Im Fegefeuer des Showbiz
IE BEIDEN ORIGInale aus Liverpool haben gut lachen. „Wir sind keine Millionäre, müssen aber auch nicht putzen gehen. Wegen des Geldes jedenfalls müssten wir das hier nicht machen. Ich habe neulich einen tollen neuen kulturtheoretischen Begriff entdeckt: atomised post modern musical landscape. Wir befinden uns also in einer atomisierten, postmodernen Musikszenerie – und da kann Orchestral Manoeuvres in the Dark locker mithalten. Auch im 35sten Jahr“, sagt Paul Humphreys mit einer Portion Selbstironie im gutturalen Scousers-Tonfall der Merseyside.
Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Andy McCluskey ist Humphreys auf Reklametour für das neue Album „English Electric“ (siehe RS 04/13). Ein retro-futuristisches Konzeptwerk, das auf die getragene Synthiesoße ihrer Frühachtziger-Welthits wie „Enola Gay“ oder „Maid Of Orleans“ verzichten kann. „Das Vorgängeralbum ,History Of Modern‘ als klassische Comeback-Platte war noch ein wenig selbstreferenziell. Wir haben mit den Songs an die alten Zeiten erinnert. Jetzt aber haben wir unsere eigene Geschichte in die Tonne getreten und uns auf simple Arrangements und minimale Instrumentierung beschränkt“, bekräftigt McCluskey. Die beiden Anfang-Fünfziger könnten mit ihren Anekdoten und Lebensweisheiten ein perfektes britisches Pub-Duo abgeben. Wenn sie etwa an ihr erstes Profi-Zusammentreffen nach über zehnjähriger Bandpause berichten. Das Ganze ereignete sich 2005 beim trashigen RTL-Fernsehformat „Die ultimative Chartshow -Die erfolgreichsten Künstler der 80er-Jahre“. Die Working-Class-Lads Humphrey und McCluskey nahmen es wie einen Klassenausflug: „Wir müssen da niemandem etwas vormachen. Wir haben über fünf Millionen Platten verkauft und experimentellen Krach wie kalkulierte Hits produziert. Unsere damalige Haltung war extrem entspannt: Wenn die deutschen TV-Typen das wollen, dann fahren wir halt nach Köln und trinken dort ein paar Bierchen. Gleichzeitig markierte dieser sicher etwas zweifelhafte Auftritt unsere Rückkehr als Team.“
Davor hatte McCluskey seine Fähigkeiten als Songschreiber im großen Stil versilbert, als er 1997 das Mädchenband-Projekt Atomic Kitten initiierte und einige chartskompatible Dance-Pop-Nummern aus der Hüfte schoss. „Für so was muss man sich sicher nicht schämen. Trotzdem bekommt man die dunkle Seite des Musikgeschäfts mit. A fucked up business! Bei diesen Retortendingern wollen die Plattenbosse persönlich mitprofitieren. Sie fordern mal eben 30 Prozent der Songschreiber-Rechte und lassen sich unter Künstlernamen in die Credits schreiben. Diese Platten werden aus den falschen Gründen gemacht; und die Musiker sind dabei völlig austauschbar!“
Auf diese Weise im Fegefeuer des Showbiz geläutert, machen OMD nur noch, was ihnen in den Kram passt. Humphreys Heimstudio im vertrauten Liverpool (McCluskey wohnt in London) dient dabei als Basis. Auf die endlose Debatte um den popkulturellen Fortschritt haben sich die beiden längst ihren sehr entspannten Reim gemacht. „Im Jahr 1995 galten Oasis als die Zukunft der britischen Popmusik -und unser prädigitaler Song ‚Electricity‘ als die Vergangenheit. Lustig, oder!? Wenn man so etwas erlebt hat, kann man popkulturelle Diskurse einfach nicht mehr ernst nehmen“, geben sie unisono zum Diktat. Zum Titel des Albums „British Electric“ bringt Humphreys noch das Schicksal des „Deltic Diesel“ der englischen Motorenfabrik Napier ein. „Sie waren bis hinein in die Sechziger mit ihren vielen Entwicklungen die Zukunftsfabrik. Heute sind sie als Dinosaurier der Alt-Industrie international längst vergessen.“