Im Seniorenheim ist die Hölle los
In der Versenkung verschwunden? Altrocker-Image? Sixties-Relikt? Etikett „Dinosaurier“? Nicht verzagen – ein Plattenvertrag mit CMC International Records kann Wunder wirken. In den Jahren seit 1993 hat sich das US-Label zum Karriere-Viagra für alternde Helden der 60er oder trendunkompatible Watschenhansel der 70er Jahre entwickelt. Nehmen wir Styx, die Bombast-Balladeure, die 1979 mit JBabe“ auf Platz eins der US-Charts standen und in Deutschland das „Boat On The River“ schunkeln ließen: 1997 haben sie von ihrem Live-Doppelalbum Jbeturn Tb Paradise“ auf CMC eine satte halbe Million Exemplare abgesetzt und arbeiten im Moment – inklusive Gitarrist Tommy Shaw – an ihrem ersten Studioalbum seit 16 Jahren. Oder Lynyrd Skynyrd Die Südstaatenrocker stehen an der Schwelle zur Goldenen Schallplatte für „Lyve Front Steel Town“ (1998), und ihre Studio-CD „Twenty“ hat’s in der Heimat immerhin auf 200 000 Stück gebracht. Auch sie sind derzeit wieder in Florida im Studio. Judas Priest, Motörhead, Nazareth, Iron Maiden und neuerdings Jefferson Starship – alle bei CMC untergekommen. Klar, sie werden Lauryn Hill oder The Offepring kaum Konkurrenz machen, aber für Acts, deren letzte Hits 20 Jahre zurückliegen, machen sie eine erstaunlich gute Figur. „Ich erwarte ja gar nicht, auf einmal der letzte Schrei bei MTV zu sein – ich bin längst zu alt, um jung zu sterben“, realisiert nüchtern Paul Kantner, 58, von Jefferson Starship, der sich für das neue Album „Windows Of Heaven“ wieder mit den Jefferson Airplane-Mitbegründern Marty Baiin und Jack Casady zusammengetan hat. Sogar Grace Slick ist bei einem Song mit von der Partie. „CMC bietet uns ein ideales Sprungbrett – Möglichkeiten, die uns kein anderes Label offerieren konnte. Schließlich haben wir die Rockstar-Phase alle längst abgeschlossen.“ Genau diese Erfahrung aber ist es, die der 44jährige CMC-Chef Tom Lipsky so schätzt: „One-Hit-Wonder gibt es doch an jeder Ecke. Diese Gruppen aber haben das gewisse Etwas, das nicht nur alte Fans anspricht, sondern immer neue Generationen anzieht.“ Alle CMC-Bands, erklärt er, seien nach wie vor für wohlgeföllte Konzertsäle gut – eine erkleckliche Zahl von Plattenkäufern steht damit also in jedem Fall schon Schlange. Zudem muß kein Name erst etabliert werden, muß man keinem Jungspund verklickern, wie ein Studio funktioniert oder eine Tournee organisiert wird: Verglichen mit der Entwicklung eines neuen Acts sind die Investitionskosten marginal. „Wir haben das Vakuum erkannt und ein Geschäft draus zu machen – einfach weil’s kein anderer tat“, so Lipsky. Die Geschäftsidee funktionierte. ’96, als CMC gerade mal drei Jahren im Geschäft war, kaufte BMG beträchtliche Anteile der Firma, engagierte sich im Vertrieb – und seither steigt der Umsatz um 40 Prozent jährlich. Es sind offenbar auch keineswegs nur betagte Käufer, die dafür sorgen: Lipsky zitiert Erhebungen, wonach das Skynyrd-Livealbum unter den 30jährigen der Generation X nicht weniger gefragt ist als bei den ergrauenden Baby-Boomern. Konsequenterweise hat CMC seine Repertoire-Politik vor kurzem modifiziert und zwei junge US-Bands unter Vertrag genommen, beide aus dem traditionellen Rock-Lager. Wer sich hierzulande ein CMC-Album zulegt, liest darauf: SPV. Das Indie-Label aus Hannover beeindruckte die Amis mit einem gut