, als wir nach der Veröffentlichung unseres zweiten Albums ,Agaetis Byrjuri im Isländischen Opernhaus auftraten“, erinnert sich Birgisson an die Anfänge der Zusammenarbeit mit dem klassisch ausgebildeten Streichquartett. „Die Songs schreiben wir ausschließlich zu viert, aber bei der Umsetzung sind Aniima immer dabei. Sie gehören zur Familie.“ Bei der Berliner Premiere von „Heima“ haben Sigur Ros nur drei Songs gespielt, weil ihre Freundinnen gerade in eigener Sache unterwegs sind: „Wir sind nun mal abhängig von den Streichinstrumenten, sonst klingt es einfach etwas dünn“, entschuldigt sich der Sänger. „Kurr“, das in diesem Jahr erschienene Debütalbum von Aniima, ist übrigens noch ätherischer und glöckchen-klingelnder als alles, was man von Sigur Ros kennt. Ein Geheimtipp für kalte Winterabende.