In den Hinterhöfen der Melancholie
Sven Regener, Songschreiber von Element Of Crime hat wieder die deutsche Seele sprechen lassen. Und denkt laut über den Reiz der anderen Sprache...
Angenommen, im Jahr 3000 ist das ganze Abendland durch einen Atomkrieg zerstört und die Forscher haben keine Zeugnisse aus unserer Zeit – außer einem Album von Element Of Crime. Sein Titel lautet „Die schönen Rosen“ das Erscheinungsjahr: 1996. Was müssen die bloß für ein Bild von uns bekommen! Der Sänger malt sich das Gesicht seiner Liebsten auf die Hand und faltet sich daraus „ein schönes Tier“. Er erzählt von Katzen in Hinterhöfen und stummen Häusern. Er sieht den „Himmel, wie gemalt“. Er fragt nach der „Flasche, die uns wärmt, wenn der Morgen graut“ – und es ist gar nicht mal ausgeschlossen, daß er damit in Wahrheit eine Wärmflasche meint Die Wissenschaftler müssen davon ausgehen, daß es im späten 20. Jahrhundert weder Computer noch ISDN-Leitungen gab und auch keine 30 Fernsehkanäle. Sie werden nie erfahren, daß das Wort „Katze“ – Alf läßt grüßen – genauso oft mit „Mikrowelle“ in Verbindung gebracht wird wie mit „Hinterhof“. Sie werden meinen, daß das Berlin von ’96 aussah wie ein Puppenstädtchen aus einer Eichendorff-Novelle.
Was nun allerdings ziemlich daneben ist – gerade jetzt, an diesem Sommernachmittag, im zugedröhnten Kreuzberg. Zwar heißt die Kneipe, in der Sven Regener seit Jahren immer sein Bier kippt, „Kloster“. Aber der Lärm macht alle Einkehr unmöglich: Die U-Bahn rattert vorbei, die Feuerwehr-Sirene jault, aus der Kneipe scheppern abwechselnd Punk und Techno. Wo hat Regener bloß den gemalten Himmel her?
„Die Welt in meinen Texten ist eine seltsame Welt“, gibt er zu. „Aber es ist doch langweilig, die Umgebung zu beschreiben, in der wir wirklich leben. Ich suche statt dessen bizarre, psychedelische Momente, in denen sich auf einmal die Perspektive verschi—„
Akustische Zwangspause. Wir sitzen draußen, die U-Bahn dröhnt vorbei, man kann nichts verstehen. Und Regener braucht sich auch nicht weiter zu rechtfertigen. Die Intelligenteren des Jahres 3000 werden vielleicht auch feststellen, daß durch das altertümelnde Vokabular dieser Platte feine Risse hindurchschimmern. Liebe ist bei Regener nicht einfach nur Liebe, sondern etwas Beängstigendes, das ihn „zu beschützen droht“. In „Nichts mehr wie es war“ geht es ums Thema „Älter werden und die neue Popmusik nicht mehr verstehen“ – eine Satire auf abgeklärte Erwachsene, die zugleich selbst sehr abgeklärt ist. Und das erste Alleinsein mit einer Frau hat in „Mit dir allein“ gleichzeitig euphorische und klaustrophobische Züge. Alles hat mehrere Gesichter, nichts ist, wie es scheint Wenn das mal keine zeitgemäße Musik ist Das Fin de siecle ist bei Element Of Crime nicht fiebrig, sondern schillernd melancholisch: „Wir sind keine neurotische Band. Wobei ich eigentlich gar nichts gegen pubertäre Neurosen habe“, sagt Regener. „Aber bei uns ist alles eingebettet in eine Art von Schönheit, die wir uns im Laufe der Jahre erspielt haben. Unsere Musik ist ja geradezu pervers ruhig.“
Fünf Jahre ist es her, seit die Band ihren Stammplatz im Berliner Untergrund aufgab und sich mit dem Album „Damals hinterm Mond“ genau dorthin begab: hinter den Mond einer deutschen Songlyrik, die zunächst fremd und seltsam klang. Nicht Kartoffel-Rock, nicht Diskurs-Pop, auch kein neuer deutscher Schlager statt dessen eine postmoderne Variante des europäischen Kunstliedes. Wie eine Milchglasscheibe wurde die neue, lyrische Sprache vor die Welt geschoben. Die Details kann man durch so eine Scheibe schlechter erkennen, die Umrisse um so deutlicher.
