I´m not sorry.
Sieben Jahre sind vergangen seit dem letzten Album, "Maladjustes", denn Morrissey hatte nach Jahre mit wechselnden Platten-Labels keinen Vertrag mehr. NAch Querelen verließ er seine hassgeliebte Heimat England, wo man ihm NAtionalismus und Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen hatte und die Kritiken nur noch niederschmetternd waren. Ausgerechnet in Los Angeles ließ sich der Ästhet und Intellektuelle nieder, um frische Inspiration zu schöpfen und der Revolverpresse zu entkommen. Mit Erfolg: Das neue Album "You Are The Quarry" vereint Wehmut und Witz mit altbekanntem Sarkasmus und unerbittlicher Analyse. Das RS-Interview fand in London statt.
The Dorchester. Ein klangvoller Name, und das seit Generationen. Direkt am Hyde Park gelegen, verströmt das vornehme Hotel aus viktorianischer Zeit noch immer jenes Flair des Empire und den verheißungsvollen Duft von Gurkenschnittchen zu rituell aufgegossenem Tee. „Drinking tea with the taste of the Thames“, hält Morrissey Rückschau im besten Song seiner neuen LP, spöttisch und sehnsüchtig zugleich, und nun sitzt er mir gegenüber auf einem Brokatsofa und tut ebendas. Wo sonst sollte er Hofhalten als in diesem alten Gemäuer, einst glanzvoll, inzwischen leicht verwittert, die Risse übertüncht, das Mobiliar antik und von plüschiger Noblesse. Englands verlorener Sohn gewährt Audienz, einem überschaubaren Kreis handverlesener Kandidaten, aus Deutschland gleich nur yours truly. Ein Privileg? Nichts weniger. Morrissey ist, was nicht unbedingt zu erwarten war, bestens gelaunt. Er lacht viel, wenn auch oft gallig. Mitteilsam ist er nur, wenn es um neuralgische Punkte geht, um alte Wunden, die er trägt wie Orden und die er nicht vernarben lässt Seine Mimik spricht Bände. Hohn und Hass, so ein feindlicher Schreiber, wohnten in diesen Augen. Viel Feind, viel Ehr. Heute ist Steven Patrick Morrissey charmant und ausgesucht höflich, aufmerksam und fast gelassen. Sieben Jahre nach seinem letzten Album, „Maladjusted“, einer Platte voller böser Ahnungen, herzlicher Verwünschungen und unzweideutiger Drohungen. „Sorrow Will Come In The End“, songtitelte Morrissey ironiefrei, als Adressaten des Fluchs waren unschwer ehemalige Freunde auszumachen, mit denen er fünf Jahre lang die beste Band der 80er Jahre gebildet hatte und die, „greedy bastards“, ihn vor den Kadi gezerrt, ihn öffentlich gedemütigt hatten. „As sure as my words are pure“, dichtete er, „I praise the day that brings you pain.“
Und prophezeite weiter: „A man who slits throats has time on his hands/ So don’t close your eyes/ I’m gonna get you.“ Viel Spielraum für Interpretation: bleibt da nicht. Seine Antwort: „Nein“, meine Frage: „Siehst Du das mit zeitlichem Abstand gefasster, würdest Du heute gemäßigtere Worte wählen?“ Eureka, the great man is back. Was jedoch die von interessierten Parteien periodisch gestreuten Smiths-Reunion-Gerüchte angeht: dort ‚t hold your breath. Keine Hoffnung mehr.
The Smiths! Was für ein Segen war diese Band anno 1983. Sicher, nicht alles bis dahin war trist und trostlos in Pop-Britannien. Die Associates und Aztec Camera schafften es, die Aufmerksamkeit zu bannen. Bands wie Madness, die Specials oder Echo & The Bunnymen brachten in schöner Regelmäßigkeit Linderung vom synthetischen Dünn- pfiff in Funk und Fernsehen. Stets Verlass war natürlich auch auf Elvis Costello. Dennoch waren The Smiths ein gleißender Lichtstrahl in relativer Umnachtung. Sie vereinten Stil und Gefühl, waren militant und moralisch rigoros. Sie klangen verwegen und vertraut, sangen von Dingen, die bewegten. The Smiths waren Lebensretter in jener finsteren und geschmacklosen Zeit.
