In Teufels Küche
Weshalb "Räch, der Restaurant-Tester" in Wahrheit ein Seismograf der deutschen Wirklichkeit ist.
Bei einer B-Prominenten-Sause vor vielen Jahren mimte er den Satan und trieb faule Witze-Erzähler wie Karl Dall zu Eile und Präzision an: Christian Rach, ein damals weithin unbekannter sogenannter Sterne-Koch aus Hamburg, lud in „Teufels Küche“. Das Gschwerl aus Schauspielern, Comedians, Sportlern und Adabeis musste allerlei Demütigungen erdulden, Schnippeln, Putzen und Abspülen, weil Räch seine Sache unvermutet ernst nahm und wenig Spaß versteht. Dall schickerte sich mit Wein an und plante eine Küchenrevolution, scheiterte jedoch an der Feigheit der Kombattanten. Am Ende mussten die Delinquenten anderen B-Prominenten das Gekochte servieren, noch immer erbarmungslos getriezt von dem Küchenchef.
Vor fünf Jahren, auf dem Gipfel der Koch-Hysterie, bekam der Mann mit dem Magenbittergesicht die Sendung „Rach, der Restaurant-Tester“ bei RTL. Doch von Beginn an ging es gar nicht um den Test vielmehr rufen verzweifelte Köche und Gastwirte am Rande des Bankrotts den Fernsehsender zur Hilfe. Rach kommt, lässt sich ein Potpourri von der Speisekarte auftischen und urteilt nach Gusto. Die Speisen sind meistens nicht nach dem Geschmack des Gourmets, das kann man sich denken. Oft mangelt es auch am Service, am Equipment und Interieur, an Fachwissen, Geld oder Begeisterung; manchmal hat jemand Papas Pinte geerbt, eine Bruchbude erworben oder den Betrieb von der geschiedenen Frau übernommen – „Rach, der Restaurant-Tester“ handelt vom Elend in deutschen Wirtshäusern und Küchen, vor allem aber von Modernisierungsverlierern, ungelernten Hilfskräften, indolenten Azubis und übrig gebliebenen Omas in abgelegenen Provinzen des Landes (oder in der Fußgängerzone von Gelsenkirchen). Früher gab es die Sendereihe „Unter deutschen Dächern“, eine Oase der Wahrhaftigkeit und der Spießigkeit wie sonst nur „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Rach blickt in ein Inferno aus Inkompetenz und Wurschtigkeit, Lahmarschigkeit, Dummheit und Unverschämtheit, dass es einem das Kraut ausschüttet.
Mit der Zeit ist Christian Rach eloquenter und freundlicher geworden; er geht auf die armen Menschen zu, streckt seine knochige Hand aus, stemmt die Arme in die Hüften, hängt seine Jacke an den Haken und gestikuliert ausgreifend, als suchte er Erlösung im Metaphysischen. Doch kein Gott hilft, wenn Rach die verdreckten und kaputten Küchen inspiziert, wenn die Abzugshaube wieder schmierig ist und der Schmutz an den Wänden klebt. Es ekelt den Experten, der stets Jeans und ein schlichtes Hemd trägt, bis er seine mitgebrachte Küchenjoppe anzieht. Spätestens dann kennt er keine Freunde mehr. Doch bemerkt man bei diesem philosophisch geschulten Koch, was einem bei geschickten Lehrern auffällt: Er behandelt Unbotmäßige mit Nachsicht, er reagiert mild auf schlecht artikulierte Proteste, er registriert bald, welcher Kerl unter dem Regiment seiner Frau steht; wo ein Angeber wirkt, ein Leisetreter oder ein Antriebsloser. Er muss mit verstockten Küchenmägden umgehen, mit späten Mädchen und alten Vetteln; mit Hausmeistertypen, Hallodris und Besserwissern. Verfeindete Parteien bringt er an einen Tisch, mit heulenden Pächterinnen spricht er unter vier Augen, mürbe Ehepaare schweißt er zusammen, mutlosen Nachwuchs-Köchen stärkt er den Rücken. „Der Restaurant-Tester“ zeigt mit erstaunlicher Evidenz, dass Hartz IV tatsächlich nicht das härteste Schicksal ist – in der Gastronomie schinden sich Ahnungslose in die Schulden und in Albträume; gewaltige Räume werden beheizt; ganze Säle stehen leer; Gammelfleisch lagert in Kühlräumen; die Soße kommt aus der Tüte. „Wer nichts wird, wird Wirt“ sagt der Volksmund, und bei den Trauergestalten, die RTL zur Vorführung auswählt, ist der Dummspruch in bedauerlicher Weise augenfällig.
„Rach, der Restaurant-Tester“ hat Einschaltquoten wie sonst nur „Baucher sucht Frau“ und „Deutschland sucht den Superstar“, obwohl der Prüfer stets einfache Lösungen wählt und manchmal scheitert. In der Regel lässt er das potthässliche Ambiente umgestalten und die Speisekarte zusammenstreichen; zuweilen kritzelt er ein „Konzept“ auf einen Bierdeckel, ermuntert die betretene Belegschaft und lässt Häppchen anfertigen, denn Rach liebt keine großen Portionen (und lehnt Grießbrei ab). Am Ende danken alle gerührt, der Laden ist voll, weil das Fernsehen da ist; und Rach verlässt den Schauplatz noch während der Lustbarkeiten. Nach Monaten reist er zur Überprüfung der Gaststätten an die Tatorte zurück: Nun blühen die Restaurants, dümpeln wie früher vor sich hin oder sind geschlossen worden; manchmal hat das Personal gewechselt oder der Koch hat sich verabschiedet. Spätestens nach Ausstrahlung der Sendung müssten die Protagonisten aus Scham im Boden versinken, doch für die meisten beginnt dann eine Karriere als Der-mit-dem-Restaurant-aus-dem-Fernsehen.
Rachs eigenes Restaurant ist etwas Feines in Hamburg, einen Stern hat es verloren – wahrscheinlich, da er die Mannschaft nicht auf Trab bringen konnte, weil er anderweitig beschäftigt war. Aber es gibt Wichtigeres im Leben als vornehmes Kochen: Für seine Beratung bekommt Christian Rach jetzt Preise wie die „Goldene Kamera“. Dabei vermittelt er doch eigentlich nur eine goldene Regel: Zuerst muss jemand lernen, wie man gute Bratkartoffeln macht.