In der Kurzgeschichtensammlung „Cuba Linda“ erzählt HANS HERBST, wie es in Castros Land wirklich zugeht
Als Congaspieler kam er viel herum. Seinen Geschichten attestierte schon Jörg Fauser, der Hans Herbst noch als Weinhändler in München kennenlernte: „Es geht um den Augenblick der Wahrheit“ Außerdem geht es darum, zu unterhalten wie ein guter Musiker: nicht mit Kapriolen, sondern mit Bewegung und Spannung, mit Stille und Drama. Die Kontrapunkte von Thelonius Monk, der sichere Geschmack von Coltrane, der Soul von Billie Holiday – bei Herbst sind sie zu lesen.
Auch der Spaß kommt nicht zu kurz. Der Tagedieb und Gauner Krebs, ein Geschöpf früher Shortstories, könnte ein Blutsbruder von Herbst sein. Beide kennen sie die Gassen von Paris, besonders die dunklen und stillen. Und so dreidimensional ist denn auch der Auftakt: Krebs flüchtet durch Gassen und Hinterhöfe, bewaffnete Verfolger im Nacken, kommt in eine Nebenstraße, eine tote Nebenstraße, fürchterlich, rennt in den einzigen Laden, ein Restaurant, nobel, äußerst nobel, Tischdecken bis zum Fußboden, und genau dahin flüchtet er: Unter einen Tisch. „Zwei bei Tisch“ heißt die Story, und zwar, weil Krebs nicht allein ist, ein Paar Beine leistet ihm Gesellschaft. Und die ist wie der Cognac in dem Restaurant, vom feinsten.
Krebs wie Herbst kennen Paris zur Genüge, nicht nur Gassen an der Seine, sondern auch tristere Einrichtungen, Ecken, wie sie in keinem Reiseführer vorkommen. Kostprobe? Die erste Zeile aus „Rue de Trois Portes“: „Krebs saß auf dem Bett und spielte mit der Maschinenpistole.“ Sowohl Paris als auch den Kleinkriminellen hat Herbst nun hinter sich gelassen: „Krebs ist nicht mehr auf Tour. Er ist in die Jahre gekommen und hat jetzt seinen eigenen Kühlschrank.“ Ein Vagabund muss eben weiter, im Leben wie im Erzählen – das wusste nicht nur „Der Mann in der Schlangenhaut“ („Siesta“, 1984, Albrecht Knaus Verlag) ganz genau, das weiß auch der Schriftsteller der schon auf dem Bau, im Hafen und beim Film gejobbt hat.
Geblieben ist der Ton, den Herbst anschlägt. Lakonisch, sparsam, scheinbar mühelos in die Stille hinein improvisiert. Und noch etwas ist geblieben, wird sogar immer besser: der Blick auf die Orte und Menschen, die kein Tourist sieht So auch in „Cuba Linda“ (Abera Verlag), seinem fünften Band mit Erzählungen. Herbst kennt den „Buena Vista Social Club“, den Kuba-Boom. Doch „El Cumbanchero“ und Sabu Martinez tönten schon vor 20 Jahren in „Zwei bei Tisch“, der ersten Story in „Der Cadillac ist immer noch endlos lang und olivgrün“ (Verlag Günter Ohnemus). Jahre bevor das Global Village nur einen Klick entfernt war und im Worldwide Web vereinigt, trampt der gelernte Autoschlosser kreuz und quer durch Europa, bleibt in Paris hängen. In den Cafes von La Pigalle trainiert er den Blick, in den Bars von Bahia/Brasilien, auf beiden Seiten vom Tresen, schärft er die Sinne. Den Geschichten merkt man es an. Stilfest und rhythmisch wie bei einem Congatrommler, mit der Dramatik eines Filmbeleuchters, der Selbstverständlichkeit von einem, der Menschen in den Stehkneipen und Häfen dieser Welt kennen, in Hotels und Haciendas lieben gelernt hat. Als Herbst 1991 durch Kuba streift, glaubt er kaum, was er da zu hören bekommt: die Vielfalt an Klängen und Rhythmen -aber auch die zutiefst schockierenden Geschichten der Menschen, ihre Ängste, ihr täglicher Horror. „Das Kuba von Fidel Castro ist eine knallharte Diktatur mit einer barbarischen Justiz. Meine Stories versuchen, einen ganz kleinen Ausschnitt davon zu zeigen. Mir geht es nicht darum, nun mit den Wölfen zu heulen, von wegen die Mulattas, und wie schön ist Kuba und so weiter. Mir geht es um die Kehrseite der Medaille, und das ist die Diktatur. Die kubanische Musik besteht nicht nur aus Mueiia Vista…‘ und dem, was daranhängt, sie ist ungeheuer reich, wesentlich vielseitiger, als man sich das hier vorstellen kann.“
Der Betriebszersetzer Jörg Fauser ist nicht mehr unter uns, doch immerhin fasste er schon vor 20 Jahren zusammen: „Genau darum geht es: um Augenblicke auf der Kippe.“