Gleich die erste Single, „Hand In Glove“, versprach Wunder. Die schon mit der zweiten, „This Charming Man“, wahr wurden. The Smiths bedienten, nein: sie befriedigten das Verlangen nach visionärem Pop. Inmitten einer Musiklandschaft, die von immer kurzlebigeren Moden geprägt wurde, von irrwitzigen Klamotten und Kakadu-Frisuren. Als sich The Smiths in Manchester zusammentaten, beherrschten Synth-Bands die Szene. Ernsthafte, picklige junge Männer, deren Fixstern Bowie in Berlin war. Oder aufgestylte Pinup-Boys in Glitzeranzügen und mit fingerdickem Make-up auf den Wan- gen. Die Blitzkids, die New Romantics, die Sloane Rangers. Tribes ohne verbindende Werte, ohne Kodex, außer dem, unbedingt aufzufallen.
Er habe diese Eintagsfliegen kaum wahrgenommen, ja bewusst ausgeblendet aus seinerWirklichkeit, behauptet Morrissey. Kein Ohr für Kajagoogoo, kein Auge für die Thompson Twins? „Nein, es berührte mich ausgesprochen unangenehm, in der selben Branche zu sein, mit ihnen in einen Topfgeworfen zu werden. Wir hielten uns einfach fern von dieser Sorte Entertainment. In Manchester war das kein Problem, später in London gab es deswegen des öfteren böses Blut. Man erwartete wohl eine Art Kollegialität von uns, eine Bereitschaft zu Nähe, die wir nicht aufbringen konnten. Nicht für fünf Minuten.“
Schon die Wahl des Bandnamens war ein Signal: Wir sind anders. Ein Blick in die Charts jener Tage gibt Aufschluss über die zeitspezifische Ästhetik. Duran Duran oder Spandau Ballet nahmen sich dabei noch bescheiden aus neben den Orchestral Manoevres In The Dark oder Blue Rondo A La Turk. Nur das Gegenteil davon schien gut genug. Nothing fancy, please. Hatte nicht Morrisseys literarisches Vorbild Oscar Wilde geschrieben: „Surely everone prefers Norfolk, Hamilton and Buckingham to Jones or Smith.“ Was wäre prosaischer, was reeller, was englischer als: The Smiths. Ein Name, der zwar nicht die irische Herkunft der beiden Protagonisten berücksichtigte, denn Morrissey und Marr waren Second-Generation-Mancunians. Ein Name, der aber gerade auf Manchester verwies, auf den Norden, auf Alltag und Ohnmacht. The Smiths, das evozierte schlichtes Dasein, erforderte Musik, die nicht abgehoben war wie jene aus dem Paradiesvogelkäfig London. Etwaige Konnotationen mit Patti Smith und Mark E. Smith, letzterer ja ebenfalls ein Maverick aus Man- chester, wurden billigend in Kauf genommen.
The Smiths waren, vom Augenblick ihrer Konzeption an, Teil einer Tradition, die anfangs der 80er Jahre unter die Räder einer Trend- motivierten Industrie zu geraten schien: die klassische britische Pop- Gruppe. Gitarre, Bass, Drums. Mit Songs, die nicht zum schnellen Verzehr bestimmt waren, sondern die bewegten und sich im kollektiven Gedächtnis einnisteten, zumindest der gescheiteren und kunstsinnigeren Hälfte der Hörer. Songs mit wundersamen, unverwechselbaren Titeln, denkwürdigen Texten, entwaffnenden Melodien und brillant gespielter Musik. Songs, die primär auf Singles ihre Spannung entfalten, hochkomprimiert, jede Sekunde von entscheidender Bedeutung. Singles im geliebten 7inch-Format, geschützt und visuell vervollständigt durch ingeniös gestaltete Picture-Sleeves, stilistisch stringent, denn das Auge hört mit. Artefakte, kleine Gesamtkunstwerke, drei oder vier im Jahr, das war interner Konsens, bevor The Smiths auch nur ihren ersten Song geschrieben, ihren ersten Ton gespielt hatten.
