In Paris schreiben immer mehr Frauen über Sex. Bei der „„nouvelle pornographie“ und Autorinnen wie NELLY ARCAN ist das Vage en vogue, aber es geht auch anders
Unter den professionellen Meinungsmachern beklagt speziell ein arrivierter Kritiker immer wieder und gern den Mangel an Erotik in der Literatur. Die Forderung nur in rollenden RRs denkbar, das „“arriviert“ sowohl in Bezug auf Karriere als auch das hintere Lebensdrittel des nun im Zirkel mit sich selbst räsonierenden Mannes. Hochkulturelle wollen also, was Rock’n’Roll immer schon simuliert: dass es saftig zur Sache geht. Warum soll den Angekommenen auch keiner abgehen, Kunst spricht ja immer außer dem Kopf auch den Bauch an. Zwar kann, was weiter unten stattfindet, schon mal in die Hose gehen, klar. Muss aber nicht.
Während „Playboy“ hier zu Lande seinem jahrelangen Lizenzpartner untreu wird, „“Penthouse“ ganz die Pforten schließt, melden sich in der Lustmetropole Paris gebildete wie erfahrene Frauen zu Wort. Auf Klappendeckeln ist Sex immer noch eine Metapher für Skandalöses, und zwischen den Deckeln geht es hoch her. Anders als in den erwähnten Heftchen, auch frontaler als noch bei „“Obelisk“ und „“Olympia Press“, die letztes Jahrhundert im freizügigen Paris neben James Joyce auch Texte über Polygamie, Pädophilie und Homosexualität veröffentlichten.
Waren Henry Miller, Nabokov und Burroughs inhaltlich wie stilistisch gewagt, so ist heute das Vage en vogue. Erkenntnisse werden, wenn überhaupt, unter spärlichen Deckmäntelchen, Bekenntnisse auf dem Klappentext angedeutet und in Interviews abgewehrt. Im Treiben der Literatencafés erhitzen sich bei der Post-Postironie die Gemiiter. Immer inklusive eingebauter Abwehrdialektik, da alles sowieso ohne Lust, Leidenschaft oder neue Einsichten vorgetragen wird. Im Luftschlösschen der Hochkultur lässt sich das Thema endlos auswalzen, für Verlage in bare Münze verwandeln. Noch.
Statt Erotik also Exhibitionismus, statt Nabelbetrachtungen nun Vaginauntersuchungen. Im Bestseller „“Das sexuelle Leben der Catherine M.“ (Goldmann, München 2001) reiht Catherine Millet ihre penetrant pubertären Fantasien so aneinander, dass einen am Ende alles so langweilt wie der leere Blick der nächstgelegenen Stripperin, liegend oder stehend oder sich verrenkend.
In eine ähnliche Bresche geht Christine Angots Autofiktion „“Inzest“ (Tropen-Verlag, Köln 2001), die als Schummelpackung kaum fassbar ist und in ihrer erzreaktionären Sicht von Homosexualität zwischen den Zeilen eigentlich nur Minderheiten schockt.
So weit das Umfeld der „“nouvelle pornographie“. Die Frauen kommen zu Wort. Sie geben sich nihilistisch, schreiben fast alle „atemlos“, meist ohne wirklich zu beschreiben. Sie gebären sich wie der Titel der ehemaligen Pornodarstellerin Raffaela Anderson – „Hard“. Nelly Arcan, aufgewachsen in der Provinz Kanadas, sieht auf Fotos zwar aus wie ein Einzelkind, dem in einer Urlaubertraumlandschaft kaum ein Wunsch unerfüllt blieb, das in Kreuzworträtseln bei „Generation „???“ nicht an „“X“, sondern „“Golf“ denkt, und dessen Literaturstudium von progressiv-liberalen Eltern großzügigst bezuschusst wird. Doch „“Hure“ simuliert eine andere Realität.
