In Aline Kominsky fand ROBERT CRUMB seine perfekte Partnerin. Und in Frankreich sein Glück. Das Resultat gibt’s in einem neuen Buch.
Hier treffen Extreme aufeinander: Aline Kominskys eher von der Höhlenmalerei oder Art Brut beeinflusster Naivduktus und das Robert Crumbsche Ingenium sind so verschieden wie Paradies und Fegefeuer – oder eben wie die beiden Charaktere im richtigen Leben: die dralle, penetrante, egozentrische und so lebenstüchtige Aline mit aerobicgestähltem Körper und einem dicken „Arsch aus Beton“ und der introvertierte, angstneurotische und krankhaft libidinöse Soziopath, der potthässliche „Nudelmann“, der außer einem ehrfurchtgebietenden Gemächt angeblich nicht viel zu bieten hat. Und den abgesehen von seiner Kunst und den heißgeliebten 78er-Schallplatten zumindest intellektuell nicht viel zu interessieren scheint. Die Menschen um ihn herum jedenfalls nicht.
Bildergeschichten gezeichnet hat Robert Crumb wohl, seitdem er einen Stift halten konnte, aber in den frühen Sechzigern nahm sein artifizieller Kosmos langsam Formen an, stellte er es nach und nach mit den Protagonisten voll, die ihn zunächst zur Ikone von Underground und counter culture machen sollten, später zum modernen, sogar musealisierten Klassiker: den durchtriebenen Guru Mn Natural, den archetypischen WASP Mr. Whitemen, den geilen Gnom Mr. Snoid, Bill the PilL Dick Nose, Dirty Dog, das jüdische Cowgirl Gloria Nord, Cheesis K. Reist – und natürlich vor allen anderen Fritz the Cat, den großmäuligen, allzeit rolligen Kater, den Crumb jahrelang durch kürzere und längere Strips jagte.
Nach der Scheidung von seiner ersten Frau lernt Crumb Anfang der 70er Jahre Aline Kominsky kennen, die ihn von Freunden vorgestellt wird als die Fleischwerdung des Typs Vollweib, die er in all den Jahren in seinen pathologischen Papierfantasien vergöttert, besungen, begeifert hat Eine kuriose und schon mehr als latent sado-masochistische Liebesbeziehung beginnt, die merkwürdigerweise bis heute hält, sogar durch eine Ehe sanktioniert wurde und eine Tochter hervorgebracht hat – und die seit 1974 unregelmäßig, aber doch relativ stetig im Comic begleitet, das heißt analysiert und karikiert wird.
In der „Dirty Laundry“-Serie zeichnet und lettert jeder die eigene Person, nur gelegentlich wechselt man die Identität, um den anderen noch besser verspotten zu können – oder verbessert Bob Alines brutales Gestrichel, wenn das mal wieder allzu statisch oder perspektivenverkehrt anmutet. Was in den zweieinhalb Jahrzehnten dabei herausgekommen ist, liegt nun auch auf Deutsch als „Schmutzige Wäsche“ (bei Zweitausendeins, von Harry Rowohlt übersetzt) vor: eine Art Zwiegespräch der beiden, eine Paarbiografie, eine künstlerische Selbstvergewisserung und gleichzeitig wohl eine Art Gesprächs- und Psychotherapie.
Denn gelegentlich stellt sich schon die Frage, was aus diesem Irren geworden wäre, wenn ihm ein gütiger Gott nicht soviel Zeichentalent geschenkt hätte, das ihm stets erlaubte, seine Obsessionen und Manien mit dem Stift zu sublimieren oder auch nur abzureagieren. Und was, wenn es nicht Aline gäbe, die sich aus seinen Mordfantasien nichts zu machen und seine gewalttätigen Ausbrüche sogar zu genießen scheint, offensichtlich erst richtig auf Touren kommt, wenn ihr Bob in Ekstase tatsächlich die ganze Hand in den Mund steckt.