Unzählige Stunden hatten sie sich bereits als Kinder und Jugendliche in Plattenläden herumgetrieben, „magnetische Orte der Entdeckung“, wie sich Morrissey gern erinnert, „die ich stets neugierig betrat und, oft erst Stunden später, beglückt verließ“. In der Hand eine Single von Marianne Faithfull, Sandie Shaw oder Herman’s Hermits. Für tagelang angesparte Shillings & Pennies. Morrissey habe eine erotische Beziehung zum Fetisch Schallplatte, diagnostizierte später ein Journalist, nachdem ihm der Smiths-Sänger erzählt hatte, wie warm und wohlig ihm schon als Kind zumute war, wenn er eine neue Single aus dem Label-Sleeve zog und „den unvergleichlichen Duft von frischem Vinyl“ einsog. Darauf angesprochen, lacht Morrissey lauthals! „Das war die Zeit nach dem großen Backlash. Zuerst konnten wir keine Fehler machen, waren absolut sakrosankt, dann suchten sie, übrigens ausschließlich bei mir, nach Hinweisen auf etwaige Perversionen. Hin und wieder habe ich ihnen dafür ein paar Brocken ,,hingeworfen.“
Worauf Morrissey anspielt, ist hinlänglich dokumentiert. Es müssen mehr Artikel über seinen zölibatären Lebenswandel geschrieben worden sein, die abstrusesten Spekulationen seine sexuellen Präferenzen betreffend, als über das musikalische Werk der Smiths. Durchaus gefüttert vom grandios Unverstandenen. „I live a saintly life“, hatte er gebeichtet. „He lives a devifish life.“
„He“, das war Johnny Marr. Morrisseys „best mate“, für eine lange Weile. Sein Alter ego, seine Muse, sein Korrektiv, sein so kongenialer Partner beim Songschreiben und Ideen züchten. Auch Marr war Vinyl-Junkie, seit frühester Jugend. Auch er hing mit Vorliebe in Plattenläden herum, lauschte, wenn dort gefachsimpelt wurde. Anders als Morrissey wurde Johnny Mäher, so sein bürgerlicher Name, indes nicht von Sandie Shaw und Cilla Black in Bann gezogen, sondern von wilden, unangepassten Gesellen, die in lauten Bands Gitarre spielten und ein beneidenswert dekadentes, aufregen- des Leben führten. Allen voran die Rolling Stones. Während zu Weihnachten 1965 im Hause Morrissey nonstop die Beatles liefen mit „I feel fine ‚cause she’s my little girl“, im Chor mit Stevens älterer SchwesterJacqueline und einem halben Dutzend Tanten, sehr zum Vergnügen des gerade sechsjährigen Steven, brachte der Nachrichtensprecher im Radio Kunde von irgendeinem Skandal, den die
Stones angezettelt hatten. Keiner hörte recht hin. „Das war weit weg, tangierte uns nicht. Musik lag bei uns immer in der Luft, aber es war Musik zum Mitsingen, Musik, die Gemeinschaft stiftete.“ Morrissey fuhrt sein Faible für die Pop- Chanteusen und luftigeren Hits jener Ära darauf zurück, dass er in einem von Frauen dominierten Umfeld aufwuchs und schon als Kind täglich Kontakt hatte mit Singalong-Songs. „Die Rolling Stones kamen zuerst nicht vor, und später, als ich zu wissen glaubte, was mir gefiel, erschienen sie mir hart und unerbittlich. Zwei Eigenschaften, die ich in der Musik nie gesucht habe. Die Stones entbehren Tugenden, die mir wichtig sind, wie Wärme und Weichheit.“
