Innere Bestandsaufnahme vertont
Mit dem Party-Leben hat Tim Hutton Schluss gemacht. Zeit für eine längst fällige Inventur...
Das Leben, wie Tim Hutton es sieht, ist ein anstrengender Zickzack-Lauf. „Alles, was ich tue, ist eine Reaktion auf das, was ich vorher getan habe“, erläutert der britische Sänger, Liedschreiber und Produzent das eigene Werk. Man weiß, was er meint: Zuletzt hatte sich Hutton mit den Ambient/Acid House-Terroristen von Vulva erfolgreich bemüht, jedem marktfähigen Format zu entkommen, und schon das war als Gegenwehr gedacht „Vor Vulva hatte ich einigen Ärger mit verschiedenen Plattenfirmen“, erläutert er. „Man ist in dem Business ja bloß das Objekt von politischen Entscheidungen, ein Möbelstück, mehr nicht. Mit Vulva habe ich meine Musik zurückgefordert.“ Nachdem die Kollegen von Vulva am Ende einer US-Tournee mit Perry Farrell von dannen zogen, um fortan Porno For Pyros zu sein, verkroch sich Hutton mit dem Projekt Soul Ascendants für zwei weitere Jahre in den Clubs daheim. Mit dem Feiern ist jetzt aber Schluss. „Ich habe das Gefühl, auf einem fünf Jahre dauernden Partytrip gewesen zu sein“, resümiert er. „Es ist wohl an der Zeit, mal Inventur zu machen.“
Die innere Bestandsaufnahme ist für Hutton indes eine recht heikle Angelegenheit. „Ich habe in den letzten Jahren viel persönlichen Kram unter den Teppich gekehrt“, verrät er, „ich wusste, wenn ich mich damit auseinandersetze, wird es persönlich werden.“
Das ist es geworden: Huttons neue LP „Everything“ ist eine leise Übung in Nahbarkeit, eine vorsichtige Erklärung zur Lage des Künstlers – schon müssen trotz des modern-eklektischen Klangdesigns Sänger wie Elliot Smith oder gar Nick Drake als Krücke der Vorstellung herhalten – und das nicht mal zu Unrecht: Unter den gebrochenen Digital-Schnipseln von „Everything“ rührt sich fragiler Neo-Folk, gar nicht ironisch oder blöde phlegmatisch, sondern mit großer Authentizität und Verletzlichkeit – würden die Apparate schweigen, es bliebe wohl nur das nackte Lied.