Immer öfter werden Platten zuerst importiert, bevor eine deutsche Firma reagiert. Eine Beleidigung für Zuspätkommer und Listenschreiber.
Wenn die Windmacher von der Näher-zu-dirmein- London- Fraktion mal wieder ungern heimkommen, staunt der gemeine Redakteur: Vinyl-Singles mit Fold-out-Cover, White Wax zu 360 Gramm, B-Seiten oder auch keine, doppelte A-Seiten, aulklappbare Poster und Sättigungsbeilagen, Gratis-Gimmicks und beigelegte Lektüre, Limitierungen unter 100 Exemplaren von völlig unbekannten Bands aus Nottingham oder Ipswich, oft ein Loch in der Mitte – oder sogar nur eine weiße Hülle drumrum wie bei der neuen, tollen, hippen Blur-Single! Schon jetzt ein echtes Sammlerteil!
Da sind wir jedes Mal neidisch, denn in Deutschland gibt es nichts davon, keine Wonnen beim Trödler in Notting Hill, keine Nick-Hornby-Epihanien, nicht einmal das gemeine HMV-Gefühl: Dort stand schon die neue Oasisl Im Gatefold-Cover, mit „Helter Skelter“ live auf der B-Seite! Wer es da nicht macht, der macht es nirgendwo mehr.
Daheim, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, kommen ja immer nur neue Singles von Jeanette, Bro’Sis und No Angels mit der Post, oft auch Enrique Iglesias oder Shakira. Die schlimmste Beleidigung für den Redakteur und Beweis seiner Weltenferne, ja Nichtswürdigkeit ist der Nicht-Besitz einer Platte, die SCHON IM LADEN steht, in einem deutschen Laden womöglich: aus England oder den USA importiert, von so uncoolen Ketten wie „Wom“ oder vom Höker nebenan. Fast wahnsinnig wurde ich, als ich beim CD-Discount Randy Newmans „Bad Love“ kaufen musste,wie zum Hohn klebte ein Stars & Stripes-Bildchen drauf (teuer war sie auch, dabei gab es noch keinen Euro, aber was ist bei Newman schon teuer?). Dann wunderte sich die Plattenfirma Motor über viele Anfragen (na ja: meine vielen Anfragen) und brachte ein paar Wochen später „Bad Love“ ohne Aufkleber heraus. Das kann nicht die Globalisierung sein, die Hans-Olaf Henkel gemeint hat.
Und es wird schlimmer. Hatten wir uns daran gewöhnt, dass Pfeifen wie Puddle Of Mudd mit einiger Verspätung die Kinderzimmer erreichen (warum nicht bloß importieren und für 20 EURO verkaufen?) , so ist es nicht zu dulden, dass ein begnadeter Künstler wie Nicolai Dunger erst als schwedischer „Ex-Fußballprofi“ angepriesen wird, dessen Platte leider nur importiert werden könne, um dann mit einer weiteren Platte regulär ins Programm zu gelangen und mit der übernächsten wieder herauszufallen, derweil die Plattenfirma gönnerhaft ein paar Exemplare verstreut und in Stockholm nachbestellt, nur damit Wochen später doch eine offizielle Veröffentlichung bekannt gegeben wird. Wenn das Album längst rezensiert und kanonisiert, manche meinen: vergessen ist.
im Fall der großartigen Platte“Out Of Season“ von Beth Gibbons und Rustin Man, die im Oktober in England erschienen war, hieß es lange, sie werde erst im nächsten Februar in Deutschland veröffentlicht. Noch Ende November blieb es dabei, weshalb Sie „Out Of Season“ nur selten im Kritiker-Poll genannt finden. Nachdem die Auswahl für das Jahr 2002 getroffen war, erbarmte sich ein Verantwortlicher und datierte die Veröffentlichung auf Oktober zurück. Hier reichte also nicht die Korrektur eines Unfugs – die Geschichte musste komplett neu geschrieben werden.
In den Listen würde auch „Cobblestone Runway“ von Ron Sexsmith fehlen, die nicht nur seit Wochen bei der deutschen Plattenfirma erhältlich war, sondern auch von derselben Firma in die Läden gestellt wurde, um Importe abzufangen. Lediglich auf Rezensionen sollte bis zum nächsten Jahr verzichtet werden, um genügend Zeit für Promotion zu gewinnen, was bedeutet: Der Künstler sollte für ein paar Gespräche nach Deutschland kommen. Das ging aber nicht so schnell. Und so lange sollte diese außerordentliche Platte verschwiegen werden – mithin auch im Jahres-Poll, in der sie durchaus zu den ersten 25 Alben gehört.
Dass etwa die Kooperation von Nicolai Dunger und Will Oldham (siehe Platten-Rückblick) keinen deutschen Vertrieb findet, mag ja angehen. Früher betreute Rough Trade solche Fälle, heute tut es manchmal noch Zomba – doch Zomba in Herne verschwindet gerade im BMG-Imperium. Cargo in Wuppertal übernimmt viele hoffnungslose Fälle, vor allem aber das vorzügliche amerikanische Label Secretly Canadian. Das wirkt in Chicago, woher bekanntlich auch Wilco kommen, von deren „Yankee Hotel Foxtrot“ es ein Doppel-Vinyl gibt.
Ich sag mal so: Wer das besitzt, der muss auf die Windmacher und Wichtigtuer aus London nicht neidisch ein. Bis die mit einer Vinyl-Single ankommen, die nach nichts aussieht. Die Band heißt The Libertines, der Song „What A Waster“. Das ist dann einfach nur noch Hass, Hass.Hass.