Als Johnny, vier Jahre jünger als Steven, „den Stones verfiel und dem wofür sie standen“, waren Wärme und Weichheit das letzte, wonach er lechzte. Ihm imponierte die Gegen- den-Rest-der-Welt-Attitüde, Keidi Richards‘ Outcast-Image und vor allem dessen eigenwilliges, auf Open Tunings basierendes, Adrenalin- pumpendes Rifferama. Mäher liebte auch andere Bands, die Small Faces und Kinks, später Rory Gallagher oder Neil Young. Doch es waren vornehmlich die Stones, die „in mir den Wunsch weckten, Musiker zu werden, Gitarrist wie Keith, eine Band zu gründen wie keine andere“. Es waren die Stones, die zugleich Ansporn waren und die Messlatte hoch hängten. The Smiths, so der Masterplan, sollten die Utopie wahr machen. „I wanted us to be as good as my heroes“, verriet Marr, „in my head we were our own Rolling Stones.“
Eine von etlichen Reibungsflächen zwischen den Herren Marr und Morrissey, ein Grund mehr, an die Reibungshitze zu erinnern, die andere große Songschreiber-Gespanne beflügelte und zu neuen Ufern auf- brechen ließ. Lennon/McCartney, Jagger/Richards, Morrissey/Marr. Zu hoch gegriffen? Mitnichten. „Sheer class“, so Marr, „das war’s, was wir uns auf die Fahnen geschrieben hatten, runter bis ins kleinste Detail. Und ich bin stolz, im Rückblick sagen zu können, dass wir dieses Versprechen eingelöst haben.“
Die Smiths kamen zur rechten Zeit. Das Pop-Pendel war zum Stillstand gekommen, benötigte neue Schwungkraft. Die Smiths besorgten das mit eisernem Willen, Radikalität, Intelligenz, Arroganz und einer ganzen Kette höchstkarätiger Pop-Perlen. Songs, deren Titel bereits irritierten und frappierten. ,,Pretty Girls Make Graves“. „Barbarism Begins At Home“. Und „Meat Is Murder“. „Some Girls Are Bigger Than Others“. „Sweet And Tender Hooligan“. „I Keep Mine Hidden“.
Letzterer Song, zwischen DooWop-Inspiration und Vaudeville-Frivolität, markierte im Mai 1987 das Ende einer fünfjährigen Partnerschaft, mit einem launigen, vorwurfsvollen Text Morrisseys an die Adresse des Co-Komponisten. „It’s the one song that makes me happiest“, pflegte der Lyriker zu versichern, wenn das Gespräch darauf kam. Am Ende waren es „bad vibes“ und falscher Stolz, die die glorreichste Band der Achtziger zu Fall brachten. Und Cilla Black. Und die Rolling Stones.
Cilla Black, weil die familientaugliche Unterhalterin und monarchistische Mamsell eine von Morrisseys „more uncommon perversions“ war, so seine eigene Einschätzung, und er ihren Song „Work Is A Four Letter Word“ zu covern wünschte. Für die Rückseite von „Girlfriend In A Coma“. Marr ließ sich widerwillig dazu überreden, empfand aber bereits die Session als „peinlich“, die Aufnahme gar als einen „Schandfleck“ und „beinahe so schlimm“ wie „Golden Lights“, eine andere „Abartigkeit“ von Morrisseys Gnaden. Im Original von Twinkle und in der rechtläppischen Smiths-Version eine B- Seite der 12inch-Variante von „Ask“, hatte das belanglose Stückchen bereits im Jahr davor für erheblichen Unmut bei Marr und für entsprechende Unruhe in der Band gesorgt Das habe er noch geschluckt, meinte Marr erbost, doch sei es immer bizarrer geworden. „I didn’t form a group to perform Cilla Black Covers“, sprach er ins Mikrofon eines Interviewers.
