Aubrey Powell: „’Dark Side of the Moon‘ ist nicht mein Lieblingscover“
Aubrey Powell schuf zusammen mit seinem Kollegen Storm Thorgerson moderne Ikonen im LP-Format.
Die britische Grafikagentur Hipgnosis entwarf von Ende der 60er- bis Mitte der 80er-Jahre eine große Zahl von Covern, die aus einfachen LP-Hüllen Kunstwerke machten. Der heute 72-jährige Aubrey Powell, der gemeinsam mit seinem Kollegen Storm Thorgerson die Agentur gründete, erinnert sich an einige seiner bahnbrechenden Arbeiten.
Ihr Cover des Pink-Floyd-Albums „The Dark Side Of The Moon“ ist weltberühmt. Was fasziniert die Menschen seit 46 Jahren daran?
Das Motiv repräsentierte Pink Floyd, und es repräsentierte Pink Floyd zu dieser ganz bestimmten Zeit.
Pyramide und Spektralfarben repräsentierten die Musiker?
Denken Sie an Pink Floyd vor „Dark Side“, vor 1973. Sie waren ein Enigma. Keiner wusste, wie sie aussahen. Es gab damals so gut wie keine Fotos von ihnen, kaum einer interviewte sie. Wenn Pink Floyd auftraten, achteten alle nur auf den riesigen Bildschirm auf der Bühne und den darauf laufenden Filmen. David Gilmour drehte dem Publikum seinen Rücken zu. Dazu endloser Trockeneis-Nebel und die beste Surround-Musikanlage. Nun kam ihr „Dark Side of the Moon“-Image ins Spiel: Ein Prisma, durchzogen von Licht, vor einem schwarzen Hintergrund: Dieses Motiv fasste die Eindrücke jedes Menschen zusammen, der Pink Floyd auf der Bühne gesehen hatte. Es beschreibt Wiedererkennung als emotionale Reaktion auf eine sehr simple Grafik. Das Dreieck war Pink Floyd.
Aubrey Powell 2017
Wie arbeiteten Hipgnosis mit ihnen zusammen?
Mein Partner Storm Thorgerson (verstorben 2013) und ich waren mit der Band befreundet. Wir besuchten sie bei den Aufnahmen in den Abbey Road Studios. Deren Keyboarder Rick Wright bat uns, für das Cover etwas weniger Surrealistisches auszudenken: bitte kein zweites „Atom Heart Mother“! Dessen Motiv zeigte ja lediglich eine Kuh, es gab keinen Band- oder Plattentitel. Das Bild war ein Ausdruck lateralen Denkens, ich bezeichnete es als „Nicht-Cover“. Aber die Pyramide war auch nicht erste Wahl.
Was denn?
Rick favorisierte etwas, das an die Pralinenschachtel von „Black Magic“ erinnerte: schwarz, viereckig. Nach diesem Gespräch konnten Storm und ich gar nicht anders, als niedergeschlagen zu sein. Grafiken waren ja eigentlich nicht unser Stil. Wir betrachteten uns als Foto-Designer. Okay, eine Woche später: Ich saß auf der Couch, blätterte durch ein französisches Magazin über Physik, dann sah ich, wie Sonnenstrahlen durchs Fenster auf weißes Papier fielen und ein Prisma aus Regenbogenfarben entstand. Ich zeigte das Storm und er sagte: „Da haben wir’s!“. Ich malte es sofort mit einem Buntstift auf. Wir waren Amateure.
Als schlicht lässt sich das „Dark Side Of The Moon“-Cover aber nicht bezeichnen.
Das ist Ihre Interpretation, und sie ist bezeichnend für die Schönheit der Hipgnosis-Cover. Jede Deutung ist willkommen. Für mich bedeutete Hipgnosis immer, die Welt wie durch ein Fernrohr zu sehen: Die Landschaft liegt vor uns, und wir suchen uns ein bestimmtes Detail davon heraus, und die Vergrößerung macht es großartiger, bedeutsamer.
Wie ging’s weiter?