funktionierenden, europaweiten Vertriebsnetz und gehört zu den ganz wenigen Plattenfirmen, die in den 90er Jahren den metallenen Genres und dem, was man gemeinhin „Classic Rock“ nennt, treu geblieben sind. Aus diesem Grund ist SPV seit einem Jahr europäischer Partner von CMC – vermarktet, promotet und vertreibt (jeweils zusammen mit seinen nationalen Partnerfirmen) das CMC-Repertoire exklusiv von Finnland bis Portugal. Und gibt sich ganz zufrieden – Styx: 32 000 Exemplare vom letzten Album verkauft, Little Feat: 24 500, Saga: 40 000, Lynyrd Skynyrd: 80 000. Immer europaweit, wohlgemerkt. „Die Zeiten haben sich geändert, aber deswegen ist die Musik doch nicht schlechter geworden“, verteidigt SPV-Geschäftsführer Manfred Schütz, 48, seine Klientel gegen den Vorwurf der Rock-RentnereL „In Rock we trust“ lautet das Motto, das Schütz unerschütterlich vertritt Er räumt ein, daß einen nicht jeder neue Wurf der alten Recken vom Hocker haut („Auf die letzte Uriah Heep hatte ich ’ne Option; die hatte ich sogar schon angezahlt, aber dann habe ich mir die Platte fünfmal angehört und gesagt: Das braucht keiner“), hält den Terminus „Classic Rock“ ansonsten aber für durchaus passend: „Das letzte Album von Blue öyster Cult beispielsweise schließt nahtlos an ihre großen LPs der 70er Jahre an.“ Problem: Die Helden der 90er Jahre stehen hinter Plattenspielern statt vor Marshaus, der Trend spielt woanders, und entsprechend schwer sindHörfunk, Fernsehen und Presse zu begeistern, wenn’s darum geht, Night Ranger oder Eddie Money zu vermarkten („Auf den ROLLING STONE kann ich mich da nicht verlassen“). Also läßt Schütz zum Beispiel auch in kleinen Zeitschriften werben und ist froh, wenn seine Acts auf Tour kommen und eine gute Figur machen. Aber auch wenn das Publikum nicht so einfach anzusprechen ist – es existiert, und als Zielgruppe nennt Schütz durchaus „die breite Masse“ und eben nicht nur versprengte Nostalgiker: „Das Interesse geht quer durch alle Schichten und alle Altersgruppen. Bei der letzten Lynyrd-Tour war das Publikum zwischen 15 und 55.“ Und verzieh dem Pianisten sogar sein blaues Satinhemd mit den Sternchen. Von solchen modischen Fauxpas abgesehen, halten sich die Allüren der einstigen Superstars übrigens in engen Grenzen: Lemmy von Motörhead, Michael Schenker oder Glenn Hughes seien ihm als extrem schwierige Charaktere angekündigt worden, erzählt Schütz, „aber mich hat bisher keiner enttäuscht, und ich pflege zu den meisten ein eher freundschaftliches Verhältnis. Schwierig wird’s manchmal mit Leuten, die früher Stadien gefüllt haben und nicht damit klarkommen, daß sie jetzt hier vor 1000 Leuten spielen und auf der Straße nicht mehr von jedem erkannt werden. Die muß man dann manchmal auf den Boden zurückholen.“ Da hat man’s als Southern Rocker in den USA doch etwas leichter, wenn immer noch 10 000 ins Konzert strömen wie zu Lynyrd Skynyrd. Oder man ist überhaupt bescheidener geworden: „Zum Glück gibt’s CMC“, schwärmt Sänger Johnny Van Zant. „Letztes Jahr gehörten wir zu den erfolgreichsten Acts der Sommerkonzerte, und inzwischen kommen mehr junge Fans als alte. Man hatte die älteren Bands, die all das ja mal angefangen und getragen haben, schon völlig abgeschrieben, aber glücklicherweise hat CMC die Situation erkannt Sonst würde ich jetzt wahrscheinlich in Georgia Erdbeeren pflücken.“