Nun muss man das nicht alles glauben, was Crumb hier mit seiner typischen werwölflsch verzerrten Fratze zu tun vorgibt. Aber wer Terry Zwigofls grandiose Dokumentation „Crumb“ gesehen hat, der ahnt, dass da durchaus etwas dran sein muss. Aline kann es mit Gelassenheit nehmen, zum einen hat sie Gefallen an diesem Spiel gefunden, zum anderen wissen beide, dass er ohne ihre Dominanz im Lebenspraktischen aufgeschmissen wäre: „Wenn ich voller Groll bin und das Gefühl habe, in der Falle zu sitzen“, konzediert er denn auch Mitte der 90er Jahre, „muss ich mich daran erinnern, dass ich mit dir leben muss, um zu überleben! Das verstehen nämlich deine Feinde nicht an uns… Sie sehen nur, dass du mich beherrschst und kontrollierst.. Sie verstehen nicht, dass ich mich deiner Fürsorge anvertraut habe—.“
Und ein paar Panels weiter folgt dann eine Liebeserklärung, wie sie jedenfalls ein Crumb nie schöner formuliert hat: „Vielleicht bist du das lebende Beispiel dafür, dass die Menschen nicht nur Sklaven der Naturgesetze sind. Es gibt welche wie dich, die einem angstgebeutelten, ausgesonderten, neurotischen Männchen den Zugriff auf ihren wohlgeformten, robusten, gesunden Körper gestatten!“ Und Alines Antwort ist fast schon erwartbar: „Ich bin bereit wie üblich! Bring mich um!“ Neben der eigenen Perversion gibt es noch ein paar andere, stets wiederkehrende Themen: Alines – und möglicherweise auch Robert Crumbs -Judentum. Crumb hat stets geleugnet, dem jüdischen Glauben anzugehören, und macht sich gerne über Kominskys vermeintlich jüdische Charaktereigenschaften lustig ironisch zwar, aber doch auch immer mit den alten Stereotypen spielend, was ihm gelegentlich den Vorwurf einbrachte, ein verkappter Antisemit zu sein. Es ist aber wohl eher jüdischer Selbsthass, der ihn um treibt, jedenfalls wenn man da Art Spiegelman glauben darf.
Nachdem Crumb mal wieder seitenlang seinen Horror vor den Juden ausgebreitet hat, den letztlich aber auch als Paranoia eines drogenumnebelten Hirns ausweist, lässt er den in diesen Fragen nun untadeligen Spiegelman auftreten – welch ein Trick übrigens, um sich moralische Absolution zu holen! -, und der sieht sich die vorangegangenen Zeichnungen an:
„Pfui Deibel, immer noch diese halbgaren Ergüsse, um zu übertünchen, dass er Jude ist, wie?“ Noch mehr Kopfzerbrecher als das Judentum bereitet Crumb nur noch seine Kunst, und so sind diese Stories vor allem auch ein großangelegter Selbstkommentar, der Versuch, sich beim Zeichnen selbst über die Schulter zu kucken. Bevor Aline und Bob mal wieder aufeinander losgehen, hält er inne: „Wir müssen noch ein paar wesenhafte Sachfragen klären! ™ Sollen wir in diesem Comic wie früher unverblümte Sex-Szenen darstellen oder nicht? Weißt du, wegen dieses Anti-Pornografie-Feldzugs und der ganzen Scheiße…“
Sogar auf die unterschiedlichen Wellen der Rezeption reagieren die beiden, kommentieren schlechte Kritiken, bestärken sich in der Absicht, trotz gegenläufiger Trends „mehr autobiografische Geschichten zu machen“ und diskutieren, wie sie mit dem Ruhm umgehen sollen. „Schmutzige Wäsche“ ist so auch ein faszinierendes Stück Metakunst wie es in diesem Genre sonst selten zu finden ist.