Wir brachten meine kleine Zeichnung zur Band, einer nach dem anderen sagte: „Das sind wir!“ Dann ging’s nach Ägypten, um Pink Floyd für das Innenbild zu fotografieren. „The Dark Side of the Moon“ ist nicht mein Lieblingscover, aber es hat sich bis heute 65 Millionen mal verkauft. Das Motiv ist auf der ganzen Welt zu sehen. Wahrscheinlich haben es Milliarden Menschen wenigstens einmal zu Gesicht bekommen. Hätten Pink Floyd von „Dark Side“ lediglich ein paar tausend Exemplare abgesetzt, wäre der Impetus natürlich ein anderer. Eine Hand wäscht die andere!
Haben Pink Floyd sich hinter Hipgnosis-Motiven versteckt – dachten die Musiker nicht, dass es auch nachteilig ist, unerkannt zu sein?
Darüber sprach ich noch vor zwei Jahren mit Roger Waters. Die Anonymität hatten sie ja nicht forciert. Als Pink Floyd Ender 1960er-Jahre noch in kleinen Clubs spielten, war die Lichtshow schon sehr präsent, selbst billige Glühbirnen fielen stärker auf als die Musiker – weil sie die Befürchtung hatten, ihre Songs wären nicht gut! Nach dem Erfolg von „Dark Side of the Moon“ wurden sie Superstars, traten in den USA vor bis zu 90.000 Zuschauern auf.
Und verschwanden in der Ferne.
Waters realisierte, dass sie für weit weg sitzende Leute zu kleinen Punkten auf einer Bühne wurden. Darauf hatte er aber eigentlich nur gewartet – jetzt konnte er experimentieren. Aus Pink Floyd wurde das, was Rogers „Electronic Theatre“ nannte, die Show mit fliegendem Schwein. Alles sollte aufblasbar sein: die Kernfamilie, Vater, Mutter, Kinder. Dann Sofas und Autos. Schließlich das Gummi-Schaf mit Fallschirm.
Für die Scorpions schufen Hipgnosis „Lovedrive“ (1979) sowie „Animal Magnetism“ (1980). Können Sie nachvollziehen, dass Betrachter diese Fotos, in denen Frauen wie Objekte dargestellt werden, sexistisch finden?
„Lovedrive“ ist die abstrakte Darstellung von zwei Menschen auf dem Rücksitz eines Autos. Und das beste Beispiel dafür, wie Darstellungen über die Jahre verzerrt wahrgenommen werden. Uns interessierte nur eine Frage – die nach der Beziehung zweier Liebender: „What drives Love?“ Dabei geht es natürlich auch um Anspannung. Deshalb die Idee mit dem Kaugummi, das der Mann von der weiblichen Brust abziehen will – es geht um Strapazierfähigkeit des Verhältnisses.
Aber warum gerade die Brust?
Das Gesicht der Frau spricht doch Bände. Sie ist aufgebracht wegen des Verhaltens des Mannes. Es geht hier nicht um Kaugummi auf der Brust, es geht um die Anstrengungen in der Beziehung. Das Cover sollte nicht sexy sein, auch kein „Mann vs. Frau“-Statement. Wer heute sagt, das Motiv sei unangebracht, dem kann ich nur widersprechen: Es ist relevanter denn je, denn „Lovedrive“ ist wie ein Bild aus der „Metoo“-Ära. Wir leben in einer Zeit der Verunsicherung. Wie können Männer und Frauen heute im selben Büro arbeiten, wie geht man gemeinsam aus?
Die Scorpions waren glücklich, aber mit welchen Künstlern gab es Probleme?
Es gibt einige Cover, die mir gar nicht gefallen. Und einige, die wir nur fürs Geld gemacht hatten.
Welche zum Beispiel?
Die von Paul McCartney. Sie basierten auf seinen Ideen, oder seinen und Lindas, jedenfalls nicht unseren. Wir fühlten uns dennoch geehrt, er war ja ein Beatle. Wir mochten ihn, freundeten uns an, und er zahlte gut. Wir mussten unsere Miete zahlen, das Studio am Laufen halten, unseren Assistenten Lohn geben. „Wings at the Speed of Sound“ von 1976 ist ein Beispiel für ein Motiv, an dem ich nicht hing.