Als semiautobiografische Erzählung tituliert, ist die Geschichte aber weder hier noch dort. Genaugenommen spielt sich überhaupt nichts ab, das dann aber in dem Zimmerchen eines Bordells an der Rückseite einer Uni. Statt narrativem Erzählen gibt es unzählige Pirouetten. Die Erzählerin dreht sich um sich, Mama, Papa und die Kunden. „Deshalb habe ich lieber so viele Männer wie möglich, einen Haufen von Freiern, Professoren, Ärzten und Psychoanalytikern, von denen jeder sein Fachgebiet hat, jeder macht sich an dem einen oder anderen Teil von mir zu schaffen und sorgt damit für die gesunde Entwicklung des Ganzen. Ein einziger Mann in meinem Leben wäre viel zu gefährlich, für einen alleine ist zuviel Hass in mir.“
Eigentlich könnte ja von mehr die Rede sein als dem Nebenjob, dem uralten Rollenspiel der Frau(en), Unghorsam seit Eva und so weiter. Ist aber nicht Was in Illustrierten-Reportagen schon Vorjahren vorkam, was schon vor Simone de Beauvoir wahrgenommen wurde, Ödipus und andere Allgemeinplätze werden in einem Techno-Endlos-Loop immer wieder und wieder und wieder durchgekaut; jeder Satz zwischen zwei und drei Seiten lang. Man fragt sich unweigerlich: War hier ein mit abgegriffenen Begriffen gefütterter Word-Prozessor am Abschmieren, noch bevor man ihm befehlen konnte, ab und an auch mal einen Punkt zu machen?
„Atemlos“ wird die Schreibe nicht — nur weil zwei Durchschnittssätze aus „Hure“ diesen kompletten Text hier bestreiten könnten. „Diarrhöe“ schon eher. Statt Einblicken gibt es an der Oberfläche pinselnde Kosmetik, endlose Satzvergrößerungen, die aus Pushup-Sentenzen quillen. Das ist stellenweise unterhaltend, zumeist allerdings ermüdend.
Soll aber keiner glauben, sie würde das verteidigen. „“Hure“ ist einfach das Resultat einiger spontan darniedergeschriebener Ideen, wie Arcan „Librairie „Pantoute“ gesteht: „Mit 25 waren einige Dinge in mir gereift, und ich beschloss, sie in einem Tagebuch festzuhalten. Zunächst, um Gedanken und Reflexionen niederzuschreiben, die mich schon lange beschäftigten, dann, um sie einem Psychoanalytiker vorzulesen. Ich traf einen mit einem künstlerischen Gepür, Patrick Cady. Er hat schließlich die Analyse sein lassen, weil er die literarische Qualität der Aufzeichnungen erkannte. Er riet mir, ein Buch daraus zu machen.“
Sollen sich die Gemüter daran erhitzen, Kontroversen entfachen? An die schloss, sie in einem Tagebuch festzuhalten. Zunächst, um Gedanken und Reflexionen niederzuschreiben, die mich schon lange beschäftigten, dann, um sie einem Psychoanalytiker vorzulesen. Ich traf einen mit einem künstlerischen Gegroßen Porno/Sex/Erotik-Klassiker aus Paris knüpft „Hure“ jedenfalls nicht an. Einen Regenwurm wie 1973 in Cadierine Breillats „“Ein Mädchen“ (Kowalke & Co., Berlin 2001), durchaus vergleichbar mit der fischigen Chateau-Marmont-Episode von Led Zeppelin, gibt es jedenfalls nicht. Auch keinen konsequenten Postfeminismus à la PorKnow statt PorNo.
Lakonischen Realismus wie in Emile Ajars „“Du hast das Leben noch vor dir“ muss man gar nicht erst suchen; schon gar nicht Atmosphären wie in Millers „“Stille Tage in Clichy“ (Rowohlt) oder Schattenseiten und -weiten wie in Burroughs‘ „“Queer“ (Zweitausendeins, 1978).
Wer wirklich aufrüttelnde Perspektiven will, der ist mit Virgine Despentes eindeutig besser bedient. Als Betreiberin eines Plattenladens, dann Rap-Sängerin und Masseuse lernte sie unendlich viel über Angebot und Nachfrage, bevor sie in „“Baise-moi – Fick mich“ (Rowohlt, ursprünglich „“Wölfe fangen“) auch stilistisch in die Vollen ging.