Morrissey drehte den Spieß um. Marrs Faszination für die Stones habe einen Keil zwischen sie getrieben, irgendwann sei seine Geduld aufgebraucht gewesen. Angeblich soll Johnny Marr vor jeder Studio-Session „zur Einstimmung“ Stones- Tracks gehört haben, oft „Brown Sugar“ und zwar „stundenlang, höllisch laut, immer und immer wie- der“, wie sich Morrissey damals einließ. „Musical differences“, die alte, oft genug nur vorgeschobene Begründung für Band-Splits: Hier traf sie offenbar zu. Obwohl die Smiths dieses Klischee nicht bemühten. Gleichviel, Johnny Marr verließ die Band. Im August 1987 teilte er den Entschluss dem „NME“ mit, ohne die anderen Bandmitglieder vorher zu konsultieren. Nach 17 Singles und 4 LPs, Compilations und Non-UK- Singles nicht mitgerechnet, war eines der ruhmreichsten und beglückendsten Kapitel der Pop-Historie abgeschlossen.
Ego-Tripping der Antipo- den Morrissey und Marr, musikästhetische Differenzen, Indiskretionen an die Presse, Marrs angebliche und nie bewiesene Aktivitäten außerhalb des Smiths-Mikrokosmos, pekuniäre Probleme und ideologische Dissonanzen, was wurde nicht alles an Erklärungsversuchen herangezogen für die Trennung, was war das für ein Trauerspiel für die Hardcore-Fans, von denen The Smiths naturgemäß viel mehr hatten als etwa The Police, auch wenn sich das andersherum darstellt, nimmt man nur die Plattenverkäufe zum Maßstab. Doch allemal lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Positiv gewendet: Die Erinnerung an The Smiths bleibt unbelastet von schlimmeren Enttäuschungen musikalischer Art. Selbst die besagten Britgirl-Covers haben noch ein Format, für das sich niemand schämen muss. „Wir brachen auseinander“, urteilte Morrissey sieben Jahre später, „bevor wir die Chance hatten, gewöhnlich zu werden.“ Richtig ist, dass die Aura der Smiths intakt blieb, ihre Hinterlassenschaft makellos. Vom viel kopierten und unerreichten, mal perlenden, mal drückenden Saitenspiel Johnny Marrs bis zu den von Morrissey entworfenen und realisierten Covers und Sleeves, deren Motive eine Ikonografie seiner Wunschwelt bilden, deren Sepia-Farben und grafische Gestaltung auch ohne Songtitel aussagekräftig sind. The Smiths starben in Schönheit.
Was danach kam, war selten schön, ja oftmals ausgesprochen hässlich. Polarisiert hatten schon die Smiths, das muss so sein bei sinnstiftenden, kompromisslosen Bands. Man liebte The Smiths oder man lehnte sie
ab. Nein, nicht um Parteinahme ging es fortan, sondern um Paranoia, um Intrigen, um Verrat und blanken Hass. Woran Joyce, Rourke und Marr ihren Anteil hatten, aber das soll hier nicht im Detail interessieren. Nach dem Smiths-Split spielten die drei öffentlich keine Rolle mehr, allenfalls Johnny Marr als geschickter Handwerker in mediokren Formationen, als Session-Man, Tour- Sidekick, Electronic-Mitglied oder überforderter Frontmann seiner rührend rockistischen Band Healers. So bitter Morrisseys Solo-Werke das Marrsche Element vermissen ließen, flüssige, schlüssige Melodien also und geniale, Rock’n’Roll-informierte Fretboard-Fertigkeiten, so klar wurde in diesen 17 Jahren seit der Scheidung, dass Morrissey, auf sich alleine zurückgeworfen, künstlerisch autark wurde, indes nur bedingt geschäftstauglich. Er scheint sein eigener Feind zu sein, steht sich selbst im Weg. Sogar ein wohlwollender Beobachter dürfte zu diesem Schluss kommen. Weil sich Morrissey in den letzten Jahren zunehmend vom Biz isoliert hat, fernab kultureller Trampelpfade. Mitten in Los Angeles, in einen kleinen Haus in den Hügeln Hollywoods. Wo er keineswegs als Eremit lebt, wie häufig ge- mutmaßt wurde. Morrissey geht unter Leute. Mal unterhält er sich angeregt beim Dinner mit Fran Healy und Michael Stipe, mal sieht man ihn den Sunset Strip hinunterschlendern, meist jedoch zieht es ihn hinaus in die heruntergekommenen Suburbs, die fast exklusiv von mexikanischen Einwanderern bevölkert werden. Dann setzt er sich Art ist er meist ausgewichen. Während Marr, Joyce und Rourke bei sich bietenden Gelegenheiten Kontakte knüpften, sich auch mal in Small Talk übten, in Gemeinschaft becherten oder Dope zusprachen, pflegte sich der Sänger abzusondern. Das wurde zuweilen als prima-donnenhaft empfunden, räumt Morrissey achselzuckend ein, aber „in der Disziplin Sich-unter-Menschen-mischen“ sei er nun mal „ein Versager“, und das gern.