Warum?
Ich fand es nicht aufschlussreich. Konzept wie finales Produkt. Hier fehlte ein Kontext, es war also kein Hipgnosis-Bild. Wir sehen rote Buchstaben vor einer gelben Werbefassade auf einem Theater am Londoner Leicester Square. Langweilig.
Konnten Sie kein Veto einlegen?
Mit Paul zu arbeiten war eine interessante Erfahrung. Er sagte: „Ich brauche ein Albumcover! Legt los mit euren Ideen!“ Wir brachten ihm etliche Skizzen. Seine Antwort war meist die: „Sieht alles großartig aus! Aber auch ich habe mir Gedanken gemacht.“ Wir drucksten dann rum: „Wir können auch an Deinen Skizzen arbeiten.“ Worauf Paul den Vorschlag machte: „Verstanden. Lasst uns einfach meinen und euren Entwurf ausarbeiten – und dann schauen wir, welcher am besten funktionieren würde, okay?“ Wir machten die Fotos, und am Ende stellte er stets fest: „Seht ihr? Meine Idee war besser.“ Es wurde ein Running Gag. Ich mochte es, für ihn zu arbeiten. Der Mann hat Sinn für Humor.
Welches ist Ihr Lieblings-Cover?
Eines ist sicher „Atom Heart Mother“ für Pink Floyd. Die Kuh. Das Nicht-Cover. Nichts darauf hat mit dem Inhalt zu tun, nichts mit der Band, nichts mit den Liedern, den Titeln, den Texten. Und es war alles so einfach. Wir fuhren auf eine Wiese, fotografierten das Tier, fuhren zu Pink Floyd. Wir wollten es gar zur Bedingung machen, dass Bandname und der Titel fehlen. Und sie? Liebten auch diese Idee. Die Plattenfirma hasste sie. Sie haben uns geradezu rachsüchtig gehasst. Das Label wollte uns loswerden.
Wie kann man sich das vorstellen?
Als ich mit dem Cover bei der EMI/Capitol Records reinmarschierte, vergruben die Leute dort die Köpfe in ihren Händen. Sie kamen mit unserem Querdenken nicht zurecht, hatten keinen Sinn für „thinking out of the box.“ Dabei ist es doch so: In Plattenläden gab es tausende Alben, und fast alle schmückten Bandfotos. Wir hatten die Kuh und stachen heraus – das hätte dem Label doch gefallen müssen.
Und die Kuh riskiert gar einen kecken Schulterblick – wie Leute auf dem Roten Teppich.
Sie haben seltsame Ansichten, mein Freund. Es ist eine Kuh auf dem Feld, mehr nicht. Wir wurden inspiriert von den Arbeiten Marcel Duchamps. Die Aufnahme eines alltäglichen Seheindrucks. Passt das Bild zum Plattentitel „Atom Heart Mother“, steht die Kuh für eine Mutter? Nein! Es ist eine Kuh. Wissen Sie, wie Pink Floyd auf den Titel kamen?
Nein.
Roger Waters las den „Evening News Standard“, den Artikel „Atom Heart Mother“ – über die erste Frau, der ein Herzschrittmacher implantiert wurde. Ich lief über den Sunset Strip in Los Angeles, und dort hing über einen Zeitraum von drei Wochen das riesige Werbeplakat mit dem Tier. Und die Leute in Hollywood fragten sich: „Was ist das für ein Film? Ein Horrorfilm? THE COW?“ Erst nach Wochen wurde, auf einem zweiten Plakat, der Bandname enthüllt. Und erst dieses Versteckspiel war es, das Pink Floyd zum absoluten Gesprächsthema in Amerika machte. Bis „Dark Side of the Moon“ war „Atom Heart Mother“ dort ihr größter Hit.
Welches Cover lieben Sie außerdem?
