In Koblenz, wo es viele Burgen und keine Szene gibt, wohnen KEN, BLACKMAIL und SCUMBUCKET als Rock’n’Roll-Pionierfamilie

Wo die Welt am schönsten ist, wuchert der größte Trübsinn: Zwischen Frankfurt und Köln klafft ein Loch, durch das viele Menschen gerne mit dem Zug fahren, weil die Aussicht so schön ist. Rhein und Mosel treffen sich, Eitel, Hunsrück, Westerwald und Taunus. Es gibt Weinfeste, Rad- und Wanderwege, kommentierte Burgführungen. In Koblenz gibt es sogar Rock-Konzerte, in der Rhein-Mosel-Halle. Nena war neulich da, es war voll. Und Helge Schneider. „Der kommt wenigstens noch“, seufzt Aydo Abay, als ob das ein Truppenbesuch in einer Krisenregion gewesen wäre. Abay wohnt seit drei Jahren in Koblenz, was lange genug ist, um es dort schlimm zu finden: „Ich habe immer das Verlangen, irgendetwas zu tun, aber— es ist so ruhig hier.“

Allerdings ist Aydo Abay nach Koblenz gezogen, weil er hier in einer sehr lauten Rock’n’Roll-Band singt. 1994 hatte er, als Schüler in Waldbröl bei Köln, auf eine Anzeige in der Zeitschrift „Visions“ geantwortet und die Band Blackmail gefunden. „Was für Metal-Wichser!“ habe er bei den ersten Proben gedacht, aber alles wurde gut. Blackmail gehören jetzt zu den beliebtesten Live-Bands Deutschlands, haben einen Major-Vertrag und Blüten getrieben. Gitarrist Kurt Ebelhäuser toutt seit Jahren mit dem Trio Scumbucket, Abay hat vor kurzem Ken gegründet, wo wiederum die komplette Scumbucket-Besetzung mitspielt. DazerdoreaL das Elektronik-Projekt von Abay und Blackmail-Bassist Carlos, hat sich eben aufgelöst, es gibt noch mehr. „Blackmail ist die Mutter, und das sind die Bastarde“, erklärt der Sänger griffig. Ein Rock-Standort am Hintern von Rheinland-Pfalz.

Deshalb hat Koblenz noch lange nicht das, was man ohne Nachdenken „Szene“ nennen könnte. Der Rock’n’Roll lag hier nie auf der Straße, sondern nur in den Köpfen der paar Musiker, aus denen die Bastard-Familie besteht. Um da rauszuwachsen, brauchte er ein Biotop: das BluBox-Studio in Troisdorf bei Köln, eine dreiviertel Autobahnstunde von Koblenz entfernt, Inhaber Guido Lucas, der deutsche Steve Albini (sagt man). Lucas hatte das Blackmail-Demo gehört und wollte die Band für sein Indie-Label haben. Nein, sagte ihr damaliger Manager. Später rief Bassist Carlos heimlich bei Lucas an: Klar wollten sie. „Die BluBox war so wichtig für das Koblenz-Ding, weil man hier für wenig Geld in Ruhe rumprobieren und Demos machen konnte“, sagt Guido Lucas. Die neue Platte von Scumbucket („Aficionados“, bei Nois-O-Lution) und das Ken-Debüt („Have A Nice Day“, bei WEA) hat er schon deshalb produziert, weil er in beiden Bands fester Bassist ist. In den Clan eingeheiratet.

Wenn er an Wochenenden nicht auf Tour ist, nimmt er in der BluBox weiter die Punkbands vom Land auf, die hinterher bar bezahlen.

„Es ist vielleicht gar nicht schlecht, dass Blackmail in Koblenz sind“, resümiert Lucas, „dort sind sie die Könige. In Köln wären sie eine Band unter vielen.“ Das Kollektiv wird noch häuslicher werden, denn vor kurzem wurde in einem sonnigen Häuschen die Koblenz-Dependance der BluBox eröffnet, eine exakte Kopie. Dann muss nur noch Lucas fahren. Und Aydo Abay freut sich schon auf die kommende Doppelbelastung, wenn Ken touren und Blackmail mit der neuen Platte anfangen. „Super“, sagt er. „Mir ist oft langweilig.“

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