Steven Patrick Morrissey ist auch kein Meister in der Disziplin Marketing. Oder in der Disziplin Cleverness. Jahrelang war er komplett abgeschnitten von seiner Branche, stand ohne Label da, ohne Verlag, ohne Management. Persona non grata. „Schwierig“ und „unberechenbar“ sind zwei der harmloseren Eigenschaften, die ihm ehemalige Business-Partner nachsagen, doch es fallen auch böse Begriffe, von „nachtragend“ bis „rachsüchtig“. Niemand wolle ihn unter Vertrag nehmen, klagte er vor fünf Jahren anlässlich einer Europa-Tour, die erfolgreich verlief wie alle seine Tourneen. Nicht ganz auf dem Level seiner ersten Solo- Tour durch die Staaten 1992 freilich, wo er riesige Arenen füllte und in Mozmania baden konnte. ,Ja, da draußen gibt es mehr Leute, die mich hören wollen, als die britische Presse glauben machen will. Und keineswegs nur an den Küsten, sondern auch dazwischen, im mittleren Westen.“ Was ihm so gut gefiele am Leben in Amerika, sei einerseits die Möglichkeit, dort fast anonym zu leben und das Land zu bereisen, ohne belästigt zu werden. Und auf der anderen Seite auch die Massen zu erreichen.
„America Is Not The World“ heißt der erste Track von „You Are
The Quarry“, Morrisseys, ja doch, Comeback-LP nach sieben Jahren Studio-Abstinenz. Ein unmissverständlicher Song voller aktueller Bezüge bis hin zu Bushs eiskalten Augen und Zeilen wie „The land of the free, they said/ And of opportunity/ But where the president is never black, female or gay.“ Ein Text, den Michael Moore unterschreiben könnte. Keiner von Morrisseys besseren Texten allerdings, wenngleich stellenweise humoristisch. Mit welcher Verachtung er „hamburger“ singt in „Well America, you know where you can shove your hamburger“.