„Elegy“ von The Nice, der Band von Keith Emerson, bevor er Emerson, Lake & Palmer gründete. 30 rote Fußbälle, die eine Linie in der Sahara bilden. Es markierte 1971 eine unserer ersten Gelegenheiten ein surrealistisches Motiv zu entwerfen. Ich malte es buchstäblich auf die Serviette und stellte es dann dem Label vor. Die Leute flippten aus: „Wer soll den Quatsch denn bezahlen?“. Emerson, cool: „Ich“. Also kauften wir die Fußbälle, verpackten sie in Kartons und flogen nach Marrakesch. Dort angekommen, besorgten wir uns ein Auto und fuhren zu den Dünen nach Sangora.
Klingt jetzt schon abenteuerlich.
Allerdings: Die Bälle waren nicht aufgeblasen. Und alles, was wir hatten, war eine Fahrradluftpumpe. Ich machte mich an die Arbeit und brauchte 20 Minuten – für einen Ball. Zum Glück war eine Tankstelle in der Nähe, wir fragten dort an und bezahlten fürs Aufblasen. Um 5 Uhr morgens kamen wir zurück um die Bälle abzuholen. Alle waren fertig, rund und aufgepumpt – 60 Kinder hatten sich an die Arbeit gemacht. So entstand eines der ersten surrealistischen Plattencover. Das Bild war bahnbrechend. Wir veränderten die Welt. Und es gibt noch ein weiteres Motiv, auf das ich sehr stolz bin.
Welches?
„Look Hear?“ von 10cc, und darauf unsere Worte „Are You Normal?“ Das Bild zeigt ein Schaf auf der Couch eines Psychiaters, ich schoss es 1980 auf Hawaii. Die Menschen sind ja wie Schafe, einer folgt dem anderen, alle gehen in Therapie – weil das damals Mode war. Warum Hawaii? Traumsequenzen werden oft mit Meer und Strand in Verbindung gebracht. Storm und ich gingen selbst in Psychotherapie. Zum einen, weil wir einst LSD genommen hatten, aber auch, um uns selbst kennenzulernen. Nun, ich wollte also ans Meer. Aber das Wetter in England war schlecht. Nur: in Hawaii waren Sigmund Freud und C.G. Jung nie gewesen. Also gab es auf Hawaii auch keine Psychiater-Couches. Und Schafe eigentlich auch nicht. Bis auf eines. Das durfte ich mir leihen. Das arme Tier. Weil ich nur dieses eine hatte, musste es sämtliche Aufnahmen mitmachen. In den Wellen zum Beispiel. Man sieht es in dessen Augen: Am Ende des Tages hat es mich gehasst.
Bootlegs von Hipgnosis-Alben überschwemmen den Markt, die „Dark Side of the Moon“-Pyramide gibt es in etlichen schlechten Versionen. Schmerzt Sie das?
Natürlich sehe ich Cover-Nachdrucke nicht gerne. Aber viel schlimmer finde ich misslungenes Merchandising, wie man es auf vielen Konzerten sieht. „Dark Side“ als mieser T-Shirt-Druck, jüngst beim Konzert von meinem Freund Nick Mason und seiner Band A Saucerful Of Secrets gesehen. Manchmal halte ich Vorlesungen, dann bringe ich als Beispiel für scheußliches Merchandising Pink-Floyd-Artikel mit. Ein „Dark Side“-Wecker, wohl wegen des Songs „Time“, aus Plastik. Eine Sandale, „Dark Side of the Moon“ mit beiger Sohle. Das Beste (wird laut)? Ein „Dark Side“-Stuhl! Die Leute pflanzen ihre Ärsche auf mein Bild.
Kann man nichts dagegen machen?
Die Beispiele, die ich grade nannte: Die sind offizielles Merch. Dagegen kann man gar nichts machen. Aber ich kann es kaum ertragen. Pink Floyd haben diese Lizensierungen erteilt. Aber selbst, wenn ich der Band sage: „Bitte, geht doch gegen schlechte Arbeiten vor!“, sagen sie: „Ja, das sollten wir!“ Aber irgendwie ändert sich nichts. Andererseits, es gibt Bierglashalter mit Bildern von van Gogh, was soll ich mich schon beschweren.
