Wo verlaufen die Grenzen zwischen Geschäft und Freundschaft?
Don't Look Back In Anger: Ein kleiner Rückblick zum ROLLING-STONE-Jubiläum nach 400+-Interviews.
Meinen ersten Text für den ROLLING STONE durfte ich für die Juli-Ausgabe 1998 schreiben – und wie so vieles im Leben verdankte sich das einem glücklichen Zufall.
Der Redaktion war ein Artikel über Calexico weggebrochen, und ich hatte Joey Burns und John Convertino kürzlich interviewt. Arne kannte meinen Namen aus der „Hamburger Morgenpost“ und rief an, ob ich ganz schnell 4000 Zeichen liefern könnte. Leider war ich gerade einige Tage verreist, und als ich zurückkam und die Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hörte (ja, wir hatten noch nicht mal Handys!), dachte ich: Jetzt habe ich die einmalige Chance verpasst!
Ich zeterte und beschloss, nie wieder freizunehmen – und dann rief ich einfach in der Redaktion an, weil mir mal jemand erzählt hatte, dass die oft auch sonntags arbeiten, und tatsächlich ging Arne ran, und es war noch nicht zu spät. Hurra! (Urlaub habe ich später doch wieder gemacht, aber nur zwischen den Heftproduktionsphasen.)
Ich schrieb weiter für den ROLLING STONE – alles, was man mir gab –, begann als Korrekturleserin, dann wurde ich offiziell Redakteurin. Seit insgesamt 31 Jahren bin ich jetzt in diesem Geschäft, und zu den schönsten Dingen daran gehört, dass man einige Menschen immer wieder trifft. (Und dass man manche nie wieder sehen muss, ist auch ganz gut.) Ich mag Rezensionen, noch lieber führe ich allerdings Interviews. Weit über 400 sind es inzwischen.
Gegenseitiger Respekt und Sympathie sind genug
Als wir vor einigen Monaten Noel Gallagher für dieses Jubiläumsheft anfragten – das Oasis-Debüt, „Definitely Maybe“, wird ja 30 Jahre alt, genau wie der RS –, bekamen wir die freundliche Absage: „Noel always enjoys talking with Birgit, but he’s not doing any promo at this time.“ Ich war ein bisschen beleidigt, aber als wenig später die Oasis-Reunion bekannt gegeben wurde, habe ich es nicht mehr persönlich genommen.
Schon früh lehrte Noel uns ja, dass wir unser Lebensglück ohnehin nicht von Rock’n’Roll-Musikern abhängig machen sollten. Überhaupt lernt man im Lauf der Jahre, das ständige Geben und Nehmen relativ realistisch zu sehen – und sich nicht einzubilden, dass man mit allen möglichen Musiker:innen befreundet ist. Gegenseitiger Respekt und Sympathie sind an sich schon genug.
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Natürlich erkennt Paul Weller mich inzwischen, und James Dean Bradfield fragt ernsthaft interessiert, wie es mir geht, und der Manager von R.E.M. trifft mich sogar mal auf eine Falafel, obwohl er gar nichts zu promoten hat. Doch diese freundschaftlichen Verbindungen haben ihre Grenzen – ich würde Conor Oberst nicht anrufen, obwohl ich seine Nummer habe. Manchmal schreibe ich Marcus Wiebusch oder Campino eine SMS, aber nur, wenn es was mit Musik zu tun hat. Und das Arm-in-Arm-Selfie-Ding war mir immer suspekt, meine Beweise für eine interessante Begegnung sind die Texte.
Es geht dabei gar nicht so um die viel zitierte „journalistische Distanz“ – die fehlt mir sowieso, wenn ich die jeweilige Musik sehr liebe. Es geht um den Unterschied zwischen guten Bekannten und Freund:innen, der mir auch privat wichtig ist. Die meisten meiner liebsten Freunde kenne ich zwar durch die Arbeit, aber wenn ich irgendwann mal nicht mehr „Birgit vom ROLLING STONE“ bin, werden sie garantiert immer noch da sein. Und das ist mir viel wichtiger als jeder Rockstar. Sorry, Noel!