Die Einstürzenden Neubauten hatten, ebenfalls von Berlin aus, in den 80er Jahren alles kunstvoll in Stücke gehauen. Nun kamen die Elements und erwiesen sich als Aufbauer, Zusammensucher, potentielle Klassiker. Geheimrat Regener: „Natürlich will man auch etwas machen, das nicht veraltet. Wir spielen jetzt über zehn Jahre zusammen und stellen fest, daß einige Songs doch offensichtlich ziemlich robust sind.“
Auf das deutsche Debüt folgten die Alben „Weißes Papier“ (’93) sowie ’94 „An einem Sonntag im April“. Das Terrain wurde gesichert und ausgestaltet Die Musik wurde immer ruhiger, chansonhafter, die Gitarre immer weniger verzerrt Der Applaus in den großen Feuilletons schwoll an: Ist denn diese Musik nicht herrlich literarisch? Und dabei so authentisch! Schon wahr, die Texte sagten immer Ich – sind sie für den Schreiber zum Ersatz-Tagebuch geworden?
Sven Regener schüttelt heftig seinen hanseatischen Dichterschädel: „Wenn ich etwas von mir persönlich mitteilen möchte, schreibe ich einen Brief.“ Ein schöner Song sei, so Regener, „wie eine Landschaft, in der man spazieren gehen kann, wie ein warmes Bad, in das man sich reinlegen kann – nicht bloß etwas, das auf etwas anderes verweist, nicht bloß ein Brief oder ein Telegramm. Ein Song ist ein Song ist ein Song… Er muß ganz allein bestehen können, auch vor Leuten, die kein Wort verstehen, weil sie vielleicht der Sprache nicht mächtig sind.“
Ein schönes Plädoyer für die Autonomie der Kunst. Was bleibt uns da noch zu sagen? Die Sterne funkeln hell im Paralleluniversum von Element Of Crime. Bloß einer ist seit dem letzten Album erloschen: Der alte Bassist Paul Lukas, genannt Veto, wurde durch Christian Hartje ersetzt – „wir hatten keinen Draht mehr zueinander“. Lukas erinnert sich nicht gerade gern an den oft auch egozentrischen Regener. Mit seinem Solo-Debüt „The Fear Of A Singer“ wagt er einen Emanzipationsversuch – doch törichterweise erscheint sein Album zeitgleich mit „Die schönen Rosen „.
So etwas heißt sonst „Synergie-Effekt“, aber Lukas hat mit manieriert-beschwingten Balladen und Folk-Chansons keine Chance gegen Sven Regeners melancholische Wucht. Dabei ist an seiner Musik wenig zu bemängeln, doch bei den Texten kleistert er allzu großzügig mit geliehenen Gefühlen und kleinen Nachdenklichkeiten aus dem großen Poesie-Album: „Send her roses to the park/ She’s still waiting in the dark“, reimt er etwa, und: „I always loved her tiny hat.“ Aufgepaßt, Kitsch droht! Brav und keine Konkurrenz für die sprachliche Brillanz von Regener.
Nach jahrelanger Abstinenz hat der überraschenderweise nun wieder ein englischsprachiges Stück aufgenommen: „Tumbling Tumbleweed“, ein Bob-Nolan-Song aus den 40er Jahren, den der Produzent David Young für ihn ausgegraben hatte. Wenn man hört, wie Sven, der deutsche Chansonnier, vom letzten Album der Smashing Pumpkins schwärmt („undogmatisch, kraftvoll, beeindruckend“), könnte man außerdem meinen, die Band kehre demnächst wieder zum anglo-amerikanischen Rock zurück.
„Ich habe neulich mal wieder unsere alten Platten gehört“, sinniert Regener. „Das war zum Teil schon erstaunlich grungemäßig, sehr schwere Gitarren. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß wir irgendw- – -„
Der Rest wird von der U-Bahn verschluckt Und aus dem „Kloster“ donnert Techno. Warten wir ab, was noch passieren wird, in der Zukunft hinterm Mond.