Wer bezahlte die Produktionen, die Band oder deren Label?
Natürlich die Band. Die Plattenfirma konnte uns ja nicht ausstehen. Und die Musiker in den 1970ern hatten das Geld. Led Zeppelin sagten stets: „Das Budget muss nicht diskutiert werden, arbeitet etwas aus, meldet euch – but don’t fuck up“. Nie gab Jimmy Page uns, bevor wir die Cover entwarfen, Musik zum Anhören oder Songtexte zum Lesen.
Also ließen die Labels Sie zähneknirschend in Ruhe?
Nicht unbedingt. Unser Cover für die Foreigner-Platte „4“ zeigte ein schwebendes Fernglas über einem schlafenden Mann im Bett. Die Plattenfirma sagte: „Das ist uns zu schwul.“ Das dürfe sich eine Macho-Rockband wie Foreigner nicht erlauben. Ihr Gegenvorschlag: eine junge Frau im Bett! Das war mit uns aber nicht zu machen. Take it or leave it! Am Ende schmückte eine simple vier als Ziffer deren Cover – zum Einschlafen! Waren wir sauer! Storm konnte sehr aggressiv werden. Eine Zeitlang hatte er sich’s sowohl mit Paul McCartney als auch Led Zeppelin verscherzt.
Warum?
Ich arbeitete einige Ideen für Led Zeppelin aus, und wir machten uns los zur Präsentation. Storm drückte mir plötzlich ein Bild in die Hand mit der Bitte, das auch vorzustellen. Treffen würden wir uns dann dort. Mich machte es immer nervös, wenn ich seine Konzepte vorlegte, auch hier hätte ich mir wohl seinen Entwurf vorher ansehen sollen. Erst bei meiner Präsentation sah ich das Bild – und Jimmy Page natürlich auch: ein Tennisschläger auf Rasen. Jimmy: „Was ist das denn?“ – „Wonach sieht’s denn aus?“ – „Das ist ein Tennisschläger!“ Jimmy Page ist ein sehr kluger Mann. Sehr deutlich und langsam fragte er Storm: „Möchtest Du mir etwa unterstellen, Led Zeppelin machen Krach?“
Was hat der Tennisschläger denn mit Krach zu tun?
„Racket“– das kann auf Englisch beides bedeuten, Krach und Tennisschläger. Und ich meine nicht guten Krach, wie man ihn Bands zuschreibt. Sondern Krach wie von Kindern, die Sachen kaputtschmeißen. Das Fass wurde zum Überlaufen gebracht, als Storm Jimmy beipflichtete: „Genau das meine ich – Krach!“ Und sofort verwies er uns der Tür. Zwei Jahre Funkstille. Peter Gabriel war viel entspannter, er liebte den Streit mit uns.
Soll keiner sagen, Streit wäre Storm Thorgerson nicht in die Wiege gelegt worden.
Storm by name, storm by nature. Ich hasse es Verhaltensweisen zu ettiketieren, aber heute wäre bei ihm möglicherweise das Asperger-Syndrom diagnostiziert worden. Er hatte Schwierigkeiten, soziale Erwartungen zu erfüllen, er konnte Menschen aufregen und das gar nicht nachvollziehen. Storm und ich waren Ying und Yang. Ich liebte ihn wie einen Bruder. Jeder unserer Mitarbeiter gab seine Urteile ab, aber die größten Streitereien lieferten sich Storm und ich. Unzählige Male warf ich eine Hasselblad (schwedisches Fotokameramodell) durch die Gegend. Natürlich drehte sich im Streit alles nur um Kunst, und die lässt sich ja verschiedentlich betrachten. Aber Storm hatte nicht immer Recht (lacht).
Wie oft kommt es vor, dass Sie Hipgnosis-Arbeiten in denen anderer Künstler wiederfinden?
