In Amerika ist Slam-Poetry bereits eine neue Disziplin. Erste deutsche Versuche glänzen vor allem mit gutem Willen
Als wir aus dem Taxi steigen, fragt mich Chris, ein New Yorker Fotograf, ob ich mich in der Adresse wirklich nicht getäuscht habe. Ich zeige ihm den Zettel, auf dem ich die Anschrift notiert hatte. Er nickt stumm und zeigt in die Richtung, in die wir gehen müssen. Die Gegend, in der uns der Taxifahrer abgeladen hat, wirkt alles andere als einladend. Die Straßen menschenleer, die Geschäfte verschlossen und verriegelt, das einzige Deli weit und breit ist mit Eisenrollos blickdicht gesichert.
„Hey, liebe Jungs und Mädels, aufgepaßt“, tönt es uns entgegen, als wir die Tür zum „Nuyorican Poet’s Café“ öffnen. „Wir kommen nun zu dem nervenaufreibenden Halbfinale, bei dem die letzten Trantüten endlich rausfliegen!“ brüllt eine junge Frau ins Mikrophon. Sie trägt ein enges Oberteil, eine schwarze Samthose und stellt sich gleich mehrmals als Shut-Up-Shelly vor. Das Publikum im hoffnungslos überfüllten Saal brüllt, pfeift und johlt.
Was hier im New Yorker „Nuyorican Poet’s Café“ abgeht, ist ein sogenannter Poetry Slam: Schriftsteller, Dichter und solche, die sich dafür halten, treten im Wettstreit gegeneinander an. Eine kleine Jury, manchmal auch nur der Applaus des Publikums, entscheidet darüber, wer in die nächste Runde kommt. Zu gewinnen gibt es entweder Geld, eine Veröffentlichung in einer Literaturzeitschrift oder manchmal gar einen Buchvertrag.
Mit Kerzenschein-Poesie hat dies nichts zu tun – schon eher bietet sich da der Vergleich mit einem Pop-Konzert an. Die Beiträge der Slam-Teilnehmer, oft Rap-Musiker oder Performance-Künstler zwischen 15 und 60 Jahren, sind entsprechend offensiv und auf Entertainment ausgerichtet Politische Statements, Terroristengelüste oder aber Pamphlete gegen Vergewaltigung werden auf der Bühne bedeutungsvoll rezitiert, hinausgeschrien, vom Blatt gelesen oder improvisiert Beschauliche Innerlichkeitstexte über Einsamkeit oder Eifersucht etwa sind selten und meist unerwünscht. Sie finden ihren Platz nur, wenn sie mit einer Portion Ironie veredelt sind. „I tried to commit suicide“, trägt ein junger Puertoricaner vor, „but I hate committments.“ Damit qualifiziert er sich für die nächste Runde.
Auf Papier gedruckt, genügen die gesprochenen Texte oft nicht literarischen Qualitätskriterien. Was nichts macht, denn dafür sind sie primär auch gar nicht gedacht In den USA sind die Slams – und Poetry im allgemeinen – zur Zeit erstaunlich populär. Allein in New York gibt es schon über 50 vergleichbare Lokalitäten, die Slams veranstalten. Die Popularität geht mit dem Revival der Beatniks und der Beat-Generation Hand in Hand. Der denkende Dichter ist heute als Image-Figur wieder absolut cool. Und schon sendet der Musik-Kanal MTV – angelehnt an die unsägliche „Unplugged“-Masche eine Poesie-Reihe mit dem Namen „Spoken Words“.
In Deutschland gibt es bislang nur wenige Veranstaltungen, die mit den US-Slams vergleichbar wären. Deshalb grenzt es schon fast an Tollkühnheit, einen Sammelband mit dem Titel „Poetry! Slam! – Texte der Pop-Fraktion“ (Rowohlt) herauszugeben. Gleich im Vorwort geben die beiden Herausgeber, Andreas Neumeister und Marcel Hartges, offen zu, daß nicht „die faktische Slam-Teilnahme“ der abgedruckten Autoren entscheidend war, „sondern die Slam-Kompatibilität“. Darunter sind „Gegenwartsbezug, Sprachspiel, Lustprinzip und Unmittelbarkeit“ zu verstehen.
Es scheint, als hätten sich die Herausgeber mit der offenen Auslegung von „Slam-Poetry“ einen Freifahrtschein ausgestellt um eine Anthologie mit jungen deutschen Autoren veröffentlichen zu können. Tatsächlich fragt man sich beim Durchblättern des aufwendig gestalteten Bandes, was einige Beiträge mit Slam-Poetry gemein haben. Tocotronic posieren als Models, DJ Alec Empire, Max Müller von Mutter und Rocko Schamoni liefern Texte, Jutta Koether von „Spex“ präsentiert Literatur – also jede Menge Musiker nebst Musikjournalisten.
Die Anthologie gibt dennoch einen guten Überblick, was zur Zeit in der deutschsprachigen Literatur passiert. Man hat auf den langweiligen Mainstream verzichtet und liefert so ein heterogenes Bild aus Prosa, Gedichten, Tagebuchnotizen, Briefen, Entwürfen. Den Herausgebern muß man zugute halten, daß sie Autoren unterschiedlicher Szenen und Generationen kreativ nebeneinander gestellt haben auch wenn einige Autoren auf einem New Yorker Poetry-Slam wohl arg deplaziert wären.