Ironie stirbt schöner

Die Stimmung im Klagenfurter Sendesaal des ORF war bestens. Kathrin Passig hatte mit ihrem Text, der tragikomischen Schilderung eines Menschen kurz vor dem Erfrierungstod, die Jury derart überzeugt, dass ihr der Bachmannpreis nicht mehr zu nehmen war. Da saßen sie nun vor laufenden Fernsehkameras, die hochkarätigen Literaturkritiker, und waren vor lauter Begeisterung zum Juxen aufgelegt:

Iris Radisch: „Das finde ich die sehr schöne Pointe des Textes, dass in Lebensgefahr der Ironiker überlebt.“

Klaus Nüchtern:, Aber nur in der Literatur! Ironie macht nicht unsterblich, ich kann’s Ihnen versprechen. Mögen Sie ein langes Leben habenund wir alle aber Ironie wird uns da nicht helfen!“

Radisch: „Das wollen wir erst mal sehen…“

Burkhard Spinnen: „Auch Chroniker sterben, Frau Radisch.“

Radisch:, Aber schöner!“ Spinnen: „Schöner. Ganz ohne Zweifel. Und humorvoller. Aber nur für die, die zusehen.“

Robert Gernhardt und ich kannten und schätzten Kathrin Passig seit langem, wir hatten ein Gedicht von ihr in unsere Anthologie komischer Lyrik aufgenommen. Gerne hätte ich ihm von Passigs Triumph in Klagenfurt berichtet, doch es ging nicht mehr. Das Telefonieren strengte ihn bereits zu sehr an. wir konnten uns nur noch voneinander verabschieden. Zwei Tage später war er, der große Ironiker der deutschen Literatur, tot. Mit unglaublicher Gefasstheit hatte er mir Anfang Juni erklärt, was ihm bevorstand: „Meine Leber funktioniert nicht mehr, und wenn die nicht mehr funktioniert, funktioniert gar nichts mehr. Der Körper wird langsam vergiftet, und das war’s dann.“

Natürlich war es weder humorvoll noch komisch gewesen, ihm bei seinem zuletzt immer aussichtsloseren Kampf gegen den Krebs zuzusehen. Wer den Tod für einen Spaß hält, ist ja kein Ironiker, sondern ein Zyniker. Ein Ironiker ist einer, der weiß, dass das Leben keinen Sinn hat, weil es unweigerlich im Tod, dem Maximum an Sinnlosigkeit, endet-und der, um gegen die Sinnlosigkeit des Lebens anzukämpfen, aus seinem Leben so viel Sinnvolles wie nur irgend möglich machen will. Das war die Kraft,die Gernhardt zeitlebens angetrieben hatte, sein in jeder Hinsicht riesiges Werk zu schaffen. Die einzige Unsterblichkeit, an die er glauben und die er sich als Ziel setzen konnte, war die, bei seinen Mitmenschen und der Nachwelt unvergessen zu bleiben. Die Aussichten stehen gut.

Wir hatten oft über Künstlerbiografien gesprochen und über die vielfältigen Möglichkeiten, ein tragisches Ende zu finden. Heine, der in der Matratzengruft dahinsiechte. Busch, der alte Zausel von Wiedensahl, berühmt für etwas, das er Jahrzehnte zuvor geschaffen hatte. Kafka, der als Nobody ging und glauben musste, es ewig zu bleiben. Ringelnatz: mit Auftrittsverbot geschlagen, verarmt, vergessen. Tucholsky: ins Exil getrieben, verstummt, hoffnungslos. Lauter große Köpfe, lauter gescheiterte Existenzen.