Ich muss manchmal darauf achten, mein Ego unter Kontrolle zu halten. Oft laufe ich durch Plattenläden und stelle fest, dass viele Cover wie Kopien von uns aussehen. Ende der 1970er, Anfang der 1980er ließ sich auch die Werbung von uns beeinflussen, gerade für Zigaretten und Getränke. Generell entdeckte die Werbung zu jener Zeit das Prinzip, ihre Darstellungen wie Albencover aussehen zu lassen. Mich hat das sehr deprimiert.
Warum?
Weil Werbung niemals die Unschuld haben kann, die von Plattencovern ausgeht. Diese Produkte wollen künstlich Bedürfnisse wecken, das käme bei guten Musikern nie vor. Hipgnosis war eine Kunstfabrik, so wie Andy Warhols „Factory“. Zwei Stockwerke in London, oben wurden die Grafiken angefertigt, unten war das Studio. Jeden Tag zwölf Stunden Arbeit, und wir bereisten für Motive die Welt. Und an jedem Ort schauten wir uns erstmal um – allein die Wahl des Tageslichts konnte natürlich Wartezeit beanspruchen.
Musste die Entscheidung für ein Motiv immer einstimmig ausfallen?
Viele Leute fragten uns: Warum ist das Cover für eine amerikanische Edition anders als das für Japan? Ganz einfach, Storm etwa bekam die USA, ich Japan! Verschiedene Cover erhielt zum Beispiel das Pink-Floyd-Album „Wish You Were Here“ (1975). Zwei Männer im Geschäftsanzug reichen sich die Hand, einer der beiden steht in Flammen. Es gab eine intensive Auseinandersetzung mit Storm.
Wegen des Motivs an sich?
Wegen der Körperhaltung des brennenden Mannes. Auf einem der zwei in Produktion gegangenen Cover lehnt er sich weiter nach vorne – ich glaube, dies war meine bevorzugte Position. Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass der Kerl sich wirklich bei dem Deal verbrennt. Zwei Leute machen ein Geschäft, der eine wird dabei verheizt. Der Mann, der auf Storms Coverfassung aufrecht steht, weiß noch gar nicht, auf welchen Deal er sich einließ.
Die Männer waren Stuntmen, die Flammen echt.
Es gab damals kein Photoshop, keine Möglichkeit, Feuer digital aufzusetzen. Wir mussten also einen Mann brennen lassen. Ich flog nach Los Angeles, fand den Stuntman, machte ihn zurecht, zündete ihn an und hielt die Kamera drauf. Was Sie sehen, ist so passiert – ich habe nachträglich nichts an dem Foto verändert. Das Cover zählt zu den wenigen, die sich meiner Ansicht nach nur auf eine, die von mir beschriebene Art interpretieren lassen.
Man hätte auch denken können, das Cover beschreibt die Ansteckungsgefahr durch Krankheiten …
Absolut nicht! Der Brennende ist das Opfer, kein Täter. „Wish You Were Here“ zählte zu den Alben, die wir sehr gründlich zur Vorbereitung gehört hatten. „Have a Cigar“ stach heraus, das Lied dreht sich um die Verlogenheit der Musikindustrie. Legendär die darin enthaltene Zeile: „Oh, by the way, which one’s pink?“ – ein Labelboss von Capitol Records dachte allen Ernstes, Pink Floyd bestünden aus zwei Musikern namens Pink und Floyd.
Obwohl vier Leute, nicht zwei den Raum betreten hatten?
Für die Typen von der Plattenfirma war die Gruppengröße unwichtig. In den 1960ern und 1970ern trugen alle wichtigen Leute bei den Plattenfirmen Anzüge, und sie hatten stets einen Koffer bei sich, wie auf dem „Wish You Were Here“-Cover. Die Zwei stellen hohe Tiere einer Plattenfirma dar. Es geht um Geschäfte, bei denen nicht zwei profitieren, sondern einer dran glauben muss. Es ging damals nur ums Geld. Deser Druck war es auch, der Syd Barrett das Leben schwer machte.
