Im Kino wird es feucht
Orgasmus ist, wenn eine Frauenhand sich ins Laken krallt. Dieses verschämt-verlogene Bild gilt, seit der Hays Code 1967 abgeschafft wurde. Die wenigen Mutigen, etwa Catherine Breillat mit „Romance“ (1999) oder Patrice Chéreau mit „Intimacy“ (2001), hatten immer noch Skandale provoziert: Sex (als Motiv, als visueller Moment oder Figurenbeschreibung) gab und gibt es zwar, seit die Bilder laufen (und vögeln) lernten. Aber immer nur mit Schnitt an der richtigen Stelle, und den persönlichen Schamgrenzen der Schauspieler im Hinterkopf. Julia Roberts witzelt in „Notting Hill“ in ihrer Rolle als Hollywoodstar darüber, dass in den Verträgen sogar ausklamüsert ist, wie viel „Derrière“ gezeigt werden darf.
Aber vielleicht ändert sich das jetzt endlich alles. So viel bildlich konkreter Sex, so viel thematische Relevanz für die angebliche Nebensache wie 2013 war nie: Im Februar heizte eine sexuell aufgeladene Berlinale mit Filmen über Pornokonsum ein, unter anderem mit „Don Jon’s Addiction“ und dem wunderbaren indonesischen Werk „Something In The Way“ über einen pornosüchtigen Taxifahrer, ein Film, der nie in seinem Heimatland zur Aufführung kommen darf. Außerdem mit einem leider spießigen Linda-Lovelace-Biopic, und „Love Battles“ von Jacques Doillon, in dem ein Paar sich körperlich von brutal bis hochsexuell begegnet.
Im Sommer hatte sich David Wnendt Charlotte Roches „Feuchtgebieten“ angenommen und daraus ein bildlich zurückhaltendes, aber selbstbewusstes (wenn auch dramaturgisch unentschlossenes) Coming-of-Age-Drama gestrickt. Ein Jahr vorher war Steve McQueens „Shame“ in den deutschen Kinos gestartet, und Michael Fassbender musste sich auch 2013 gekicherten Journalistenfragen zu seiner full frontal nudity stellen. In diesem Jahr ging zudem das Besetzungskuddelmuddel zur Kinoadaption von „50 Shades Of Gray“ durch die Medien, das, auch wenn es tatsächlich bei der schlauen Sam Taylor-Wood als Regisseurin bleibt, ähnlich viel Verklemmungen und Vorurteile aushalten muss, wie „Feuchtgebiete“.“Hemel“ lief im November an, das großartige Porträt einer mageren, radikalpromiskuitiven jungen Frau mit Elektrakomplex. Und jetzt will nicht mal mehr das Fernsehen prüde sein: Nachdem ZDFneo sich im Sommer schon mit frivolen Themenwochen als sexinteressiert geoutet hatte, spickt man allerorten unter deutsche Decken. Was ja eigentlich nicht schaden kann, solange Markus Lanz nicht mitspickt.
Sollte das ein Trend sein, dann halleluja: Schließlich gilt nicht nur „Sex sells“, sondern auch „Sex tells“, jedenfalls wenn es in den Plot passt, und die Darsteller wollen. Damit das verlogene Hand-in-Laken-Gekralle à la „Twilight“ endlich ein Ende hat.