In der Sprache, die Sie verstehen
Die drei deutschen Songwriter Tom Liwa, Tilman Rossmy und Berd Begemann veröffentlichen neue Alben - drei Typen, drei Herangehensweisen
Okay, das ist die Situation: Drei Songwriter veröffentlichen fast zeitgleich ihre neuen Alben. Alle drei sind in dem Alter, in dem auch wirklich der blödeste Langzeitstudent schon lange nicht mehr an einen erfolgreichen Abschluß glaubt. Alle drei haben Schaffenskrisen überstanden, Bands aufgelöst oder Rausschmisse von Plattenfirmen überlebt, kurz: Alle unangenehmen Aspekte des Musikerdaseins sind ihnen inzwischen wohlbekannt.
Alle drei veröffentlichen ihre Platten bei kleinen Labels, aus praktischen Erwägungen. Trotzdem rekrutiert sich ihr Publikum nicht mehr nur aus der Stammkundschaft einschlägiger Bars. Alle drei legen eigene Entwürfe eines deutschsprachigen Songwriter-Pop vor.
Da ist Tom Liwa von den Duisburger Flowerpornoes, der großformatige Epen schreibt und weiß, wie wahrhaftig ein einzelner Satz sein kann, der aber auch weiß, daß damit lange nicht alles gesagt ist. Tilman Rossmy hingegen hat sich einem countryesken Song-Minimalismus verschrieben, in dem ein Bild reichen muß, die Erfahrung einer komplexen Situation zu erfassen. Und schließlich ist da Bernd Begemann, der mit ernsten Schlagern und lustigen Chansons die Welt verstehen und vereinnahmen will.
Drei Songwriter, drei Erscheinungen. Tom Liwa quängelt auf der Bühne schon mal übers Publikum oder erzählt, wie ungern er gerade in dieser Stadt auftrete. Aber seine Abwehrhaltung kann dann auch der Aufgeschlossenheit weichen: Im Interview kommt er über seine Figuren und ihr Verhältnis zur Welt zu sich und dem seinigen. Wenn er will. Rossmy ist der Simple Man, der einem Wort wie „Authentizität“ auch in den 90er Jahren keine Skepsis gegenüber aufbringen möchte. Er ist lakonisch, doch niemals launisch. Weil er es so will. Und ob Bernd Begemann will oder nicht, er ist stets die Redemaschine – auf der Bühne wie im Leben. Weil sein Leben die Bühne ist.
„Das Arschloch, das bin auch ich“, sagt Tom Liwa im Gespräch. Auf dem neuen Flowerpornoes-Album „Ich & Ich“ wimmelt es von Arschlöchern, es geht um Betrug im Kleinen, also dem an Freunden und sich selbst, und es geht um Betrug im Großen, etwa den, den Popstars an ihren Fans begehen können.
Es gibt einen guten Grund, weshalb sich Liwa jetzt den ekligen Seiten des Menschen widmet. „Mit der letzten Platte wurde ich in die Rolle des Kummerkasten-Onkels gedrängt, der für alles einen Rat weiß.
Das hat mir Vorteile gebracht, aber viele Leute hatten ein Bild von mir, das überhaupt nicht stimmt.“
Zum besseren Verständnis eine kurze Einführung in die Geschichte der Flowerpornoes. Lassen wir den frühen Teil und die 80er Jahre, als sie mit Folk-Pop britischer Prägung brillierten, mal außer acht. Nachdem die Band lange auf Eis gelegen hatte, veröffentlichten sie 1993 „Mamas Pfirsiche (für schlechte Zeiten)“ – ein Comeback-Album, das vom Ankommen handelte. Liwa sang über Familie, Natur und sein Zuhause. Sehr nüchtern bisweilen, aber auch mit krudem Humor- passend zum Titel gewährte man auf dem Cover Einblick in das Dekollete einer Dame. Ein Jahr später erschien „Red‘ nicht von Straßen, nicht von Zügen…“, in dem es um Verlust, Verzweiflung und Stolz ging, weshalb Liwa, wie oben beschrieben, oft als Krisenmanager herhalten mußte. Obwohl er kein Rezept gegen Schmerz anbietet.
Über die Jahre wurden die Flowerpornoes im Sound immer üppiger. Doch ihr Trademark, ein sprödes melodiöses Rauschen, haben sie ins Jetzt gerettet. Auf „Ich & Ich“ gibt es Bläsersätze wie bei Van Morrison, von dem auch der Song „Sweet Thing“ gecovert wird, und oftmals pflügt sich Liwas Gitarre noch tiefer, im Stile Neil Youngs, durch die Songs – die Rissigkeit bleibt. Das ist gut, denn so entspricht der Sound den Worten, die er begleitet Damit kein Mißverständnis aufkommt: Liwas Texte sind keineswegs vage, aber sie lassen verschiedenste Lesarten zu, ja fordern sie in ihren besten Momenten geradezu. Weil ein Thema immer ein anderes bedingt, und weil ein Mensch immer mehr ist als seine Art, sich in der Kneipe ein Bier zu bestellen. Im Eröffnungsstück „Stadion“ wird Pop-Stardom lächerlich gemacht, unter anderem. Liwa: „Es läßt sich aber auch als Metapher für all jene verstehen, die ständig nur über ihre Situation jammern, aber gleichzeitig wissen, daß sie sie deshalb nicht ändern, weil sie dann eine Menge Privilegien aufgeben müßten.“ „Ich & Ich „handelt von alltäglicher Schizophrenie, einer der besten Songs heißt „Ich will nunmal irgendwohin“. Doch Liwas Helden, die durch ein monströses Labyrinth aus Spiegeln und Glaswänden gescheucht werden, verharren fast immer auf einer Stelle. Eine düstere Platte mit hellen Melodien.