Wie war Ihr Eindruck vom genialischen Pink-Floyd-Musiker?
Man weiß ja, dass er die Band bereits 1968 wegen seiner psychischen Probleme verlassen musste. Der Titel „Wish You Were Here“ richtet sich an ihn. Er, Storm und ich lebten ein Jahr zusammen. Syd nahm eine zu starke Dosis LSD, das brannte ihn aus. Sein Verhalten wurde unkontrollierbar. Er glaubte Gitarre zu spielen, aber seine Finger berührten nicht mal die Saiten. Phasen manischer Depression wechselten sich ab mit absoluter Unerreichbarkeit. Er war uns entschwunden (Barrett verstarb 2006 an Krebs). Seine Augen wurden schwarz. Als ich sah, was LSD mit ihm angestellt hatte, war LSD auch für mich durch. Ich wollte nicht dorthin, wo er nun war. Und es fällt mir heute noch schwer, über Syd zu sprechen.
Dann wieder zu Pink Floyd: Auch 1987 gab es, wie bei „Wish You Were Here“, noch kein Photoshop. Die Reihe hunderter Krankenhaus-Betten am Strand, wie auf „A Momentary Lapse of Reason“ zu sehen – die war echt?
Die Idee kam von Storm Thorgerson, es war die erste Zusammenarbeit mit Pink Floyd seit 1977 und nach dem Ende von Hipgnosis. Aber er arbeitete noch nach demselben Gesetz wie Hipgnosis. Jede Montage oder Collage muss so gestaltet sein, dass alles im Bild scharf ist, von vorne bis hinten – was eine Herausforderung ist, denn das menschliche Auge sieht die Welt unterschiedlich scharf. Norman Rockwell würde derart künstliche Bilder malen. Als Beispiel für ein Plattencover fiele mir „Pieces of Eight“ von Styx ein. Hipgnosis fand das reizvoll, denn es verlieh uns eine trügerische, verstörende Perspektive. Wir kreierten eine Illusion. Unser Cover für „Houses of the Holy“ von Led Zeppelin machte das schon 1973 vor: Alle Kinder darauf sind in voller Schärfe abgebildet.
Gab es auch Ideen, deren Umsetzung nicht gut aussah?
Eines Tages fragte Storm: „Warum packen wir nicht mal ein Bild in einen Ofen?“ Damals arbeiten wir für Mark Ashton, fotografierten ihn in Marrakesch. Ab in den Ofen mit dem Foto, hochgedreht auf 180, aber das Plastik schmolz natürlich. Wenn sie etwas deformieren, wie eben ein Foto im Ofen, wirkt sich das dreidimensional aus, allein durch die Wölbung. Aber das wäre im wahren Leben interessanter zu betrachten als abfotografiert und gedruckt auf einer zweidimensionalen LP-Hülle. Aber die fast schon ins Zerstörerische gehende Bearbeitung funktionierte oft auch sehr gut.
Bei welchen Covern?
Denen von Peter Gabriel, die Alben ohne Titel, von 1977 und 1978, mit ihm im Auto oder mit seinen Fingernägeln, die das Foto zu zerreißen scheinen.
Cover und Innenhülle des 10cc-Albums „How Dare You“ erschienen 1976 geradezu prophetisch: Viele Leute auf einem Fleck, und alle telefonieren statt miteinander zu reden.
Beim Innenmotiv ließen wir uns zum einen von Norman Rockwells Foto „The Gossip“ beeinflussen: ein Wimmelbild voller Köpfe, die miteinander oder am Telefon sprechen. Zum anderen entwarfen wir eine Zukunftsvision: eine Party, bei der die Gäste nur per Telefon kommunizieren. Es geht also eigentlich um die Unfähigkeit mit dem Gegenüber zu reden, ausgerechnet auf einer Feier.
Was fasziniert sie an Kommunikation?