An der Grenze zum Kabarett Morrissey lacht. „Ich konnte nicht widerstehen, es musste einfach ins Lächerliche gezogen werden.“ Wen er damit erreichen wolle, frage ich ihn. Seine Fans hier wie dort werden nicken, während die amerikanischen Hinterwäldler, die er damit ärgern könnte, den Song vermutlich niemals zu hören bekommen werden. „Da unterschätzt du die märchenhafte Macht moderner Kommunikationsmittel“, doziert Morrissey mit süffisantem Grinsen, „it may be bleeding obvious to you, doch wird es irgendwann seinen Dienst verrichten als Sandkorn in einem gewaltigen Getriebe. Meiner Treu, ich klinge wie ein Aufklärer. Wenn das nicht komisch ist.“
Morrissey vermittelt nicht den Eindruck des egomanischen, auf Vergeltung sinnenden, gramgebeugten Mannes, den so Stimme herbeizureden versuchte. Schlanker als zuletzt bei den Auftritten mit dem „Rockabilly-Permanche mediale sonal“, wie er seine langjährige Band liebevoll nennt, und hellwach wie eh und je steht er Rede und Antwort. Nunja, manchmal weicht er aus oder murmelt Einsilbiges, retourniert die folgende Frage aber wieder fintenreich. Hin und wieder spricht er von sich gar in der dritten Person, ein Vorrecht von Lackaffen eigentlich, doch wirkt es bei Steven Morrissey nicht im Geringsten pompös, sondern eher patzig, auf sympathisch selbstironische Art.,,Du kennst doch Mozzer“, sagt er wie im Vertrauen und begleitet von leisem Kichern, „der kann nicht anders.“ Etwa bezogen auf sein unversöhnliches Beharren auf einmal eingenommenen Positionen. „Toleranz ist selten mehr als Gleichgültigkeit“, sagt er und fugt mit Nachdruck hinzu: „Oder Schwäche oder eine Fassade.“ Morrissey verzeiht nie? Er lehnt sich zurück, fixiert den Fragesteller und gibt die erwartete Antwort: „Morrissey vergisst nie.“
Immerhin nehme er mit Genugtuung zur Kenntnis, dass das Interesse an seiner Person und seiner Musik im UK offenbar noch groß sei. „Ich kenne die Medienwirklichten seiner Seele trifft. „Devious, truculent and unreliable“ hatte ihn 1996 der Richter des High Court genannt, wo es um schnöden Mammon ging, um eine von Mike Joyce und Andy Rourke erstrittene Abfindung in Millionenhöhe. Morrissey hatte sich „Euer Ehren“ zum Feind gemacht, indem er fortwährend dessen Autorität hinterfragte und „provozierend aufsässig“, so Prozessbeobachter, auftrat. Es sei ihm nicht primär um das Geld gegangen, versicherte der zu erklecklichen Zahlungen Verurteilte glaubhaft, sondern um die Endlarvung seiner Widersacher als niederträchtige, verschlagene Individuen. Stattdessen habe man ihn, den Wahrheitsfanatiker, an den Pranger gestellt.
„Es war schockierend“, erinnert er sich mit tonloser Stimme, „eine reine Farce. Der Richter war entsetzlich, die Aussagen der sogenannten Zeugen verlogen. Wäre ich weniger intelligent und leichter zu beeinflussen, würde ich die Smiths verfluchen und alles, wofür sie standen. Aber diese Jahre lasse ich mir nicht entreißen. Genug davon.“
hat der zeitliche Abstand zu diesen und ähnlich desaströsen Ereignissen sein vernichtendes Verdikt nicht gemildert, hat die geografische und kulturelle Entfernung seine Perspektive nicht beeinflusst, ist er noch derselbe Mensch wie vor 20,15,10 Jahren? „Eine rhetorische Frage“, meint Steven. Nur um ganz sicher zu sein, sage ich, hätte ich gerne eine Antwort. „I’m unchangeable“, sagt er ernst, „nothing changes me. Unfortunately.“
Morrissey, ein Fels in der Brandung? „Sarkasmus“, belehrt er mich, „hebt die Laune, führt aber nirgendwo hin.“ Verstanden. Also anders: Registrierst du, wie sich die Welt um dich herum verändert? „Oh ja, das ist mir schmerzlich bewusst. Das Musik-Business etwa hat sich enorm gewandelt seit meiner Zeit mit den Smiths. Nicht zum Besseren natürlich. Was ich diesbezüglich erlebt habe bei meiner Suche nach einem Plattenvertrag, spottet jeder Beschreibung. Ich habe nun wirklich mit allen wichtigen Label- Leuten geredet, bis hinauf in die obersten Etagen, aber was die so von sich gaben, war mehr als ernüchternd. Es sieht so aus, als habe nur noch fabrizierter Pop eine Chance, von Künstlern, die keine sind.“