Tilman Rossmy gibt Interviews auf dem Hamburger Fernsehturm. Ich war schon 15 Jahre nicht mehr hier oben, er im letzten Jahr. „Da war hier eine Disco, wo ganz normale Leute waren. Die Stimmung war echt dufte.“ Ich überlege, wann ich das letzte Mal auf einer echt duften Party war. – Der neue Rossmy: jeder Satz eine Geste, die klarmachen soll, daß es ihn einen Dreck interessiert, ob er den richtigen subkulturellen Code getroffen hat.
„Ich habe mich irgendwann entschieden, keiner Szene mehr anzugehören“, erklärt er. „Früher wollte ich es unbedingt. Erst war ich bei den Hippies, bei den Punks, schließlich in dieser Indie-Szene. Aber nie war ich wirklich irgendwo zu Hause.“ Was uns zu seiner ersten Platte unter eigenem Namen bringt: „Willkommen Zuhause“. Sie wurde von Bernd Begemann warm produziert, zitiert Country, becirct mit Harmoniebögen – und klingt frei von Verzweiflung. Der 37jährige meint: „Die spielt in meinem Leben keine Rolle mehr. Es gibt verschiedene Quellen des Schmerzes. Ich hab ihn oft selbst erzeugt, das muß nicht sein.“
Doch Rossmy muß den Blick in die Vergangenheit nicht scheuen. Immerhin hat er mit Die Regierung einige der besten deutschen Platten herausgebracht. Erst in Essen, später in Hamburg entwickelte er über zehn Jahre eine Songform, in der das knappe Registrieren von Emotionen und Objekten komplexe Zusammenhänge offenlegt Auch bei „Willkommen Zuhause“, für dessen Feldstudien man ihn mit Notizbuch durch Hamburgs Cafes streifen sah, greift er auf die alte Formel zurück. In „Bodycount T-Shirt“ skizziert er nur ein paar Gegenstände, um das Befremden zu fassen, das ihn in der Wohnung einer Frau befällt, mit der er die Nacht verbringt Doch „Romy Schneider Augen“ zeigt, wo die Grenzen liegen. Die Augen der Schneider sind ein schales Bild, so wie der Mund von Brigitte Bardot – überlassen wir die Körperteile der Stars doch lieber der Yellow Press.
Zu Bernd Begemann hat in Hamburg beinahe jeder eine Meinung. Das liegt daran, daß er sich überall aufhält und mit jedem spricht – nicht unbedingt die schlechtesten Eigenschaften. Seine Feinde nennen ihn Selbstdarsteller, seine Freunde sagen, er sei amüsant. Da wünscht man ihm doch glatt noch ein paar mehr Feinde. Denn wer will schon amüsant sein? Die Selbstdarstellung aber ist Teil seines Konzepts als Entertainer: „Ich habe meine Kunst mit meinem Leben vereint“
Manchmal fällt’s einem schwer, die Qualitäten von Begemann herauszustellen, und er selbst ist schuld daran. Weil er unentwegt sabbelt. Wenn auch – ganz Profi – mit schnittiger Akzentuierung. Viel Schwachsinn plumpst aus seinem Mund. Wer etwa seine neue Platte kritisiert, erfährt, daß man noch nie guten Sex gehabt habe – sonst würde man sie lieben. Da gehen all die intelligenten Dinge, die er sagt, unter.
Zum Beispiel über Talkshows: „Bei den Schriftzügen sind entweder Vor- oder Nachname größer gesetzt. Bei Frauen ist es immer der Vorname, und bei Arabella‘ fehlt der Familienname gänzlich. Bei Männern ist es der Nachname. ,Fliege‘ verzichtet sogar völlig auf den Vornamen.“ Begemann, der für den NDR eine Spät-Show aus seiner Küche daheim produziert, ist in seinem Element. Er bewundert Hans Meiser für seine athletische Leistung als Moderator und schätzt an der Sendeform das demokratische Moment. Aussage eins stimmen wir zu, Nummer zwei – hüstel.
„Jetzt bist du in Talkshows“ heißt denn auch das neue Album – Pop mit Reihenhaus-Charme. Begemann will die Welt der Fußgängerzonen und Eiscafes verstehen. Die Kritik, daß er sich moralisch über seine sich als spießig verratenden Helden erhebe, wehrt der Volkstribun jedoch ab: „Niemand ist mehr drin in den Songs als ich. Und manchmal bin ich neidisch auf die, die ich besinge.“
1984 kam Bernd Begemann von Bad Salzuflen nach Hamburg. Mit Die Antwort stand er der besten Pop-Band der Stadt vor. Ihr Debüt war ein Knaller, die Rock’n’Roll-Versuche, die er in neuer Besetzung für eine zweite Industrie-Firma unternahm, hinterließen gemischte Gefühle. Seine Solo-Platten veröffentlicht er auf dem eigenen Label, die Arbeitsweisen der Majors sind ihm mehr denn je suspekt.
„Jetzt bist du in Talkshows“ produzierte er mit dem gleichen Ensemble, mit dem auch Rossmy arbeitete. Die Mischung aus Tanztee-Elegien, romantischen Hymnen im Stile Burt Bacharachs und Beat-Schlagern hat nur wenige Aussetzer. Und dem Künstler mangelt’s nicht an Zuversicht: „Gegen meine Platte klingt die neue von Oasis schäbig.“