Im Grunde nutzte man damals das Telefon, um mit Unbekannten leichter ins Gespräch zu kommen. Heute nutzt man ein Handy, um mit geliebten Menschen Schluss zu machen. Unser Cover war ein Vorläufer heutiger sozialer Situationen. Die Fotos auf Vorder- und Rückseite zeigten zwei miteinander telefonierende Menschen, die durch eine Diagonale in zwei Bilder getrennt werden – Storm und ich liebten Filme der 1940er, da war diese Raumaufteilung gängig, wann immer Humphrey Bogart und Lauren Bacall zum Hörer griffen. Es gibt aber noch einen Grund, warum Hipgnosis grade mit 10cc besonders gerne zusammenarbeitete.
Welcher?
Alle ihrer Lieder enthalten Erzählungen. „I had an eyeful of the tower“, „life is just a ministrone“, „I don’t like cricket – I love it“. Im Song „Don’t Hang Up“ ist ein echtes Telefon zu hören. Das wurde unser Covermotiv.
Immer weniger Menschen hören komplette Alben durch, die Sequenzierung von Songs und dadurch die Erzählung, werden unwichtiger.
Unlängst sah ich einen Mann mit seinem Mobiltelefon, er hörte Musik, aus Versehen wurde er angerempelt, das Handy fiel zu Boden und zerbrach. Dies ist ein Symbol der Neuzeit und wirft neuartige Fragen nach sozialer Etikette auf. Was macht der Schadensverursacher jetzt – bietet er an, die Reparatur zu bezahlen? Flippt der andere aus? Ich dachte nur: Das würde ein sehr schlechtes Fotomotiv für ein Cover abgeben. Mit dem alten Telefon und dessen Schnur ginge das sehr wohl. Ein zehnjähriges Kind, das heute so einen Apparat sieht – das ist vergleichbar mit meinem Eindruck, als ich erstmals Schwarzweißfilme sah: „Wieso war die Welt in Schwarzweiß, bevor ich geboren wurde?“
Der Erfolg von Hipgnosis ließ Anfang der 1980er nach.
Mit dem Siegeszug der CD. Cover-Fotos wurden kleiner, Gatefolds verschwanden. Es ging aber schon früher los, 1977 mit dem Debüt der Sex Pistols, „Never Mind The Bollocks“. Das Motiv dürfte nicht mehr als umgerechnet zehn Euro gekostet haben. Wir hätten 50.000 pro Cover ausgegeben. Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt und fingen an Musikvideos zu drehen. Nach Startschwierigkeiten konzipierten wir für Paul Young „Wherever I Lay My Hat“, der Song wurde eine Nummer eins, und wir waren wieder im Geschäft. Storm und ich zerstritten uns, natürlich ging’s ums Geld. Zehn Jahre redeten wir nicht miteinander. Zum Zeitpunkt seines Todes waren wir längst wieder beste Freunde geworden.
Wie denken Sie heute über Hipgnosis?
Wir hatten 15 Jahre, die Zeitspanne von 1969 bis 1984, in der wir arbeiten, in der wir Kunst schaffen konnten, die unabhängig war von kommerziellen Interessen anderer. Nehmen wir gute Bilder, die in dieser Ära nicht von Hipgnosis erschaffen wurden: „Breakfast in America“ von Supertramp. Eines der besten Cover seiner Zeit. Oder die gemalten von Neon Park für Little Feat, das Huhn, die „Bogart Duck“, oder „Sailin‘ Shoes“, der Geburtstagskuchen mit Füßen, der auf einer Schaukel sitzt, oder Rick Griffins Arbeiten für The Grateful Dead – alles surreale Bilder. Mit Blick auf die heutige Zeit muss ich mich erneut wundern.
Warum?
Vinyl ist so begehrt wie seit Jahrzehnten nicht, es gibt einen Retro-Boom. Aber es fehlt an Nachhaltigkeit – an die Wichtigkeit von neuen, guten Plattencovern wurde nicht gedacht. Die Verpackung ist irrelevant. Wer sich die neue Platte von Rihanna runterlädt, bekommt dazu ein schönes kleines Bild der Sängerin. Hat das irgendeine Relevanz?