Und Gernhardt? Viel zu früh, klar, mit gerade einmal 68 Jahren. Aber mit sich und seinem Leben vollkommen im Reinen. Auf der Höhe seines Ruhms, ohne je einen größeren Absturz erlitten

zu haben. Vom Volk geliebt, von der Kritik bejubelt, von Kollegen bewundert. Bis zuletzt hochgeehrt, bis zuletzt hochproduktiv: Noch in der letzten Woche seines Lebens bekam er den Wilhelm-Busch-Preis verliehen und vollendete sein letztes Buch, einen Band mit Erzählungen. Danach entschloss er sich zu gehen, einverstanden mit seinem Schicksal und froh, nicht als fremdbestimmter Pflegefall zu enden. Er starb den sanftesten Tod, den man einem Menschen nur wünschen kann: ohne Schmerzen, zu Hause, im Schlaf, neben seiner Frau Almut,die ihn in den letzten Monaten, Wochen, Stunden so liebevoll umsorgt hatte, dass er sein Glück kaum fassen konnte. Selbstverständlich ist sein Tod traurig für alle, die sich ihm nahe fühlten – und das taten auch viele, die ihn nur durch seine Bücher kannten -, aber er war frei von Tragik und nicht grausamer als irgendein anderer Tod. Er war der unausweichliche Schlusspunkt eines erstaunlich gelungenen Lebens.

„Sie sollen mich nicht kriegen“, das war sein Lebensmotto, gefasst als Vierzehnjähriger, gültig bis zum Schluss. Sie, das waren die Ernstmacher, die Vereinnahmer, diejenigen, die zu bestimmen haben, wo es langgeht. Sie haben ihn nicht gekriegt, sie sind zu ihm gekommen. Nach seinem Tod, der in allen Nachrichtensendungen des Landes bekanntgegeben wurde, zog eine Totenklage durchs deutsche Feuilleton, wie es ausführlicher, eindringlicher und einstimmiger seit Jahren nicht mehr vernommen wurde. Bei der Trauerfeier beklagte die Frankfurter Oberbürgermeisterin Roth den schweren Verlust für die Stadt, neben dem Sarg stand ein riesiger Kranz, gestiftet vom Bundespräsidenten. Als freier Mitarbeiter einer jungen Satirezeitschrift namens „pardon“ anfangen und als offiziös betrauerter Staatsdichter enden: eine steile Karriere für einen, der sich nie verbog und nirgends anbiederte, um Karriere zu machen.

Und noch etwas hat Robert Gernhardt geschafft: Er hat seine eigene Komiktheorie widerlegt. „Im Augenblick des Sterbens hat es sich naturgemäß ausgelacht… Auf Lust lässt sich kein Lebenskonzept gründen, auf Komik, als domestizierteste und gesellschaftsfähigste Form der Lust, natürlich auch nicht. Spätestens der Tod macht dem Skandal ein Ende“, so hatte er 1988 behauptet, und zugleich die Frage in den Raum gestellt: ,Wie aber, wenn eine komische Existenz, eine, die allen Ernst ständig auflöste, gelänge?“

Komische Existenz. Das war es, worum es Gernhardt im tiefsten Herzen ging, das war es, worin er sich von unzähligen Gagschreibern und Comedyautoren. die Komik als Handwerk und Job betreiben, unterschied. Wir dürfen nun feststellen: Es ist ihm gelungen, den Ernst, des Lebens bis zum Ende nicht ernstzunehmen. Noch auf dem Sterbebett war ihm nach Scherzen zumute. Helga, die ihm bei der Fertigstellung des letzten Buchs half und eine Verständnisfrage zu einer Stelle im Manuskript stellte, welche er sofort beantworten konnte, anerkennend: „Robert, du bist ja eine wandelnde Bibliothek.“ – Er, mit schwacher, heiserer Stimme: „Naja, eher eine liegende.“

Das war sein letzter Gag. Die Bibliothek ist geschlossen. Sie war ein voller Erfolg. Wir müssen uns Robert Gernhardt als glücklichen Menschen vorstellen. KLAUS CÄSAR ZEHRER Klaus Cäsar Zehrer, 36, gab gemeinsam mit Robert Gernhardt die Anthologie „Hell und Schnell. $55 Römische Gedichte aus 5 Jahrhunderten“ (S. Fischer, 2004) heraus.

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