Im Tal des Kitsches
Einmal im Jahr feiert man in Berlin die Country-Music-Messe - statt Rodeo und Lagerfeuer gibt es Odin und "Traumfänger" für 39,90 Euro.
Mit rotem Kopf und außer Atem steht ein Mann am Bahnsteig. Schaut suchend nach links und rechts. Rückt seinen Stetson zurecht und grummelt. Es kommt kein Zug. Und das in Berlin, am Alexanderplatz. Ein wenig später: schon wieder derselbe Typ. Er schaut verächtlich in Richtung des Reporters, wieder verschiebt er seinen Hut – er scheint an den Hosen Anstoß zu nehmen oder an der Hutlosigkeit. Nebeneinander passieren der Freizeit-Cowboy und der Berichterstatter die Tore des Berliner Postbahnhofs. Showdown am Sonntag: Heute findet hier die 15. Country-Music-Messe statt.
Eines fällt sofort auf: Zwischen all den Outlaws, Banditen und Wochenend-Desperados gibt es gar keine Indianer! Selbst im Programmheft – es ist dicker als der wöchentliche „Spiegel“ – sind keine Rothäute zu finden. In der Haupthalle reiht sich Stand an Stand. Cowboy-Stiefel mit mehr oder weniger aufwendigen Verzierungen kann man dort kaufen, edlere für 339 und schlichtere ab 120 Euro. Daneben steht ein mit Tüchern ausgeschmückter Holzverhau, an dem man für 39,90 Euro einen „Traumfänger“ kaufen kann. Vielleicht sind die Indianer ja hier? Die aufgehübschte Frau Anfang 40 – mit einem blitzenden Stecker in der Oberlippe – würde besser in einen Aufstocklohn-Friseursalon in Neuruppin passen als an einen esoterischen Stand mit pseudo-indianischem Hintergrund. Das Gehänge aus Federn und Bommeln um eine Rosette aus Plastik soll böse Träume einfangen, die am nächsten Tag von der Morgensonne neutralisiert werden. Die guten Träume lässt das Ding durch. Aber welche Träume vom Alten Westen treiben deutsche Durchschnittsverbraucher zu einem solchen Symposion des uneigentlichen Lebens und schlechten Geschmacks in einem Tal des billigen Eskapismus?
Ungläubig bestaunt man Tapeziertische, auf denen allerlei nordisch-mythologischer Ramsch angepriesen wird. In den Größen S bis XXL gibt es für 19 Euro T-Shirts mit Aufschriften wie „Germanischer Gotteskrieger“ oder „Odin statt Jesus“ – so heißt übrigens auch ein Lied der rechtsradikalen Band Sleipnir. Der bärtige Standbetreiber in Lederkluft erklärt, dass derartige Vorbehalte doch völlig unangebracht seien: Die Christen hätten die Deutschen schließlich ihrer eigentlichen Götter beraubt. Er wünscht sich eine Rückbesinnung auf die „deutsche Kultur“. Was er dann auf einer Country-Messe macht, weiß er selbst nicht zu beantworten. Er verkaufe ja nur Biker-Zubehör, und Biker hörten schließlich gern Country!
Richtig, Country-Musik – die soll es hier ja geben! In einem abgedunkelten, bestuhlten Raum wird der Squaredance geübt wie weiland in John-Ford-Filmen: Rüstige Freiwillige aus der ersten Reihe springen auf, veranstalten einen albernen Gruppentanz und klatschen in die Hände. Aber ach, die Tanzkapelle spielt „Crying In The Rain“ von A-ha. Das klingt dann doch nur nach Schlager mit ein bisschen Dobro und Banjo. Wildwest-Romantik wird hier zur seichten Unterhaltung pervertiert.
Der Whiskey aus Tennessee hat übrigens vorzüglich geschmeckt. Und ist es nicht ein wundervoller Indikator für ein freies Land, dass man Hut und Bart tragen darf, wann und wo man will? Darin liegt vielleicht die Freiheit, die sie meinen: Country Music als deutsche Dissidenz von Alltagsverlierern, die auch mal Liberty Valance erschießen wollen, zwölf Uhr mittags am Biertresen.
Der Wilde Westen, er ist hier und jetzt – einmal im Jahr am Berliner Postbahnhof.